Ohne uns persönlich zu kennen, verabredeten wir uns vor einiger Zeit zu einer Kneipentour. Wissenschaft trifft Kabarett – und genau so war es. Wir sprachen kurz über unsere Heimatstädte, Dortmund und Köln, ganz kurz über die Situation in den Herkunftsländern unserer Eltern, Syrien und Türkei, aber hauptsächlich über die üblichen Themen: Arbeit, Familie, Fußball und die Lage der Nation.
Wir scheinen dabei einen offenen Eindruck gemacht zu haben, kontinuierlich stellten sich Menschen zu uns und diskutierten mit. Die Kneipentour entwickelte sich nach und nach zu einer Milieustudie. Diese vielen verschiedenen Gespräche gingen früher oder später in dieselbe Richtung: „Wenn doch alle so wären wie ihr“. In den Gesprächen musste notgedrungen darüber gesprochen werden, was mit „alle“ und wer mit „ihr“ gemeint ist. Mit Bier und Zigarette lässt sich das Ganze sehr entspannt diskutieren.
Ein Mann fragte etwas unbeholfen: „Darf ich euch zuhören?“ Und er durfte sogar mitreden. Irgendwann kam, was kommen musste: „Du hast eine ganz andere Kultur“. Gegenfrage: „Wie hast du das denn jetzt festgestellt?“ Reaktion: Stottern. Der Gesamtschullehrer wagte einen neuen Anlauf: „Ich meine, ihr könnt euch doch viel besser in die jungen benachteiligten Migranten hineinversetzen.“ Nachdem er ausführlich und in politisch korrekter Sprache geschildert hatte, was für Probleme seinen Schulalltag prägen, musste einer von uns beiden resümieren: „Du machst deinen Job seit 10 Jahren und redest so, als wärst du Berufseinsteiger. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass einer von uns das besser könnte als du, nur weil wir schwarze Haare haben! Ich glaube, du hältst von deinem eigenen Berufsstand weniger als ich.“ Zu unserer Überraschung hat uns der Studienrat für diesen kritischen Einschub eine Runde Schnaps spendiert – er hat es genau so verstanden, wie es gemeint war: kritisch und anerkennend zugleich.
Im Laufe des Abends kam ein junger Polizist, vielleicht Mitte 20, dazu. Er fand uns offenbar derart nett, dass er uns ganz unverfroren über sein Tätigkeitsfeld berichten musste: Er beschäftige sich mit Roma. Und er klärt uns in gutem Beamtendeutsch auf: Je nach Herkunftsregion hätten sich Roma auf eine andere Form der Kriminalität spezialisiert. Aber mehrfach betont er: „Alle Roma sind so, die sind einfach so. Das ist zum Kotzen!“ Einem von uns wird es zu bunt: „Hör mal, wir können darüber reden, ob ihr unterbesetzt seid, ob Polizisten Supervision benötigen oder so, aber du kannst dich nicht darüber beschweren, dass du als Polizist mit Verbrechern zu tun hast. Und so menschenverachtend über eine ganze Gruppe zu sprechen und zu denken, ist echt keine gute Lösung.“ Er lacht und erwidert plump: „ Sozialromantik, hör auf, das ist Sozialromantik!“ Ein Begriff, den man des Öfteren auch von bekannten Polizeifunktionären hört und der offenbar genauso zur Ausbildung bzw. Einsozialisation in den Beruf gehört, wie das Racial Profiling. „Woran soll man denn sonst entscheiden, wen man kontrolliert?!“, stellt der Jungpolizist rhetorisch fragend in den Raum. Wenn wir ehrlich sind, entstand bei uns der Eindruck, als würde sich die Polizei zu einer lupenreinen Parallelgesellschaft entwickeln – oder war sie das schon immer? Zuletzt kommt aber die Erlösung, naja, unsere Erlösung: „Ihr seid voll korrekt!“ Überhaupt seien Türken nicht mehr das große Problem, stellt er altklug fest.
Wir konnten wahrnehmen, was unser Bundesinnenminister kürzlich auch festgestellt hatte: Das Reden über Migration und Integration ist seit der Sarrazin-Debatte ehrlicher geworden – ja, genau: ehrlicher! Der selbsternannte Kritiker des Tugendterrors hat selbst eine Tugend gefördert. Und wir wissen, Ehrlichkeit ist nicht immer schön. Im Gegenteil: In manchen Kontexten ist Ehrlichkeit das Gegenteil von Höflichkeit, manchmal sogar das Gegenteil von Vernunft. Aber in jedem Fall weiß man, woran man ist.
Und wir sind ganz offenbar die Gewinner einer Ausgrenzungspraxis. Jung, aber nicht zu jung. Exotisch, aber nicht zu sehr. Akzentfrei, aber mit regionalem Dialekt. Trinken gerne Bier, manchmal auch viel. Gute Zuhörer, sehr gute. Unsere Gesprächspartner haben uns deutlich gemacht, dass wir erwünscht sind. Was nett gemeint war, ist doch ganz bemerkenswert: Während wir selbstverständlich da sind, weil wir nie woanders waren, besteht das Bedürfnis, uns willkommen zu heißen. Während wir beide – wie unzählige andere – längst (in) Deutschland mitgestalten, wird uns mitgeteilt, dass wir dazugehören (dürfen). Hinz und Kunz sehen sich auf der Grundlage optischer Merkmale wie selbstverständlich zu Juroren avanciert. Wobei unser Erscheinungsbild noch deutlich zugänglicher ist als unsere (Nach-)Namen.
Aus Fatih Çevikkollu und Aladin El-Mafaalani lässt sich auch nicht ohne weiteres ein griffiger Kolumnentitel ableiten. Daher wird das Programm zum Namen: „Kanaken schnacken: Deutsche unter sich“. Der humorvollere von uns beiden kam auf den ersten Teil des Namens, der andere ergänzte passend. Dem Trend zur Ehrlichkeit folgend geht es auch in den nächsten Folgen schonungslos weiter, Thema: „Der Türke als Teilzeitdemokrat“.