Mindestens problematisch

Der Holocaust in Schulbüchern

Deutsche Schulbücher und Lehrpläne behandeln den Holocaust ausführlich, jedoch teils ungenau oder gar verzerrt. In anderen Ländern dieser Welt sieht es noch schlimmer aus. In Indien werden die „kompromisslosen nationalen Ideale“ der Nazis sogar gepriesen.

„Hitler hatte seine Absicht, die Juden zu vernichten, schon am 30. Januar 1939 zu erkennen gegeben“. Dieser Satz steht als Einleitung zum Kapitel „Völkermord“ im Schulbuch „Das waren Zeiten 4“. Eine problematische Aussage, kritisiert Schulbuchforscher Peter Carrier. Täterschaft und Verantwortung würden dadurch stark personalisiert, so als sei Adolf Hitler allein für die Massenverbrechen verantwortlich. Unzulässig sei auch die Formulierung, dass jemand in der Pogromnacht 1938 „sein Leben verlor“ im Schulbuch „Denkmal Geschichte 9/10“ – lässt sie doch offen, ob es sich dabei um ein Unglück oder aber um Mord gehandelt hat.

Schulbücher können Einstellungen bis ins späte Erwachsenenalter beeinflussen. Darum sind die Begriffe, mit denen Schulbücher die Verbrechen des Nationalsozialismus vermitteln, wichtig. Verharmlosung, Verfälschung oder Verschweigen können sich negativ auswirken. Die Studie des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts im Auftrag der Unesco „Zur Bedeutung des Holocaust in der schulischen Bildung. Eine globale Bestandsaufnahme von Schulbüchern und Lehrplänen“, für die Peter Carrier verantwortlich zeichnet, untersuchte den Umgang mit den Massenverbrechen der Nationalsozialisten in Schulbüchern und Lehrplänen von 125 Ländern.

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Dabei ergab sich unter anderem, dass die Ermordung der europäischen Juden in Ländern des Nahen Ostens teils ganz ausgeblendet oder mit unscharfen Begriffen gekennzeichnet wird. Indische Schulbuchautoren, die rechtskonservativen Hindu-Parteien nahestehen, preisen laut Carrier die „kompromisslosen nationalen Ideale“ der Nazis und verschweigen den Holocaust. Deutsche Schulbücher und Lehrpläne behandeln den Holocaust ausführlich, jedoch teils ungenau.

Zu diesem Ergebnis kam auch der Geschichtsdidaktiker Thomas Sandkühler in seiner Schulbuch-Untersuchung von 2012. Und Forscher der Freien Universität Berlin hatten vor zwei Jahren herausgefunden, dass jeder vierte befragte Schüler in Deutschland dem Nationalsozialismus gegenüber neutral eingestellt war. Nur jeder Zweite hatte keinen Zweifel, dass das „Dritte Reich“ eine Diktatur war. Viele Jugendliche hatten Schwierigkeiten, Demokratie und Diktatur zu definieren, Schüler aus Nordrhein-Westfalen schnitten damals unter allen Bundesländern am schlechtesten ab.

Möglicherweise hat das auch mit der Qualität des Unterrichts zu tun. Was die Wissensvermittlung in Schulbüchern angeht, empfiehlt Eckhardt Fuchs, stellvertretender Direktor des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, dass neben die Schulbucherzählungen vermehrt Quellen, Zitate und Zeugenaussagen treten sollten.