Zeugin mit Kopftuch

Richter möchte unbedingt die Ohren sehen

Ein Richter verlangt von einer Zeugin, das Kopftuch abzunehmen, hilfsweise könne sie auch nur ihre Ohren zeigen. Wie eine Verhandlung über zwei kleine Knöllchen vor dem Amtsgericht Tiergarten zu einer Verhandlung über Kopftücher wurde.

Osman, seine Frau Zehra und ihr Rechtsanwalt Muharrem Aras hatten sich auf einen kurzen Prozess eingestellt. Streitgegenstand waren zwei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. Insgesamt ging es um Bußgelder in Höhe von 55 Euro. – nichts Großes also. Dennoch werden die Drei die Verhandlung vor dem Amtsgericht am Tiergarten in Berlin am Dienstagmittag so schnell nicht vergessen. Nicht die Ordnungswidrigkeit stand im Mittelpunkt des Geschehens, sondern das Kopftuch von Zehra. Was war passiert?

Der Richter fordert die Zeugen im Gerichtssaal auf, den Raum zu verlassen. Daraufhin geht auch Zehra in Richtung Tür. Als der Richter das bemerkt, wendet er sich Osmans Anwalt zu. Wenn Zehra als Zeugin aussagen wolle, müsse sie vorher ihr Kopftuch abnehmen. „Ich habe das im ersten Moment für einen schlechten Witz gehalten“, erklärt Aras gegenüber dem MiGAZIN. Doch der Richter meint es ernst.

___STEADY_PAYWALL___

Ausgerechnet ein Richter
Zehra, seit über 45 Jahren in Deutschland, seit fast 20 Jahren deutsche Staatsbürgerin, ehrenamtlich engagiert, Gründungsmitglied einer Mieterinitiative in ihrem Kiez gegen hohe Mietpreise, Krankenschwester von Beruf, ist geschockt. „Ich war noch nicht aus der Tür, als der Richter das gesagt hat“, erklärt Zehra. „Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Wie ist so etwas möglich?“, möchte sie wissen. „Ich dachte, wir leben in Deutschland, in einem Rechtsstaat. Wie kann es sein, dass ausgerechnet ein Richter einen auf Sarrazin tut?“, sagt sie.

Glücklicherweise wird ihr Ehemann von einem selbstbewussten Anwalt vertreten. Er widerspricht dem Richter gleich und stellt einen Befangenheitsantrag. Der wird zwar postwendend abgelehnt, geht beim Richter aber nicht spurlos vorbei. Er gibt nach. Wenigstens die Ohren freimachen solle die Zeugin, meint der Richter. Wahrscheinlich um zu sehen, ob Zehra rot an den Ohren wird, sollte sie lügen. Eine andere Erklärung für dieses Verlangen gibt es nicht.

Einfach nur enttäuscht
Osman kann nicht glauben, was er sieht und hört. Sein Anwalt und der Richter streiten sich nicht über die beiden Knöllchen, sondern über das Kopftuch seiner Frau. „Im ersten Moment war ich überrascht. Erst nach einigen Sekunden wurde mir bewusst, was da vor sich ging. Der Richter hat uns mit seiner Aufforderung klar zu erkennen gegeben, dass er uns nicht akzeptiert. Dass wir ausgerechnet von einem Richter so behandelt werden, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich bin einfach nur enttäuscht“, sagt der Berliner.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung spielt Zehras Kopftuch keine Rolle mehr. Sie braucht nicht einmal mehr auszusagen, weil der Richter die beiden Bußgeldbescheide gegen Osman einkassiert hat. (es)