Sondersitzung im Landtag

Thüringen bittet NSU-Opfer um Entschuldigung

Das Land Thüringen hat sich bei den Hinterbliebenen des NSU-Terrors entschuldigt. Der Untersuchungsausschuss fordert Konsequenzen aus dem Behördenversagen. Grünen- Chef Özdemir fordert indes einen neuen Untersuchungsausschuss im Bundestag.

Thüringen hat die Hinterbliebenen der Opfer des NSU-Terrors um Entschuldigung gebeten. Im Erfurter Landtag sagte Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) am Freitag, sie verneige sich vor den Opferangehörigen „mit Scham, Trauer und der Bitte um Vergebung“. Die Demütigungen durch falsche Verdächtigungen hätten den Schmerz der Opfer zusätzlich vergrößert. Zuvor hatte bereits Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) die Hinterbliebenen und die teils lebensgefährlich Verletzten der Sprengstoffanschläge in Köln um Verzeihung gebeten.

Die Sondersitzung des Parlaments galt dem am Donnerstag veröffentlichten Thüringer Untersuchungsbericht zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Darin wirft der Untersuchungsausschuss den Sicherheitsbehörden schwere Versäumnisse bei den Anfang 1998 begonnenen Ermittlungen gegen die Neonazi-Gruppe vor. Zu den 300 Gästen des Plenums gehörten neben Familienangehörigen von Opfern und Betroffenen des Anschlags von Köln auch der griechische Botschafter und der türkische Generalkonsul.

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Wir schulden Aufklärung
Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) verlas zum Beginn der Sitzung die Namen der Opfer und verwies auf die besondere Verantwortung Thüringens für die Aufarbeitung der NSU-Mordserie. „Wir schulden Aufklärung, warum drei Jugendliche aus Jena zu Neonazis wurden, weshalb sie nicht gestellt wurden und warum von den Ermittlungsbehörden Wissen unterschlagen wurde“, betonte Marx.

Die drei mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe lebten seit 1998 bis zum Aufdecken nach einem Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 unbehelligt im Untergrund. Ihnen wird die Ermordung von neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie einer Polizistin zur Last gelegt. Nachdem Böhnhardt und Mundlos nach dem Eisenacher Banküberfall tot aufgefunden wurden, steht Zschäpe als einzige Überlebende des Trios seit über einem Jahr in München vor Gericht.

Justiz trägt Mitschuld
In der Aussprache forderten Vertreter aller Landtagsparteien nachhaltige Konsequenzen aus dem Behördenversagen. Zudem bekräftigten sie ihre Forderungen nach einem NPD-Verbot. Ministerpräsidentin Lieberknecht und Sozialministerin Heike Taubert (SPD) betonten, gegenüber Feinden der Demokratie dürfe es keine Toleranz geben.

Der CDU-Abgeordnete Jörg Kellner verwies darauf, dass neben Verfassungsschutz und Landeskriminalamt „auch und vor allem die Justiz eine große Mitschuld an den damaligen Vorkommnissen sowie deren verheerenden Folgen trägt“.

Viele Fragen offen
Dirk Adams von der Grünen-Landtagsfraktion forderte, bei Rechtsextremismus dürfe es „nie wieder ein Wegsehen“ geben. Die SPD-Abgeordnete Birgit Pelke erneuerte die Forderung ihrer Fraktion, die NSU-Opfer in Thüringen mit einem Mahnmal zu ehren. Zur Aufarbeitung der offenen Fragen forderte der Untersuchungsausschuss für die nächste Wahlperiode die Weiterarbeit in einem neuen Ausschuss und eine Enquete-Kommission zum Rassismus im Alltag.

Linken-Fraktionsvorsitzender Bodo Ramelow sagte, der Abschlussbericht könne nur Teilerkenntnisse liefern, weil nach dem Aufdecken des NSU „ein hektisches Schreddern in ganz Deutschland“ begonnen habe. Völlig ungeklärt seien beispielsweise die Todesumstände von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach und die „Hinrichtung“ der aus Thüringen stammenden Polizistin Michèle Kiesewetter, stellte Ramelow fest. Kiesewetter wurde im April 2007 im Baden-Württembergischen Heilbronn getötet.

Özdemir fordert Untersuchungsausschuss
Dass sich die Grün-Rote-Mehrheit in Baden-Württemberg weiterhin weigert, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, stößt beim Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Safter Çınar, auf Unverständnis. Die Sache mit einer Enquetekommission bewältigen zu wollen, sei nicht nachvollziehbar.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte angesichts der noch zahlreichen offenen Fragen im Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir brauchen neuen U’ausschuss auch im #Bundestag!“ (epd/mig)