Deutschland

Ein Entwicklungsland in der Antidiskriminierungspolitik

Der fünfte ECRI Bericht des Europarates stellt Deutschland im Kampf gegen Rassismus ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Es gibt zwar positive Entwicklungen aber die Mängelliste ist lang: rassistische Gewalt, Diskriminierung im Bildungssystem, schutzlose Opfer sowie untätige Behörden.

In seinem fünften Bericht stellt die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. Es gebe zwar positive Entwicklungen, doch es bestehe in vielen Bereichen nach wie vor Anlass zur Sorge.

Positiv wird etwa der NPD Verbotsantrag des Bundesrates hervorgehoben oder die erneute Untersuchung von ungeklärten Mordenfällen nach möglichen rassistischen Motiven. Auch die Erwägung der Justizministerien, Polizei und Staatsanwälte bei rassistisch motivierten Straftaten stärker in die Pflicht zu nehmen, sei ein Fortschritt. Gelobt werden außerdem Pläne, wonach die individuelle Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund vorgesehen ist oder die steigende Zahl von Arbeitgebern, die die Diversitätscharta unterzeichnet haben.

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Keine Statistik über Rassismus
Die Liste der Mängel hingegen ist ungleich länger. ECRI bemängelt unter anderem, dass Deutschland das Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention bis heute nicht ratifiziert hat. Rassistische Motive müssten strafverschärfend wirken und in das Strafgesetz aufgenommen werden. „Im Bereich Aufstachelung zum Hass gibt es einen erheblichen Grad von Straffreiheit“, wird in dem Bericht bemängelt.

Laut ECRI ist die Zahl der Morde und das Ausmaß von rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland seit der Wiedervereinigung hoch. Es gebe aber nicht einmal eine verlässliche statistische Methode, um das Ausmaß zu messen. Die Versäumnisse bei den Ermittlungen über die NSU Morde unterstrichen das Problem. Auch in Gerichtsurteilen würden rassistische Motive nur in einer verschwindend geringen Zahl angeführt.

Rassismus zu eng ausgelegt
Allgemein werde der Begriff Rassismus in Deutschland häufig zu eng ausgelegt und mit organisierten Gruppen verbunden. „Der rassistische und besonders der fremdenfeindliche Charakter in Teilen der öffentlichen Debatte wird immer noch nicht ausreichend verdeutlicht“, so der Europarat. Beispielhaft führt ECRI die Diskussion um Thilo Sarrazin auf. Kritisiert wird unter anderem die Einstellung des SPD-Parteiausschlussverfahrens oder auch die Abweisung einer Strafanzeig egegen Sarrazin. Mit gutem Grund habe CERD beschlossen, dass das Ausbleiben einer wirksamen Ermittlung nach den Äußerungen von Sarrazin eine Verletzung der Konvention über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung darstellt.

Insgesamt fehle es den Opfern von rassistischen Taten oder von Rassendiskriminierung an Unterstützung seitens der staatlichen Stellen. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beispielsweise könne aufgrund mangelnder Ressourcen nicht wirksam agieren.

Erhebliches Maß an versteckter Diskriminierung
ECRI bemängelt zudem, dass der Aktionsplan gegen Rassismus und Intoleranz seit 2008 nicht überarbeitet wurde und der Nationale Aktionsplan für Integration keinen Abschnitt über die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz enthalte. Letztere sei zudem vage formuliert, dem Plan fehle es an verpflichtenden Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen.

Ein weiteres Defizit macht ECRI im Bildungssystem aus. „Die Lehrkräfte sprechen mit einer dreimal höheren Wahrscheinlichkeit eine Empfehlung für das Gymnasium aus, wenn das Kind einen höheren sozioökonomischen Status aufweist, was sich nachteilig auf Kinder mit Migrationshintergrund auswirkt“, heißt es in dem Bericht. Vorurteile und ein „erhebliches Maß an versteckter Diskriminierung“ gefährdeten für Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Download: Der Bericht kann hier heruntergeladen werden. Er wurde nach dem Kontaktbesuch der ECRI in Deutschland im März 2013 erarbeitet und berücksichtigt die Entwicklungen bis zum 21.06.2013. Die ECRI ist ein Menschenrechtsgremium des Europarats. Es besteht aus unabhängigen Experten, die Probleme in den Bereichen Rassismus, Diskriminierung aufgrund ethnischer Abstammung, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Religion und Sprache (rassistische Diskriminierung) sowie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz überwacht, Berichte erstellt und Empfehlungen an die Mitgliedstaaten ausspricht.

Beck: Deutschland hat ein Rassismus-Problem
Angesichts dieser Schelte im Prüfbericht des Europarates, fällt auch das Urteil des innenpolitischen Sprechers der Grünen im Bundestag, Volker Beck, scharf aus: „Deutschland ist in der Antidiskriminierungspolitik ein Entwicklungsland“, so der Grünen-Politiker. Deutschland habe ein Rassismus-Problem, das alle gesellschaftlichen Schichten und auch staatliche Behörden betreffe. Das sei durch das staatliche Komplettversagen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie deutlich geworden.

Kritik kommt auch von der Linkspartei. In Deutschland habe man es nicht nur mit Ignoranz zu tun. „Polizeibehörden und Regierungspolitiker leisten dem Rassismus in Deutschland vielfach aktiv Vorschub“, so die migrationspolitische Sprecherin Sevim Dağdelen. „Es müssen sowohl rassistische und diskriminierende Agitation und Hetze wie bei der Debatte um eine angebliche Armutsmigration verhindert als auch diskriminierende und ausgrenzende Gesetze und Vorschriften, die Migranten durch die Einschränkung ihrer Rechte gegenüber Deutschen als ’nicht gleichwertig‘ stigmatisieren, abgeschafft werden“, so Dağdelen weiter.

Jelpke: Racial Profiling abschaffen
Jelpke ergänzt: „Ermittlungsbehörden müssen bei Gewaltkriminalität dazu verpflichtet werden, einen möglichen rassistischen Tathintergrund zu berücksichtigen, wenn die Identität des Opfers oder Zeugenaussagen dazu Anlass geben. Das ist eine wesentliche Lehre aus den Versäumnissen der Sicherheitsbehörden bei der NSU-Mordserie“.

Auch polizeiliches Handeln befördert laut Jelpke Rassismus in der Bevölkerung. Allein im vergangenen Jahr wurden von der Bundespolizei bei der Suche nach Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis rund 380.000 Personen allein aufgrund ihres vermeintlich nichtdeutschen Aussehens in Zügen und Bahnhöfen kontrolliert. „Dieses ‚Racial Profiling‘ ist ganz klar grundgesetzwidrig, die Befugnis zu solchen Kontrollen muss endlich wieder abgeschafft werden“, so die Linkspolitikerin. Unterstützt wird diese Forderung auch von der Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf: „Wir begrüßen die Empfehlung der Kommission, polizeiliche Maßnahmen wie Kontrollen und Durchsuchungen von Menschen immer an einen konkreten Verdacht zu knüpfen.“ (hs)