Von Heimat und Muttererde

Die Geschichte eines muslimischen Friedhofs in Deutschland

Erst seit einigen Jahren vollzieht sich in Bundesländern ein Sinneswandel – immer mehr muslimische Friedhöfe entstehen. Dabei ist die Bestattung von Muslimen in Deutschland nach islamischen Regeln nicht neu, wie die Entstehungsgeschichte der muslimischen Gemeinde Forchheim zeigt.

Es war im Jahr 1992 – Mahi Ünal, ein türkischer „Gastarbeiter“ der ersten Stunde, nahm uns mit an einen Ort, der vielen Forchheimern bis dato unbekannt geblieben war: Für unseren Film „Als die Gäste blieben“ – ein Porträt der türkischen Gemeinde Forchheims – zeigte er uns das kleine islamische Gräberfeld, das 39 Grabstellen Platz bietet und sich hinter Laubcontainern und Hecken am südlichen Rand des Neuen Friedhofs versteckt. Ein idyllischer, aber auch von Wehmut umgebener Ort: Denn erzählen die Grabsteine nicht auch von Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat waren, die hier – für die meisten wohl in „fremder Erde“– zu Ende gegangen war?

Eine Forchheimer Besonderheit – das muslimische Gräberfeld im Neuen Friedhof

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Am Eingang des islamischen Gräberfeldes Forchheim, Mahi Ünal – Foto: Jochen Menzel , April 1993)

Bevor wir dieses Gräberfeld betraten, hielt Mahi Ünal inne zu einem kurzen Gebet. Der muslimische Moscheeverein – heute die Yunus Emre Moscheegemeinde – hatte ihn beauftragt, hier ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Er führte uns durch die Reihen schmuckloser, uniformer Grabsteine, auf denen unter einem Halbmond und Stern nur der Name, das Geburts- und Sterbedatum eingraviert waren. Wir erfuhren, dass außer wenigen bosnischen Muslimen, hier insbesondere Kinder der ersten türkischen „Gastarbeiter“-Generation begraben waren, deren Leben oft schon mit der Geburt zu Ende gegangen war.

Auf unsere Frage nach den Anfängen dieses Friedhofes – zum damaligen Zeitpunkt gab es in Bayern neben Forchheim nur noch in München ein islamisches Gräberfeld – erwähnte Mahi Ünal in großer Dankbarkeit einen verstorbenen kaukasischen Muslimen mit dem Namen Sultan-Sade.

Die Grabstätte der Familie Sultan-Sade auf dem alten Friedhof

Bild: Murat und Malik Sultan Sade hinter dem Obelisk der Familiengruft, alter Friedhof Forchheim 2011

20 Jahre später, Ortswechsel: der alte Forchheimer Friedhof an der Birkenfelder Straße. Mit Ali Murat und Malik Sultan-Sade stehe ich vor dem schlichten Obelisk des Familiengrabes, in dem beide Eltern bestattet sind: die Mutter, aus Stein bei Nürnberg stammend, und der Vater, dessen Lebensweg in der Kaukasusrepublik Dagestan begonnen hatte und 1988 im fränkischen Forchheim sein Ende fand. Obwohl damals schon das islamische Gräberfeld eingerichtet war, wünschte sich der schwer lungenkranke Mann diese Familiengruft, die nach muslimischem Brauch nicht möglich gewesen wäre.

Forchheim, Sommer 1958, Vater Sultan-Sade mit Sohn Murat und Tochter Farida in der Wohnung Bügstraße, Foto: Nordbayerische Nachrichten 1958

Von Murat und Malik – die beiden Söhne Sultan-Sades leben in der näheren Umgebung Nürnbergs, ihre Schwester Feride in Köln – werde ich vom Lebensweg ihres Vaters erfahren, der so eng mit der Geschichte der ersten muslimischen Gemeinde in Forchheims verbunden ist.

