Sozialpsychologin warnt

Nationalstolz bei Fußball-WM kann in Fremdenfeindlichkeit umschlagen

Der Anblick von schwarz-rot-goldenen Flaggen kann in Fremdenfeindlichkeit umschlagen, warnt Sozialpsychologin Julia Becker anlässlich der Fußball-WM. Bei den Amerikanern sei das ganz anders: Die US-Flagge löse eher Gedanken an Gleichheit und Gleichberechtigung aus.

Von Martina Schwager Donnerstag, 26.06.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.07.2014, 2:13 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Public-Viewing-Partys zur Fußball-Weltmeisterschaft mit einem Meer an schwarz-rot-goldenen Fahnen können die Fremdenfeindlichkeit steigern – vor allem wenn Deutschland verliert. Die Sozialpsychologin Julia Becker warnte in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst angesichts der laufenden WM vor einem allzu gedankenlosen Umgang mit der unübersehbaren Fülle an Fanartikeln in Deutschland-Farben.

Der unbeschwerte Party-Patriotismus, erstmals zur Fußball-WM 2006 in Deutschland heraufbeschworen, sei schon damals ein Märchen und durch nichts zu belegen gewesen, sagte die Professorin der Universität Osnabrück. Studien von damals bis heute belegten im Gegenteil, dass Nationalstolz beim Anblick von schwarz-rot-goldenen Flaggen leicht in Fremdenfeindlichkeit umschlagen könne.

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Fremdenfeindlicher mit Flagge
Sie habe vielfach Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Milieus zu ihrer Einstellung gegenüber Deutschland und gegenüber Menschen anderer Nationalitäten befragt, erläuterte Becker. Die Fragen hätten sie jeweils auf Fragebögen mit und ohne schwarz-rot-goldener Flagge präsentiert bekommen. Das Ergebnis: „Wer sich stark mit Deutschland identifiziert, ist fremdenfeindlicher, wenn er die Flagge vor Augen hat.“

Flaggen könnten eine enorme emotionale Wirkung entfalten, sagte die Professorin. Sie forscht seit Jahren über dieses Thema. Bedenklich aus deutscher Sicht sei, dass die schwarz-rot-goldene Fahne bei einigen Deutschen noch immer Gefühle von Dominanz und Macht hervorrufe. Demgegenüber löse die US-Flagge bei Amerikanern eher Gedanken an Gleichheit und Gleichberechtigung aus. Deshalb sinke auch deren Hang zur Fremdenfeindlichkeit beim Anblick ihrer Fahne.

Aggressive Gefühle nach Niederlagen
Besonders alarmierend für die aktuelle Situation in Deutschland findet die Psychologin einen weiteren Zusammenhang: Wenn sich die fahnenschwenkenden Fußball-Patrioten bedroht fühlten, könnten sogar aggressive Gefühle aufbrechen. Das wäre etwa bei einer Niederlage der deutschen Mannschaft der Fall. Aber auch innergesellschaftliche Bedrohungsszenarien wie eine Wirtschaftskrise oder ein als problematisch empfundener großer Zustrom von Flüchtlingen könnten die feindseligen Gefühle verstärken.

Sie wolle niemandem das Public Viewing vermiesen, betonte Becker: „Es ist nichts dagegen einzuwenden, Fußballspiele in großen Gruppen anzuschauen.“ Und Jubeln für eine Mannschaft findet sie auch in Ordnung. „Aber muss es zu jedem Großereignis Millionen von Fahnen, T-Shirts, Zahnbürsten, Fahrradwimpel und Tassen in den Deutschland-Farben geben?“ (epd/red) Aktuell Gesellschaft

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  1. Heinz sagt:

    Die USA haben auch eine andere Geschichte. Sie haben auch keinen Sozialstaat, in dem die normalen Leute für alle anderen sorgen müssen. Amerikaner sind keine Sozialisten, genau das ist der Unterschied. Hugenotten hin oder her – Deutschland hat eine weitgehend autochthone Geschichte. Das spielt schon eine sehr große Rolle.

