Studie

Jeder Dritte lehnt Sinti und Roma als Nachbarn ab

Unwissenheit und teils offene Ablehnung prägen das Bild von Sinti und Roma in Deutschland. Es besteht dringender Handlungsbedarf für Politik und Gesellschaft. Das geht aus einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervor.

Jede und jeder dritte Deutsche lehnt Sinti und Roma als Nachbarn ab. Das ist ein Ergebnis einer umfassenden Großstudie zu Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma, die am Mittwoch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) vorgestellt wurde. Demnach sind Unwissenheit und teils offene Ablehnung verbreitet.

Mehr noch: Im Vergleich zu anderen Minderheiten wird Sinti und Roma die mit Abstand geringste Sympathie entgegengebracht, wie die Studie ergab. Jeder zweite Befragte denkt, dass Sinti und Roma durch ihr Verhalten Feindseligkeit in der Bevölkerung hervorrufen.

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Lüders warnt
„Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Ablehnung bilden zusammen eine fatale Mischung, die Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma den Boden bereiten“, warnte ADS-Leiterin Christine Lüders bei der Vorstellung der Studie. Sinti und Roma würden von einem beträchtlichen Teil der deutschen Bevölkerung nicht als gleichberechtigte Mitbürger wahrgenommen. Die Befunde seien dramatisch und der Handlungsbedarf von Politik und Gesellschaft erheblich.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, zeigte sich besorgt angesichts der tief sitzenden Vorurteile. Rose kritisierte: „Die von maßgeblichen Politikern wider besseres Wissen betriebene unsägliche Debatte über eine angebliche Armutszuwanderung benutzt ebenso das Feindbild Roma und instrumentalisiert den massiven bestehenden Antiziganismus.“

Wer betrügt, der fliegt
Gemeint dürfte die von CSU Politikern initiierte Kampagne gegen sogenannte Armutszuwanderer sein. „Wer betrügt, der fliegt“, hatten die Christsozialen Ende 2013 gefordert und eine breite Debatte ausgelöst. Über viele Monate berichteten Medien tagein, tagaus über den vermeintlichen Sozialbetrug von Einwanderern aus Osteuropa – gemeint waren in erster Linie Sinti und Roma.

Bemerkenswert ist, dass diese Debatte in die jetzt vorliegende Studie nicht einmal eingeflossen ist. Die Befragung wurde Mitte 2013 durchgeführt, also mehrere Monate vor der öffentlichkeitswirksamen CSU-Kampagne. Zu welchen Ergebnissen die Studie kommen würde, würden die Befragungen heute durchgeführt, lässt sich insofern nur erahnen.

Befragte für Integrationsangebote
Fakt ist hingegen: Diese Debatte führte zu einem Gesetzespaket, wie sie von der CSU gefordert wurde. Zwar kann die Bundesregierung keine Belege für einen übermäßigen Sozialmissbrauch von Bulgaren und Rumänen vorlegen, dennoch sieht das Gesetz unter anderem höhere Strafen, Einreisesperren, kürzere Fristen für Arbeitssuche oder strengere Regularien bei Kindergeld vor.

Kurios: Einen ganz anderen Weg hätten die Befragten eingeschlagen. Auf die Frage, was zu tun ist für „ein gutes Zusammenleben mit den Sinti und Roma“ antworteten die Allermeisten mit „Integrationsangebote“ und „freier Zugang zum Arbeitsmarkt“.

Download: Die Studie „Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung – Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma“ wurde vom Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin) und dem Institut für Vorurteils- und Konfliktforschung e.V. erarbeitet. Sie finden sie hier.

Romani fordert Expertenkommission
Die Studie ist die erste umfassende Untersuchung zu Einstellungen gegenüber Sinti und Roma in Deutschland. Rose hob den Forschungsbedarf zu der Frage hervor, wie die in der heute vorgestellten Studie benannte „Gleichgültigkeit“ denn in einer bestimmten Situation ausschlagen würde, etwa bei einer wirtschaftlichen Krise, wenn Sündenböcke gebraucht würden.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wird deshalb erneut den Deutschen Bundestag auffordern, endlich eine Expertenkommission zum Antiziganismus in Deutschland einzusetzen, deren Aufgabe es sein soll, einmal pro Legislaturperioden dem Parlament einen Bericht vorzulegen, der auch auf einer Folgeumfrage zu der heute vorgestellten Studie basieren soll.

Wichtig sei auch der Aufbau einer Bildungsakademie für Sinti und Roma, eine verstärkte Beteiligung von Selbstorganisationen mittels Staatsverträgen und die Mitarbeit in Gremien und Rundfunkräten sowie einen verbesserten Schutz vor Benachteiligungen durch Behörden und Polizei. (bk)