Von Dagestan nach Forchheim – eine Familiengeschichte
Der Weg von Sultan-Sade – mit Vornamen Ali Sultan – reicht zurück bis in die Kaukasusrepublik Dagestan, wo er im Jahr 1915 als Spross einer aristokratischen Familie in Achty zur Welt kommt. Er wird Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie, und als im Zweiten Weltkrieg die deutsche Armee Sewastopol belagert, wird er aus dem Unterricht weg direkt zur Roten Armee eingezogen. Nach der Eroberung von Sewastopol gerät er in deutsche Kriegsgefangenschaft, in der er wie viele andere Muslime aus dem Kaukasus zur Wehrmacht übertritt. Beweggrund war die abgrundtiefe Ablehnung der kommunistischen Sowjetmacht, die seinem kleinen Land nach der Oktoberrevolution die politische, ethnische und religiöse Selbständigkeit genommen hatte. Die Söhne erinnern sich, wie der Vater ihnen vom Leitspruch der zur Wehrmacht übergelaufenen Muslime erzählte: „Allah über uns, Hitler neben uns“. Weitere Kriegs-Stationen führten den Dagestaner Sultan-Sade nach Frankreich und Texel in ein Lazarett, wo ihn die aus Stein bei Nürnberg stammende Krankenschwester Leonore, seine spätere Ehefrau, versorgte.

Nach Kriegsende und der Heirat, nach Zwischenstationen in Flüchtlingslagern in Schwabach und Nürnberg-Langwasser, in denen die drei Kinder zur Welt kommen, zieht die Familie im Jahr 1953 nach Forchheim. Hier war auf Betreiben der Amerikaner, wie die Söhne Malik und Murat berichten, die Bügsiedlung errichtet worden. Diese neu erbauten Häuser – damals im Besitz der Bundesvermögensverwaltung – sollten den vor allem aus Bosnien stammenden Muslimen, die wie Sultan-Sade zur deutschen Wehrmacht übergelaufen waren, eine Bleibe bieten. Teil der amerikanischen Fürsorge war auch die regelmäßige Belieferung mit Carepaketen, an die sich beide gut erinnern.

Die „Bügstraßler“ – die erste muslimische Gemeinschaft Forchheims

Murat und Malik Sultan Sade in der heutigen Bügstrasse

Sohn Murat Sultan-Sade vor der Büg-Siedlung, 14. August 1961 – Foto: Familie Sultan-Sade

Beim Gang durch die heutige Bügstraße wird für die beiden Sultan-Sade-Söhne die Kindheit wieder lebendig. In ihren Erinnerungen war es eine vertraute Gemeinschaft, die sie die Bügstraßler nannten, die zu 80 % aus bosnischen Muslimen bestand. Nach einer Liste, in die der heute 63 jährige Murat aus dem Gedächtnis 19 Namen von muslimischen Familien und Nachbarn eingetragen hat, lässt sich auf eine Gruppe von rund 70 Personen schließen, die damals in der Bügstraße lebte. Beiden Söhnen ist in Erinnerung, dass viele Männer der Nachbarschaft durch Kriegsverletzungen am Auge oder fehlende Körperglieder gekennzeichnet waren.

25. Februar 1963, Büg-Siedlung Forchheim, vor dem Gang zum Feiertagsgebet – In der Mitte mit Fellmütze Sultan Sultan-Sade, dritte von links der bosnische Imam aus Nürnberg Ibrahimovic

Auch diese bosnischen Muslime hatten auf Seiten der deutschen Wehrmacht gekämpft. Da eine Rückkehr in ihre Heimat ausgeschlossen war – ihnen drohte die Todesstrafe, wie die beiden Söhne oft genug vom Vater hörten – wurden sie nach dem Krieg von amerikanischer Seite betreut, wohl auch um sie für Propagandazwecke einzusetzen. So weiß Murat zu erzählen, dass sein Vater während der Nürnberger Zeit häufig nach München fuhr, wo er als Sprecher im amerikanischen Radio Free Europe mitarbeitete. Diese antikommunistischen Propagandasendungen zielten in der Zeit des Kalten Krieges in den Herrschaftsbereich der Sowjetunion, um ihn zu schwächen.

„Bayram“ in der Zentralschule – erste muslimische Feste in Forchheim
Die Bügstraßler verband neben allen Unterschieden der Herkunft der gemeinsame muslimische Glaube. Ihr geistliches Leben war daher eng verbunden mit der islamischen Gemeinschaft in München, für die ein bosnischer Geistlicher sorgte, der häufig auch in Forchheim zu Gast war.

