Heiraten als Maß sozialer Integration

Muslimisch-nichtmuslimische Ehen sind akzeptiert, aber selten

Die Bereitschaft zu interkulturellen und interreligiösen Eheschließungen steigt bei Migranten schon in der zweiten Generation deutlich an. In der Praxis sieht es aber anders aus. Ursächlich sind elterliche Vorstellungen über den richtigen Heiratspartner, familiäre Werte und Religiosität.

Interethnische Ehen und Freundschaften gelten in der Forschung als wichtige Indikatoren für die soziale Integration von Minderheiten. Neben dem tatsächlichen Heiratsverhalten und den Freundschaften zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen spielen die Einstellungen dazu eine wichtige Rolle. In meinem Dissertationsprojekt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) habe ich – neben anderen Forschungsfragen – die Einstellungen zu interethnischen Heiraten und das tatsächliche Verhalten von Muslimen in sechs europäischen Ländern untersucht. Wie sind die Heiratsmuster der zweiten Generation? Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Partnersuche? Welche Rolle spielen Eltern und die Religiosität in der Familie? Und wie wirkt sich die Integrations- und Immigrationspolitik bei der Partnersuche aus?

Um die Auswirkungen der Politik auf die Partnersuche zu beantworten, wurden verschiedene international vergleichende Datensätze analysiert, insbesondere der im WZB entstandene EURISLAM-Datensatz. Dieser Datensatz umfasst Informationen über rund 7.000 Menschen ohne Migrationshintergrund und über Menschen muslimischer Abstammung mit jugoslawischem, marokkanischem, türkischem oder pakistanischem Migrationshintergrund in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz. Die Befragten der als muslimisch kategorisierten Migrantengruppe hatten mindestens einen Elternteil mit muslimischem Hintergrund. Diese Länder haben unterschiedliche religiöse Rechte und Strategien im Umgang mit Muslimen entwickelt.

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Untersucht wird die Frage, ob Muslime besser integriert sind in Ländern, die eher liberal mit religiösen Rechten umgehen, oder ob das liberale Gewähren von Rechten die Abgrenzung zwischen religiösen Gruppen verstärkt und zu einer Wiederbelebung religiöser Praxis führt. Die Analysen zeigen, dass weder das Einräumen religiöser Rechte für Muslime, wie zum Beispiel in Großbritannien, noch die restriktive Politik der Schweiz zu einer Rückbesinnung auf die eigene religiöse und ethnische Gruppe führt („reaktive Ethnizität“). Die Integrationspolitik gegenüber Muslimen ist also weder förderlich noch hinderlich für die soziale Integration.

Familienzusammenführungspolitik als Teil der Immigrationspolitik wirkt sich jedoch indirekt auf die soziale Integration und Partnerwahl aus. Basierend auf dem international vergleichenden Six Country Immigrant Integration Comparative Survey (SCIICS) zeigt sich, dass sich Nachkommen von türkischen und marokkanischen Einwanderern in Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Schweden zunehmend einen Partner im Aufnahmeland suchen und transnationale Ehen, also Ehen mit Menschen aus dem Herkunftsland der Eltern, abnehmen, wenn die Politik der Familienzusammenführung strikter wird.

Die Partnersuche wird auch von anderen Faktoren bestimmt. Sie hängt maßgeblich von den Möglichkeiten und der Größe des Heiratsmarkts ab. Insbesondere pakistanische Migranten, die in Westeuropa mit Ausnahme von Großbritannien nur einen geringen Anteil der Muslime ausmachen, greifen auf die Hilfe ihres familiären Netzwerks zurück. Nur ein Bruchteil der geschlossenen Ehen sind arrangierte Ehen. In der zweiten Generation lassen sich auch Mischformen beobachten, bei denen Kinder zusammen mit ihren Eltern nach einem geeigneten Partner suchen. Und dort, wo mehr Migranten aus demselben Land leben, fällt die Wahl in erster Linie auf einen Partner aus der eigenen Gruppe. Gerade für die zweite Generation von Einwanderern eröffnen sich dadurch mehr Möglichkeiten, einen Partner im Aufnahmeland zu finden, der eine ähnliche Sozialisation erfahren hat und in der Regel weniger religiös ist.

Transnationale Ehen bieten für hochqualifizierte Frauen die Chance, einen Partner zu finden. Die wissenschaftliche Literatur interpretiert dieses Ergebnis als eine Emanzipationsstrategie, da eine transnationale Heirat Frauen erlaubt, aufgrund der geografischen Distanz unabhängig von der Familie des Bräutigams zu leben, die die Braut traditionell nach der Hochzeit in ihrem Haushalt aufnimmt. Insgesamt zeigen die Analysen, dass Frauen mit und ohne Migrationshintergrund durch ihre Familie eher protegiert werden, was mit niedrigeren interethnischen Heiratsraten einhergeht. Eine Heirat von Frauen wird dabei teilweise als Verlust für die religiöse Gruppe interpretiert, denn es wird angenommen, dass sich die Religion des Manns durchsetzt und an Folgegenerationen weitergegeben wird.

Heiratsmuster bleiben stabil

Bei der genaueren Untersuchung interethnischer und -religiöser Beziehungen zeigt sich, dass – entgegen theoretischen Annahmen – interethnisches Heiraten in der zweiten Generation nicht generell häufiger vorkommt, obwohl die zweite Generation deutlich positiver gegenüber Ehen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen eingestellt ist als die erste Generation der Muslime. Die Heiratsmuster der zweiten Generation unterscheiden sich jedoch nicht signifikant von denen der ersten Generation, wenn Bildungsunterschiede berücksichtigt werden.

