Nachruf auf Hans-Peter Friedrich

Wir haben einen treuen Feind verloren

Hans-Peter Friedrich hat es nicht verdient wegen der Edathy-Affäre zurückzutreten. Er hat uns in seiner Amtszeit weit bessere Gründe geliefert. Eine Polemik

Ganz ohne Betroffenheit hat man die Nachricht vom Rücktritt des Bundeslandwirtschaftsministers Hans-Peter Friedrich vernommen. Der CSU-Politiker stolpert nun über eine Episode aus seiner Zeit als Bundesinnenminister. Damals hatte er Informationen an den künftigen Koalitionspartner SPD weitergegeben, die der Geheimhaltung unterlagen.

Tatsächlich sind viele Menschen entsetzt und empört über Ereignisse aus seiner Zeit als Innenminister – aber über andere. Der Geheimnisverrat ist zwar aus demokratischer Perspektive ein Skandal, denn er berührt die Gewaltenteilung. Dennoch ist das lange nicht das Schlimmste, das Friedrich als Innenminister angerichtet hat. Der Geheimnisverrat dürfte für kaum jemanden wirklich spürbare Auswirkungen gehabt haben außer für Friedrich selbst und das Spitzenpersonal der SPD.

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Auf einem anderen Gebiet hingegen hat Friedrich tatsächlich eine nachhaltige Wirkung auf die Gesellschaft gehabt – das ist ihm in seiner Amtszeit nicht oft gelungen. Er hat als Innenminister eifrig jede Gelegenheit genutzt – und sie notfalls selbst geschaffen -, sich abfällig über Roma zu äußern. Als Aufhänger dienten dabei entweder die Zahlen der Asylanträge aus Serbien und Mazedonien oder die Zuwanderung von rumänischen und bulgarischen Roma in deutsche Metropolen.

Geistloser Wiederkäuer
Egal, worum es ging, Friedrich geisterte jedes Mal mit denselben Phrasen durch die Medien. Er käute sie in einer Penetranz wieder, dass einem schlecht werden konnte. Über die sogenannte Armutseinwanderung sagte er: „Wer nur kommt, um Sozialleistungen zu kassieren, (…) der muss wirksam davon abgehalten werden.(…) Es kann doch nicht sein, dass sich irgendwann einmal aus ganz Europa die Leute auf den Weg machen nach dem Motto: In Deutschland gibt es die höchsten Sozialleistungen.“ Oder auch: „Die Freizügigkeit umfasst nicht das Recht, Leistungen zu erschleichen.“ In solchen Zusammenhängen bemühte er gern Metaphern wie „Flächenbrand“ oder „Sprengsatz“.

Die steigende Zahl von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien kommentierte er so: „Das ist ein Ausnutzen unseres Systems, und ich nenne es Missbrauch.“ Als das Bundesverfassungsgericht feststellte, dass die Leistungen für Asylbewerber unter dem Existenzminimum lagen, gegen das Grundgesetz verstoßen haben und daher erhöht werden mussten, sagte er: „Das wird dazu führen, dass die Asylbewerber-Zahlen noch weiter steigen, denn es wird für Wirtschaftsflüchtlinge noch attraktiver zu uns zu kommen und mit Bargeld wieder abzureisen.“ Besonders gerne entwarf er realitätsferne Bedrohungsszenarien. In seinen Äußerungen suggerierte er stets, dass die allermeisten Roma vor allem nach Deutschland kommen, um hier Sozialleistungen zu schmarotzen.

Er selbst schien sich für einen klugen Kopf zu halten, der die wirklich großen Bedrohungen unserer Zeit erkannt und direkt mögliche Lösungen gefunden hatte. Tatsächlich war er eher ein geistiges Teelicht, das ein paar Zahlen aufgeschnappt hatte und deshalb einen komplexen Zusammenhang verstanden zu haben glaubte.

Bei seinen Lösungsvorschlägen – etwa bei der Idee, rumänische und bulgarische, also EU-Staatsbürger auszuweisen – hatte man den Eindruck, dass er es zum Bundesminister gebracht hat, ohne sich mit politischen Realitäten wie etwa dem europäischen Recht jemals beschäftigt zu haben.

Nur Klischees und Hetze
Friedrich sprach nicht immer explizit von Roma, hetzte aber vielleicht gerade deshalb umso wirkungsvoller. Er bediente das jahrhundertealte Klischee des Zigeuners, der herumgaunert und nur von dem lebt, was andere erarbeitet haben. Vermutlich ist Friedrich selbst das – wie so vieles andere – gar nicht so bewusst, ebenso wenig wie den meisten Deutschen. Aber bekanntlich entfaltet ja das kollektive Unbewusste häufig eine noch größere Wirkung als das Bewusste.

Auf dem Höhepunkt der Debatte über sogenannte Armutseinwanderung glaubten fast zwei Drittel der Deutschen, die meisten Ausländer kämen nur der Sozialleistungen wegen nach Deutschland. Und unter den in Deutschland lebenden rumänischen und bulgarischen Roma (EU-Bürger, wohlgemerkt) ging die Angst um, man könnte sie gezielt ausweisen, wie in Deutschland schon mal geschehen, wenn auch mit anderem Ausgang.

Das alles ist nicht nur mit dem Innenminister-Effekt zu erklären, nach dem selbst vorher ganz vernünftige Politiker sich zu reaktionären Egoisten entwickeln, sobald sie Innenminister sind. Friedrich brachte seine hervorstechenden Eigenschaften schon mit ins Amt: seine ganz eigene Mischung aus Unbelehrbarkeit und einer Neigung zu populistischer und rassistischer Hetze. Es war faszinierend zu beobachten, wie er es schaffte, seine rassistischen Vorurteile über Jahre hinweg gegen jedes bessere Wissen zu schützen. Wie er seine unqualifizierten Plattitüden der Bedrohung durch Sachkenntnis entzog oder im Zweifelsfall einfach trotzdem auf ihnen beharrte. Man rieb sich die Augen angesichts der Hemmungslosigkeit, mit der er Maßnahmen vorschlug, die außer Rassismus und Populismus keinerlei inhaltliche Substanz hatten, weil sie europarechtlich überhaupt nicht möglich sind, wie etwa die Ausweisung von EU-Bürgern.

Friedrichs Parallelwelt
Da lebte jemand mindestens ebenso sehr in seiner Parallelwelt, wie er selbst es den Roma vorwarf. Es ließ einen schaudern, einen Menschen zu beobachten, der sich ganz offensichtlich für nichts zu blöd oder zu schade war. Vor allem aber erfüllte dieser fränkische Hohlkörper, der zeitlebens jede Selbstkritik standhaft verweigert hatte, einen mit Abscheu und Ekel. Dafür musste man nur die Menschen kennen, die unter seiner Hetze zu leiden hatten, und sehen, was er bei jenen anrichtete, die es ohnehin schon zu schwer haben in Deutschland.

Verglichen mit dieser geistigen Brandstiftung, mit Hetzkampagnen gegen eine Minderheit, die überall in Europa ganz unten steht und in Deutschland vor 80 Jahren noch verfolgt worden ist, ist die Weitergabe einer vertraulichen Information an einen anderen Politiker doch kaum der Rede wert.