Dass bereits in den frühen Jahren sich der Wunsch nach einem Ort für gemeinsame religiöse Zusammenkünfte regte, belegt ein einzigartiges Foto, das mir Sohn Murat Sultan-Sade überreicht. Es wurde aufgenommen in der damaligen Zentralschule – heute benannt nach dem ehemaligen Oberbürgermeister Ritter-von-Traitteur – wo die Kinder der Familie Sultan-Sade zur Schule gingen. „Wir hatten ja damals keinen Gebetsraum, und mein Vater ist dann auch wieder losgedüst, ist dann zur Schule gegangen, ob es nicht möglich wäre, irgendwie einen Schulraum freizumachen, dass wir zumindest zum Bayram-Fest da beten können. Und das hat tatsächlich geklappt. Sie sehen hier auch eine Aufnahme vom 25.2. 63. Schauen Sie mal, ob Sie meinen Bruder und mich erkennen!“

25. Februar 1963, Bayram im Keller der Forchheimer Zentralschule – dritter von links Malik, schräg dahinter Murat Sultan-Sade

Das Foto zeigt einen kleinen Raum der Schule, den die Mütter in den frühen Stunden geputzt hatten. Die beiden Sultan-Sade-Söhne – sie sind auf dem Foto in Anzug und Festkleidung zu sehen – erzählen. „Wenn man sich vorstellt, wie unsere Mütter vorher mit Schrubber und diesen schweren Eimern dorthin gezogen sind am Morgen und den Raum geschrubbt und geputzt haben. Und dann die Teppiche, die ausgelegt wurden.“ Wie einige Jahre zuvor waren auch diesmal Muslime aus der Umgebung gekommen, um hier den Festtag, den Bayram, nach Ende des Fastenmonats Ramadan zu begehen. Auf eine weitere Besonderheit machen mich die Brüder Murat und Malik aufmerksam: Sie zeigen auf ein junges Geschwisterpaar, am Tisch sitzend, das an diesem Tag vor der muslimischen Gemeinde das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada, ablegen sollte. Die festliche Stimmung dieser kleinen Versammlung kann auch die behelfsmäßige Bescheidenheit und Enge dieses Raumes nicht verbergen. Nach der Erinnerung der beiden Sultan-Sade-Söhne war dieses Fest das letzte, das hier begangen wurde.

Neuer Friedhof Forchheim, 23.April1958 – Die Geschwister Murat und Farida Sultan-Sade vor dem Grabstein eines hier bestatteten Muslimen aus Naltschyn/Kaukasus

Der Wunsch nach einem islamischen Gräberfeld
Körperliche und seelische Kriegsverletzungen drückten sehr auf die Lebenserwartungen der Muslime aus Bosnien und dem Kaukasus. Nachdem die ersten Verstorbenen mangels Alternative auf dem Forchheimer Alten Friedhof bzw. zwischen anderen Gräbern auf dem Neuen Friedhof bestattet wurden regte sich bald der Wunsch nach einer eigenen islamischen Abteilung. „So ergriff unser Vater die Initiative, unterstützt durch den damaligen CSU-Fraktionsvorsitzenden Paul Mikolaschek. Er hatte dabei nur an die bosnischen und anderen Muslime aus der Bügstraße gedacht. Die Türken waren ja noch nicht da.“ Schon am 17. Oktober 1961 beantwortete der Oberbürgermeisters Ritter von Traitteur diesen wohl mehrfach vorgetragenen Wunsch mit einem positiven Bescheid, adressiert an den Vorsitzenden der Islamischen Gemeinschaft München, in deren Namen dieser Antrag gestellt worden war, und an Sultan-Sade „Forchheim, Bügstraße zur Kenntnis“. In dem kurzen Schreiben heißt es: „Auf Ihr erneutes Ersuchen vom 26.6.1961 um Bereitstellung eines Grabfeldes für Angehörige der Islamischen Gemeinschaft Forchheim hat der Stadtrat in seiner Sitzung vom 28.9.1961 beschlossen, die Friedhofsverwaltung anzuweisen, auf die Wünsche der Angehörigen des Islam und auf die Besonderheit ihrer Bestattungsart nach Möglichkeit einzugehen.“

Mit dieser Entscheidung beginnt nun die Geschichte des kleinen islamischen Gräberfeldes. Am südlichen Ausgang des Neuen Friedhofes wird ein Platz gefunden für 39 Reihengräber mit einem auf 15 Jahre begrenzten Belegungsrecht, d.h., ohne Möglichkeit der Verlängerung.