  2. Ron sagt:

    @Heinz: Definieren Sie doch bitte mal „normale Leute“.

  3. derspieler sagt:

    lieber heinz

    gesellschaften und länder die ungezwungen mit sich selbst und ihrer geschichte umgehn können , haben einen anderen bezug zu patriotismus ,heimatliebe und „selbstbewusstsein “ , sie sind sich ihrer selbst durch sich selbst bewusst . sie brauchen dafür niemand anderen um sich abzugrenzen .

    anders in deutschland , hier findet man kein einzigen sogenannten /selbst ernannten patrioten der sich nicht dadurch definiert in dem er sich abgrenzt .
    das hat natürlich nicht zuletzt mit der jungen geschichte deutschlands als nationalstaat zutun , und der noch jüngeren als demokratie .

  4. Lionel sagt:

    @derspieler

    Mittlerweile befindet sich die deutsche Demokratie jedoch im Renteneintrittsalter, und seit der 2. Reichsgründung im Jahr 1871 sind es auch schon 143 Jahre.
    Es hat wohl eher mit einem historischen Tunnelblick zun tun, den der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt so charakterisierte:
    „Man kann nicht eine mehr als 1000 jährige deutsche Geschichte seit Otto dem Großen auf 12 Jahre eindampfen.“

  5. Werner Felten sagt:

    selten so gelacht :-)

  6. aloo masala sagt:

    Der Artikel ist irreführend. Im Aufmacher dieses Artikels heißt es:

    —–
    „Der Anblick von schwarz-rot-goldenen Flaggen kann in Fremdenfeindlichkeit umschlagen, warnt Sozialpsychologin Julia Becker anlässlich der Fußball-WM.“
    Bei den Amerikanern sei das ganz anders: Die US-Flagge löse eher Gedanken an Gleichheit und Gleichberechtigung aus.
    —-

    Das Ergebnis der Studie ist im Hauptteil des Artikels untergebracht und klingt völlig anders:

    —-
    Das Ergebnis: „Wer sich stark mit Deutschland identifiziert, ist fremdenfeindlicher, wenn er die Flagge vor Augen hat.“
    —–

    Hier wird plakativ im Aufmacher der Eindruck vermittelt, dass die deutsche Flagge „eher“ fremdenfeindliche Gefühle auslöst, während die US-Flagge eher Gedanken an Gleichheit und Gleichberechtigung auslösen würde.

    Im Haupttext wird dann klar, dass die negative Aussage im Bezug auf die deutsche Flagge sich lediglich auf eine Gruppe beschränkt, die sich „stark mit Deutschland identifiziert“. Es ist unklar, was genau mit „identifizieren“ gemeint ist. Der Titel des Artikels lässt vermuten, dass mit Identifikation eine Form gemeint sein könnte, die Nationalstolz beinhaltet.

    Das Ergebnis ist also: Die deutsche Flagge triggert also nur bei den üblichen Verdächtigen die üblichen fremdenfeindlichen Ressentiments. Das ist nun wirklich keine tiefe Erkenntnis. Für die Wissenschaft mag das ein wichtiger Beleg sein, für den Alltag ist das jedoch trivial.

    Die Gruppe der deutschen „Nationalen“ wird nun mit dem durchschnittlichen Ami verglichen. Das ist ein recht unfairer Vergleich. Fair wäre beispielsweise folgende Frage gewesen: Was für Gedanken und Gefühle löst denn eigentlich der Anblick der US-Flagge bei den Ultrakonservativen aus?

    Im Mittleren Westen und im Süden der USA es bei vielen Konservativen als „Freiheit“ verstanden, wenn das Recht auf Ehe Heterosexuellen vorbehalten ist. Ebenso ist Rassismus weiterhin ein Thema in den USA. Da kann man beim Anblick der US-Flagge noch soviel „Gedanken an Gleichheit und Gleichberechtigung“ machen, gelebt wird es von vielen Menschen „eher“ nicht.

