Interview mit Holger Klatte

„Niemand ist völlig vorurteilsfrei in seinem Denken“

Ist man schon rassistisch, wenn man einen „Zigeunerschnitzel“ bestellt? Und ist es schon rassistisch, wenn Unterschiede benannt werden? Im Gespräch mit dem MiGAZIN erklärt der Geschäftsführer des Vereins Deutscher Sprache, Dr. Holger Klatte, vor welchen Herausfoderungen die deutsche Sprache steht.

Wo fängt Rassismus Ihrer Meinung nach an?

Holger Klatte: Die allgemeinen Vorstellungen sind wohl klar. Wer andere wegen ihrer Herkunft, ihrer Sprache, ihrer Religion, ihres Aussehens oder anderer Merkmale benachteiligt oder beleidigt, denen darf man Rassismus vorwerfen. Aber so ein Vorwurf wiegt schwer. Deswegen ist diese Frage in vielen Situationen des Alltags nicht leicht zu beantworten. Wenn jemand z.B. ein

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„Zigeunerschnitzel“ bestellt, halte ich es noch unwahrscheinlich, dass eine rassistische Einstellung dahintersteckt. Gerade über die Frage, ob bestimmte Wörter rassistisch sind, gibt es viele Vorstellungen. Ich stimme zu, dass wir uns anderen gegenüber respektvoll ausdrücken sollten, aber Sprechgewohnheiten sind eben nicht so leicht zu verändern. Manchmal kann auch bereits ein Blick oder eine unbewusste Reaktion als rassistisch gedeutet werden, obwohl das überhaupt nicht beabsichtigt war. Solche Missverständnisse kommen übrigens nicht nur in Deutschland vor.

Gibt es auch Rassismus-Vorwürfe in Deutschland, die Sie für übertrieben halten?

Dr. Holger Klatte ist Germanist und Geschäftsführer des Vereins Deutsche Sprache. Der Verein wurde 1997 zur Wahrung der deutschen Sprache gegründet. Nach eigenen Angaben verfolgt der Verein das Ziel „die deutsche Sprache als eigenständige Kultursprache zu erhalten und zu fördern.“ In den Sprachpolitischen Leitlinien des Vereins heißt es: „Wir fordern nicht, dass das Deutsche grundsätzlich von englischen Fremdwörtern freigehalten oder vor ihnen ‚geschützt‘ werden soll. Das Deutsche ist wie viele andere Sprachen Europas eine Mischsprache. Der Wortschatz des Deutschen wird durch Wörter und Wendungen aus anderen Sprachen bereichert.“

Klatte: Manchmal gilt es bereits als „Rassismus“, wenn Unterschiede benannt werden. Gerade wenn es um alltagssprachliche Äußerungen geht, sollten wir mit Urteilen vorsichtig sein. Eine Freundin erzählte mir kürzlich Folgendes: Sie stand im Baumarkt an der Kasse und sollte der Kassiererin erklären, welcher Mitarbeiter ihr eine bestimmte Farbdose gegeben hatte. Weil sie weder Namen noch andere Unterscheidungsmerkmale hatte, identifizierte sie ihn anhand seiner Hautfarbe, denn er war schwarz. Das traute sie sich aber nicht zu sagen, bzw. sie wusste nicht, wie sie das eigentlich ausdrücken konnte, ohne als rassistisch angesehen zu werden. Sie sagte dann „der Dunkle“. Die Kassiererin verstand trotzdem nicht, wer gemeint war, und die Freundin fühlte sich schlecht, weil sie grundlegende Ausdrucksweisen ihrer Muttersprache nicht richtig anwenden konnte. Ich habe den Eindruck, dass die Unsicherheit darüber zunimmt, wie oder ob man vermeintlich belastete Wörter verwenden darf.

Glauben Sie, dass die Fremdenfeindlichkeit durch Brennpunkte mit einem hohen Migrantenanteil zunimmt?

Klatte: Nein, nicht unbedingt. Es ist eher eine Frage, wie man das Zusammenleben organisiert. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft ein Stadtbild prägen, ist das auch ein Zeichen dafür, dass das zu einer Gesellschaft dazugehört. Trotzdem ist das Gefühl der Fremdheit sicherlich auf beiden Seiten vorhanden. Dass daraus viele Konflikte entstehen, ist mir (als Dortmunder) schon klar. Deswegen muss ein Austausch stattfinden. Dieser Austausch kommt nicht immer von alleine zustande. Behörden und die Politik müssen Anlässe und Anreize schaffen. Für grundlegend und selbstverständlich halte ich, dass alle sich auf Deutsch verständigen können.

Wo sehen Sie in Deutschland bewusste und unbewusste Vorurteile?

Klatte: Niemand ist völlig vorurteilsfrei in seinem Denken. Auch diejenigen nicht, die sich für tolerant und weltoffen halten. Die meisten Menschen in Deutschland haben gar keinen Kontakt zu Zuwanderern und deswegen kaum Gelegenheit, Vorurteile durch eigene Erfahrungen abzubauen oder sich auf unterschiedliche Kulturen einzustellen. Deswegen sehe ich aber nicht überall Rassismus. Ich meine, in den meisten Situationen kann man es ansprechen und klären, wenn Menschen wegen ihrer Herkunft anders behandelt oder angesehen werden.

Der Begriff „Fremdenfeindlichkeit” sagt es ja schon: der Hass gegen das “Fremde”. Liegt hinter diesem Hass die Angst vor dem “Fremden”? Warum gibt es diese Angst?

Klatte: Auch wenn ein Gefühl der Fremdheit wohl jeder kennt, ist das keine Rechtfertigung dafür, dass daraus Feindlichkeit oder Hass wird. Bis zu einem bestimmten Grad ist es normal, dass sich eine Spannung einstellt, wenn ich in ein anderes Land reise, manchmal sogar, wenn ich eine ungewohnte Situation mit Fremden bewältigen muss. Wie daraus Angst oder gar Hass entstehen kann, hängt von vielen anderen Umständen ab und kann pauschal wohl kaum beantwortet werden. Aber weil es etwas gab wie den NSU – oder mir fällt da auch der rassistisch motivierte Amoklauf vor einigen Jahren in Schweden ein – zeigt das, dass wir schon daran scheitern, solche Entwicklungen zu erkennen.

Das Thema Rassismus ist ja auch recht diffus. Es gibt nicht nur die einen, die fremdenfeindlich sind und die anderen, die es nicht sind. Dazwischen gibt es viele Nuancen. Wie sollte man das Thema angehen?

Klatte: Deutschland war kulturell nie vielfältiger als heute. Auch die europäische Einigung hat dazu beigetragen, dass sich unser Verständnis gegenüber Menschen aus anderen Ländern verändert hat. Aber lange Zeit hat man nicht erkannt, dass besondere Anstrengungen und Veränderungen notwendig sind, um Konflikte zu vermeiden. Wenn Jugendliche in Ballungsräumen nur schlecht Deutsch beherrschen, hat man die Sprachförderung schlichtweg versäumt. Denn in einer Schulklasse, in der zwei Drittel der Kinder nicht Deutsch als Muttersprache sprechen, muss sich auch der Unterricht darauf einstellen. Ich habe auch den Eindruck, dass sich hier in den vergangenen Jahren einiges verbessert hat.