Als erster wird hier am 4.5.1963 der Bosnier Huso Camdic aus der Bügstraße bestattet. Seine Grabstelle wurde vor einiger Zeit aufgelöst und ist inzwischen neu belegt. Die beiden Söhne Sultan-Sades erinnern sich an den Mann, der in ihrer Nachbarschaft lebte und der, nicht einmal 40jährig, plötzlich verstarb:

„Wir hatten ihn immer Huso genannt, das war der Huso, der Familienname war Camdic. Der hat eine Kriegsverletzung am Auge gehabt. Aber er hat nicht das Glasauge gehabt wie beim Mujo, er hat ein Pflaster gehabt. Er war ein schlanker drahtiger Kerl. Er war nicht so dunkel wie die anderen Bosnier, obwohl er auch Bosnier war.“

Doch schon zwei Jahre später, 1965, wird anlässlich des tödlichen Autounfalls von Yüksel Bilal erstmals auch von der türkischen Gemeinde von diesem Bestattungsort Gebrauch gemacht. Bald spricht sich diese einzigartige islamische Bestattungsmöglichkeit herum, und es werden daher in den kommenden Jahren auch Muslime bestattet, die nicht in Forchheim lebten. Auf diese Entwicklung reagiert die Stadt mit einem Schreiben des Oberbürgermeisters an Sultan Sultan-Sade mit dem Hinweis: „Diesen Tatbestand hat der Liegenschaftsausschuss bei seiner Ortsbegehung am 29.9.73 zur Kenntnis genommen und in der Stadtratssitzung vom 25.10.73 beschlossen, dass dies in Zukunft nicht mehr möglich ist. Es müssen vielmehr Gemeinden, in denen Personen mohammedanischen Glaubens sterben, dafür sorgen, dass diese in entsprechenden Abteilungen beigesetzt werden können. …wir bitten um Verständnis für diese Einschränkung, da sonst diese Abteilung sehr schnell vollbelegt sein würde.“ Der Brief geht diesmal auch an die Arbeiterwohlfahrt Forchheim, mit der Bitte, ihn den „türkischen Gastarbeitern“ zur Kenntnis zu geben.

Schnelle Belegung des kleinen Gräberfeldes

Murat und Malik Sultan-Sade vor dem Grabstein des Bosniers Husejn Bajric, – Muslimischer Friedhof Forchheim, 3.8.2012, Foto: Jochen Menzel

Wie groß der Zusammenhalt der bosnischen Muslime damals war, zeigt 1983 die Bestattung von Huseyin Bajric, einem angesehenen Mann aus der Bügstraße, der mehrere Sprachen beherrschte und allgemein als Dolmetscher fungierte. Er war der 2. Vorsitzende der Islamischen Gemeinde Forchheims und hatte sich in dieser Funktion auch im Namen der türkischen Landsleute um den kleinen Friedhof gekümmert. Huso Bajric, sein in Forchheim lebender Neffe, erinnert sich an den Tag der Beerdigung: „Da kamen bestimmt 1000 Menschen zu seiner Beerdigung, eine riesige Menschenschlange von der Aussegnungshalle bis zum Grab.“ Und wenn er heute mit seiner Tochter an diesem Friedhof vorbeigeht, halten beide inne zu einem kurzen Gedenkgebet.

Inzwischen war die türkische Gemeinde schnell angewachsen und zählte bereits Ende der 90er Jahre über 2000 Menschen. So kommt zum Jahresende 1999 eine Aufstellung des Friedhofamtes zum Ergebnis, dass 38 Grabstellen belegt waren und bei 30 Gräbern das Nutzungsrecht bereits abgelaufen war.

Auch erfahren wir aus dieser Übersicht, dass in den Jahren 1963 – 1999 elf Erwachsene und 29 Totgeburten hier bestattet wurden. Ob sich in der auffällig hohen Zahl an bestatteten Totgeburten die Sorgen und Nöte der ersten türkischen Einwanderergeneration widerspiegelt, die großen körperlichen und seelischen Strapazen, der Schmerz über die verlorene Heimat und die ungewisse Zukunft, bleibt eine berechtigte Frage, der in einer gesonderten Untersuchung nachzugehen wäre.

Nachdem keine Friedhofsordnung die Bestattungen der vergangenen Jahre regelte – das Friedhofsamt registrierte nur das Datum des Todes und der Beisetzung, nahm die Gebühren ein und sorgte für die Aushebung der Grabstelle – glich das Gräberfeld mit zunehmender Belegung in den kommenden Jahren einem verwildertem Acker.

