Europawahl

Aufklärung ist eine Antwort auf unsere neue Herausforderung

Diese Europawahlen zeigen ganz klar: Rechtspopulisten haben im bürgerlichen Milieu Fuß gefasst. Haben die Falschen die Schlechten gewählt? Das wäre zu einfach und beide Augen zudrücken ist abwegig – Dmitri Stratievski kommentiert die Wahlergebnisse.

Sie nennen sich „euroskeptisch“ oder „patriotisch“. Diese Politiker nehmen ihre Kinder mit auf die Bühne und sprechen „im Namen der künftigen Generation“. Im Kern vertreten sie immer das gleiche Wertebild: Statt ein gemeinsames und solidarisches Europa brauchen europäische Rechtsradikale und Rechtspopulisten ein Europa des Nationalegoismus und der Ausgrenzung.

In der vergangenen Wahlwoche legten die Parteien rechts vom konservativen Spektrum in rund der Hälfte der EU-Staaten zu. Alarmierend ist die Lage in Frankreich, Dänemark und Großbritannien. Die deutsche AfD entsendet sieben Abgeordnete nach Straßburg. Dazu wird noch ein NPD-Mitglied im EU-Parlament sitzen. Mehrere Journalisten weisen jedoch auf das (wider Erwarten) relativ schwache Abschneiden der Rechten in einzelnen europäischen Ländern hin. Im österreichischen „Kurier“ heißt es: „Viele Proteststimmen, aber kein “Rechtsruck“. Schön wär’s! Das scheint mir aber zu kurz zu greifen. Hinter der neuen Konstellation verbergen sich neue Risiken.

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Zum einen behält die Phrase „Jeder Rechtsgesinnter im Parlament ist einer zu viel“ immer noch ihre Aktualität. Alle Europaabgeordneten können politische Werkzeuge Europas in Anspruch nehmen. Sie beschäftigen Mitarbeiter, verfügen über eigene Büros im machtpolitischen Zentrum der Union, versorgen Nachrichtenagenturen der Welt mit Presseerklärungen und können Veranstaltungen und Konferenzen für die Medien und Öffentlichkeit organisieren. Ein Mensch mit Mandat erreicht weite Kreise und spielt in einer anderen Liga als zuvor. Eine Gesprächsrunde mit Udo Voigt im Straßburger Pressezentrum oder im Europäischen Haus am Pariser Platz in der deutschen Hauptstadt? Das kann demnächst Realität werden. Die „Kämpfer“ gegen die „Brüsseler Bürokraten“ werden wohl gerne die europäischen Machtmechanismen ausnutzen, um die europäische Einheit und Demokratie zu schwächen.

Zum anderen zeigt das Wahlergebnis deutlich, dass die Rechtspopulisten im bürgerlichen Milieu Fuß gefasst haben. Rhetorisch begabte Krawattenträger von der AfD sorgten für die CSU-Schlappe. Neben der Hetze gegen Europa jagte die „Alternative“ nach dem Phantom der „Armutszuwanderung“ und punktete damit. Der Einsatz hat sich gelohnt. Das kann einige Politiker aus etablierten Parteien dazu bewegen, im Kampf um die Wählerstimmen diese Rhetorik zu übernehmen.

Schließlich bauen alle rechtspopulistiche Parteien ihr politisches Tagesgeschäft mithilfe der migrantenfeindlichen Parolen auf. Die Ablehnung der Andersaussehnenden und Anderssprechenden scheint eine globale und unabdingbare Begleiterscheinung der Rechtspopulisten zu sein. Die „europakritischen“ Big-Bosse führen sich im Recht zu entscheiden, wer „gut“ oder „ungenügend“ integriert wird, wer seiner Wahlheimat „zugutekommt“ oder potentiell „Sozialsysteme missbrauchen“ kann. In Kürze werden sie eine neue Bühne für ihre Hasspredigt und ihr demagogisches Wortgeklingel haben.

Welche Gegenstrategie ist hier denkbar? Es reicht bei weitem nicht aus zu sagen: die Falschen wählen die Schlechten. Beide Augen zudrücken ist abwegig. Eine Antwort auf unsere neue Herausforderung heißt die Aufklärung. Immanuel Kant beantwortete 1784 die gestellte Frage nach der Bedeutung der Aufklärung wie folgt: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit… Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Ein Anzeichen des Widerstandes gegen die rechte Denkweise in Form von Textbeiträgen, Gesprächen oder Protestaktionen kann die Sinnlosigkeit dieser Ideologie offenlegen und weckt den Verstand der Menschen. Selbst wenn ein Udo Voigt eines Tages auf europäischer Ebene vortragen wird, würde ich mir wünschen, dass dies vor leeren Stühlen in einem von wütenden Bürgern belagerten Raum stattfindet.