Wodurch lässt sich erklären, dass die Heiratsmuster stabil bleiben? Elterliche Präferenzen für einen bestimmten Heiratspartner spielen eine wichtige Rolle für die soziale Integration, unabhängig vom Alter der Kinder. Die Einflüsse ethnischer Gemeinschaften und elterlicher Sozialisationsziele gehen dabei Hand in Hand. Bildung ist zwar für die Kinder von Immigranten ein wichtiger Weg zur Emanzipierung aus vordefinierten Strukturen und elterlichen Heiratsvorstellungen. Letztendlich ist schulische Sozialisation alleine jedoch keine ausreichende Bedingung für soziale Integration. Die Wahrnehmung, diskriminiert zu werden, erschwert den Integrationsprozess und trägt zur Aufrechterhaltung der sozialen Distanz bei.

Ebenso wichtig ist die Rolle der Eltern ohne Migrationshintergrund, die die Interaktion ihrer Kinder mit Kindern von Einwanderern beeinflussen. Eltern der Mittelklasse üben mehr Kontrolle über die Freizeit und Kontakte ihrer Kinder aus als Eltern aus höheren oder niedrigeren sozialen Schichten. Da der soziale Status von Kindern mit Migrationshintergrund oft unterhalb dem der Aufnahmegesellschaft liegt, assoziieren Eltern ohne Migrationshintergrund möglicherweise sozialen Abstieg mit interethnischem Kontakt und sind besorgter um ihre Kinder als bessergestellte Eltern, die ihre Kinder auf exklusive Schulen schicken, wo es kaum zum Kontakt zu Kindern mit Migrationshintergrund kommt. Es fehlen dann schlicht die Gelegenheiten, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund enge Freundschaften schließen können, was sich später wiederum auf die Partnerwahl auswirkt.

Neben der großen Rolle, die Eltern in Bezug auf die soziale Integration von Kindern spielen, gehen unterschiedliche Formen von Religiosität und familiären Werten mit weniger interethnischen Heiraten und negativeren Einstellungen zu diesen einher. Ausgeübte religiöse Praxis, die das Einhalten von Speisevorschriften und Feiertagen sowie das Tragen religiöser Symbole umfasst, spielt eine größere Rolle als die bloße Identifikation mit einer Religion. Der Zusammenhang ist dabei bei einigen Gruppen stärker ausgeprägt als bei anderen. Insbesondere Migranten aus dem säkulareren ehemaligen Jugoslawien treffen auf eine niedrigere Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, Intergruppenbeziehungen zu akzeptieren. Migranten aus religiöseren Ländern wie Marokko und Pakistan dagegen zeigen eine geringere Bereitschaft, eine Heirat mit einem Partner aus der Aufnahmegesellschaft zu akzeptieren. Sie lässt sich durch den höheren Grad an Religiosität erklären.

Literatur

Carol, Sarah: Is Blood Thicker than Water? The Role of Family and Gender Values for the Social Distance between Muslim Migrants and Natives in Western Europe. Dissertation. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin 2013.

Carol, Sarah: „Intermarriage Attitudes among Minority and Majority Groups in Western Europe: The Role of Attachment to the Religious In-Group“. In: International Migration, 2013. Vol. 51, No. 3, pp. 67-83.

Carol, Sarah/Ersanilli, Evelyn/Wagner, Mareike: „Spousal Choice among the children of Turkish and Moroccan Immigrants in Six European Countries: Transnational Spouse or Co-ethnic Migrant?“. In: International Migration Review (forthcoming 2013).

Zentral für die Erklärung ethnischer Unterschiede ist neben Religiosität familiäre Solidarität. Muslimische Migranten pflegen engere Eltern-Kind Beziehungen, in denen die Kinder im Alter die Verantwortung für ihre Eltern tragen, ihnen Respekt erweisen, ihre Autorität akzeptieren und es als wichtiger einstufen, dem Ruf der Familie nicht zu schaden, als Nicht-Migranten. Darüber hinaus sind nicht nur tatsächliche Unterschiede bei kulturellen und religiösen Werten bedeutsam, auch Wahrnehmungen können sich auf die soziale Distanz auswirken: Je unterschiedlicher Individuen sich in Hinblick auf die Rolle von Religiosität, Eltern-Kind-Beziehungen und vorehelichen Geschlechtsverkehr wahrnehmen, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, eine Ehe mit einem Muslimen beziehungsweise Nicht-Muslim akzeptieren zu können. Die Trennlinie zwischen Gruppen verläuft somit entlang von familiären Werten und Religiosität. Diese Unterschiede können vielleicht auch erklären, warum die Scheidungsraten von interethnischen Ehen über denen von ethnisch homogen geschlossenen Ehen liegen. Das genau zu beschreiben, bleibt ebenso wie die Konsequenzen von gruppenübergreifenden Beziehungen eine Aufgabe künftiger Forschung. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass sich interethnische Heiraten förderlich auf die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund auswirken.

Die Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund ist ein zweiseitiger Prozess, bei dem viele Faktoren zusammenkommen. Auf der Seite der Aufnahmegesellschaft wie auf der Seite der Migranten gibt es immer noch Ressentiments gegenüber interethnischen Beziehungen. Meine Arbeit hat einige Erklärungen wie unterschiedliche familiäre Werte, Geschlechtervorstellungen und Religiosität dafür aufgezeigt. Bildung als wichtiger Motor der Integration schafft die Voraussetzung für Menschen mit Migrationshintergrund, Kontakte aufzubauen. Wichtig ist aber auch, wie offen die Herkunftsfamilien und die ethnische Gemeinschaft sind, und nicht zuletzt, wie groß die Akzeptanz durch die Aufnahmegesellschaft ist.