    Am interessantesten fände ich eine Studie, die untersucht, weshalb bei manchen Vorurteilsexperten aus der akademischen Welt und manchen netten Zeitgenossen aus dem linksliberalen bis linken Spektrum der Anblick eines deutschen Fahnenmeers einen Pawlowschen Reflex auslöst und das Feld nach fremdenfeindlichen Gesinnungen absucht.

  7. Wendy sagt:

    Wurden die gleichen Untersuchungen auch zu anderen europäischen Fahnen gemacht? Wie sieht es denn mit den Türkeistämmigen Deutschen aus. Natürlich ewinmal mit deutscher und einmal mit türkischer Fahne.
    Die sieht man ja auch in zig-facher Ausführung bei entsprechenden Spielen.
    Und was ist mit den „Migrationshintergründlern“ die die Deutsche Fahne hissen?
    Wo ist diese „Studie“ denn zu finden? Da würde mich der Fragenkatalog und die Gruppe der Befragten doch mal interessieren. „vielfache Menschen“ ist mir dann doch etwas zu vage.

    Ganz ehrlich – den Millionen von Menschen die -zu entsprechenden Ereignissen ihre Landesfahne – oder sogar nur ihre Farben- benutzen sind sicher alles aber keine „fremdenfeindlich“ eingestellten Menschen.

    Sorry, natürlich giult das nur für Deutsche, nur die dürfen das nicht.
    Käse, mehr ist das nicht…..

  8. Heinz sagt:

    Schon die Staatsbürgerschaft als solche grenzt ab. Ohne den Nationalismus hätten wir keine Demokratie, das vergessen Sie. Die eigene Identität „designt“ man sich nicht, man lebt in ihr. Sie können sich ja auch nicht aussuchen, in welcher Muttersprache sie sprechen. Die wird ihnen in die Wiege gelegt. Menschen unterschiedlicher Tradition sind halt nun mal verschieden. Die Gesellschaften, von denen sie reden, sind oft keine Multikultiländer. Die vielgerühmten demokratischen USA sind ein Land, in dem die Bürger vor lauter Wohlgefühl mindestens eine Kanone im Haus haben. Hinter den Kulissen ist man dort alles andere als tolerant.

  9. Kritika sagt:

    „Bedenklich aus deutscher Sicht sei, dass die schwarz-rot-goldene Fahne bei einigen Deutschen noch immer Gefühle von Dominanz und Macht hervorrufe“. Kann ich absolut bestätigen. Besonders als ich 2010 beruflich in Ostdeutschland unterwegs war, habe ich mich während der damaligen WM an den Abenden nicht alleine in die Stadt getraut, weil manche Personen mit einer derartigen Inbrunst die deutsche Nationalhymne gesungen haben, daß ich es wirklich richtig mit der Angst zu tun bekam. Ich hatte bis dato noch nie persönlich erlebt, mit welcher Hingabe und Leidenschaft (oft auch die älteren Herrschaften) jemand die Hymne gesungen hat. Als ich das hörte, lief es mir kalt den Rücken runter und ich hab mich im Hotel eingeschlossen.

    Es gab mal eine Zeit, da haben sich die Deutsch-Türken diesem Land zugehörig gefühlt, besonders gut zu sehen an den Fähnchen an den Autos (Höhepunkt WM 2006). Seit Sarrazin und NSU habe ich kein einziges Auto mehr mit beiden Flaggen gesehen. Ob da ein direkter Zusammenhang besteht, weiß ich nicht (ich vermute es aber), und wenn ja, dann sagt das einiges für mich aus.

  10. Susi sagt:

    Also ich habe keine Angst, das Deutschlandlied zu singen. Ich bin Deutsche.