Um die Gestaltung zu verbessern, ergreift wieder Sultan-Sade, der neben Persisch und Russisch vor allem auch gut Deutsch und Türkisch sprach, zusammen mit dem türkischen Kulturverein Forchheims die Initiative. 1977 wird in einer Spendensammlung Geld zusammengetragen, um die Grabstellen mit schlichten, einheitlichen Grabsteine zu versehen. „Und ich muss den Türken ein ganz großes Lob aussprechen. Wie mein Vater ihnen das gesagt hat, konnten wir sammeln für die Grabsteine, ganz einfache mit Geburtsdatum, Sterbedatum, und dass er Muslim ist, noch Halbmond mit Stern. Da haben die Türken bereitwillig mitgemacht, also da gab‘s nichts.“

Diese Steine prägen noch heute das Bild dieses kleinen Gräberfeldes. Sie sind Zeugen der ersten Gastarbeiterjahre, geprägt von Provisorien mit dem Jahr für Jahr hinausgeschobenen Rückkehrwunsch, der dann doch nie in Erfüllung ging.

Das islamische Gräberfeld als Provisorium – wie lange noch?
Nach dem Tod von Sultan-Sade am 23. Dezember 1988 – die Mutter verstirbt 1990 – war die Verantwortung für das Gräberfeld auf den Türkischen Kulturverein übergegangen. Seit ungefähr acht Jahren obliegt sie nun der Yunus-Emre-Moschee-Gemeinde, die sich auch um die geistliche Begleitung der Verstorbenen kümmert.

Vater Sultan-Sade und Sohn Malik auf dem muslimischen Friedhof Forchheims, 15. Juni 1977, Foto: Familie Sultan-Sade

Im Jahr 2013 werden die Reihengräber zu Wahlgräbern. Die Ruhezeit beträgt dann 25 Jahre, mit der Möglichkeit zur Verlängerung, sodass kein Platz für weitere Grabstellen besteht. Wie Ilgar Coskun, der Vorsitzende der Yunus-Emre-Moschee-Gemeinde berichtet, ist vom Friedhofsamt die angrenzende Grünfläche in Aussicht gestellt worden. Auch wenn weitere Grabstellen geschaffen werden, ist der islamische Bestattungsritus noch unvollständig: Es fehlt die Möglichkeit der Waschung, der Aufbahrungs-Stein (Musallah-Stein), die Ausrichtung der Gräber nach Mekka und die Zustimmung zur Bestattung im nahtlosen Leichentuch.

Mahi Ünal, der uns vor 20 Jahren diesen Ort zeigte, verstarb kurz nach seinem Ruhestandseintritt im Jahr 1997. Wie viele seiner, der ersten Generation wollte er nach islamischem Ritus in der türkischen Heimaterde seine letzte Ruhe finden. Er wurde daher überführt und in Kahraman bei Konya in der Türkei bestattet.

Inzwischen jedoch hat ein Wandel stattgefunden, wie heute ein Blick auf die Grabsteine zeigt. An die Stelle der Provisorien von einst treten Grabsteine, die geschmückt sind mit Widmungen und Koranversen. Die Gräber werden nicht nur vor den muslimischen Feiertagen besucht, sondern sind für die Hinterbliebenen zu Orten des Erinnerns geworden.

Bestattung auf dem muslimischen Gräberfeld Forchheim, Foto: Jochen Menzel, 22. November 2011

Es ist Sommer, ich stehe mit den Söhnen von Sultan Sade auf dem kleinen islamischen Gräberfeld. Ihre Jahre der Kindheit in der Bügstraße und Erinnerungen an die Nachbarn werden wach: „Auf einmal sind sie wieder lebendig“, wie Murat Sultan-Sade sagt, die hier ruhenden Muso, Huseyin Bajric, Demirovic, Pulic.

So erleben wir auf diesem kleinen Gräberfeld, wie die Geschichte der Familie Sultan-Sade zu einer Forchheimer Familiengeschichte wurde, die uns darüber hinaus so wertvolle Hinweise geben kann auf die Herkunft und das Leben der ersten muslimischen Gemeinde der Stadt, auf Einwanderer, die in Forchheim eine neue Heimat gefunden haben.