3 Fragen

Verfassungsrichter über Zwangsheirat, Blutrache, Ehrenmord und Religion

Die Vielfalt der Kulturen und Religionen in Deutschland wird immer größer. In Hannover debattiert noch bis zum Freitag der Deutsche Juristentag darüber, welche Folgen dies für das deutsche Strafrecht hat. Einer der Hauptreferenten ist Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier.

Herr Schluckebier, in unserer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft berufen sich inzwischen Straftäter auf religiöse Motive. Gibt es in Deutschland zu viel Religionsfreiheit?

Wilhelm Schluckebier: Nein, gewiss nicht. Ich denke, wir können stolz sein auf unsere Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Sie umfasst einen sehr weitgreifenden Schutzbereich, der die Definitionsmacht für das, was Glaube, Bekenntnis und Religionsausübung ist, bei den Religionsgemeinschaften lässt. Der Staat kann das Ganze nur auf Plausibilität hin überprüfen. Das ist allerdings in bestimmten Bereichen dringend erforderlich. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass andere verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte wie körperliche Integrität oder Recht auf Leben eingeschränkt werden unter Berufung auf eine vermeintliche religiöse Regel.

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Die Stichworte sind bekannt: Zwangsheirat, Blutrache, Ehrenmord. Kann der Staat so etwas unter dem religiösen Deckmäntelchen hinnehmen?

Schluckebier: Da muss man zunächst fragen, inwieweit das überhaupt religiös verwurzelt ist. Oftmals wird das in der Diskussion so verbrämt. Aber gerade Blutrache und Ehrenmord haben ja weniger etwas mit Religion zu tun, sondern mit althergebrachten Vorstellungen von Ehre. Da sehe ich nicht die Glaubensfreiheit im Spiel. Und wenn wir dann doch eine solche Konstellation hätten, dann ist völlig klar, dass die gegenläufigen Grundrechte es nicht zulassen, dass man sich für solche Taten auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit beruft.

Was macht Sie denn zuversichtlich, dass verschiedene Religionen und Kulturen in Deutschland friedlich zusammenleben können?

Schluckebier: Die großen christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden haben traditionell immer Wert darauf gelegt, dass es in Deutschland ein friedfertiges Leben gibt. Seit einiger Zeit unterstützen auch die muslimischen Moscheevereine und Dachverbände diese Bestrebungen ausdrücklich und nachhaltig. Die Islam-Charta von 2002, die Grundsatz-Erklärung des Zentralrats der Muslime, macht Mut, dass dort Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung selbstverständlich anerkannt und respektiert werden. Das ist ein Signal an die eigenen Gläubigen und berechtigt zu der Hoffnung, dass wir auch weiter in gesellschaftlichem Frieden mit allen Glaubensrichtungen und den Nichtreligiösen leben können. (epd)