Armutseinwanderung

Eine schäbige Debatte

Zeigt sich in der Debatte über Armutseinwanderung ein Kulturbruch, bei der die eine Seite populistisch, platt argumentiert, die andere liberal und weltoffen? Horst Seehofer hält fest an seinem Motto, „Wer betrügt, fliegt“ während SPD-Chef Sigmar Gabriel davor warnt, die Einwanderungsproblematik mit „Wahlkampfparolen“ lösen zu wollen.

Ganz so einfach ist es nicht. Denn Gabriel ist leider kein überzeugender Verfechter einer liberalen Einwanderungspolitik. Statt offensiv und mit guten Argumenten für die längst überfällige Grenzöffnung zu streiten, macht die „GroKo“, mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD, die Armutseinwanderung zur Chefsache. Ein „Staatssekretär-Ausschuss“ soll Maßnahmen gegen „Sozialbetrug“ prüfen. Bedarf es bei so viel Aktionismus einer CSU, um Angst vor ärmeren Einwanderern zu verbreiten? Da hilft es wenig, wenn einzelne Wirtschaftsvertreter mit harten Fakten auf den Beitrag hinweisen, den Rumänen und Bulgaren bereits leisten und weiterhin leisten werden.

Wer die Debatten der letzten Wochen verfolgt hat, muss fast zwangsläufig den Eindruck gewinnen, unser Land werde in der nächsten Zeit von armen Menschen überschwemmt. Tatsächlich werden die meisten Bundesbürger kaum etwas von der Grenzöffnung spüren (wir sprechen übrigens, nur zur Erinnerung, von Ländern die zusammen nicht mehr als 29 Millionen Einwohner haben).

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Gewiss, in einigen Vierteln weniger Städte sind technische Probleme zu lösen, wie z.B. die Müllentsorgung oder die Gesundheitsversorgung für die Ärmsten der Neuankömmlinge. Doch Probleme dieser Art sollten in einem Land mit über 80 Millionen Einwohnern zu lösen sein – schließlich haben die Deutschen in den vergangenen 60 Jahren ganz andere Herausforderungen und Aufbauleistungen gemeistert.

Ist es nicht schäbig, wenn sich die Debatte über die Grenzöffnung allein auf die Frage konzentriert, wie der „Import von Armut“ zu vermeiden sei? Die Art und Weise, wie die Große Koalition mit dem Problem umgeht, wird jedenfalls mehr über die Politik aussagen, als über die Menschen, die zu uns kommen. Gerade im bisherigen Umgang mit Bulgaren und Rumänen zeigt sich, dass die EU keine Gemeinschaft gleicher, souveräner Staaten ist, wie sie sich selbst gerne darstellt. Zum Kernrecht der Gemeinschaft gehört nun einmal die Freizügigkeit seiner Bürger. Anders als allen anderen wurde aber den Bürgern Rumäniens und Bulgariens dieses Recht jahrelang verwehrt. Die Aufhebung dieser krassen Ungleichbehandlung sollte Grund zur Freude sein und keinesfalls dazu führen, die Spaltung zwischen europäischen Bürgern erster und zweiter Klasse auf andere Art und Weise aufrechtzuerhalten, wie sich dies in der Debatte über die Kindergeldzahlung bereits andeutet.

Gewiss, es ist richtig, wenn SPD-Politiker die CSU Kampagne kritisieren. Sie basiert auf einem negativen Menschenbild und bringt eine defensive, rückwärtsgewandte und autoritäre Grundeinstellung zum Ausdruck. Doch leider beschränkt sich ein Großteil der Kritik auf das vermeintliche „Stammtischpotenzial“ der Kampagne. Die Angst vor einer „Aufhetzung“ der Bürger zieht sich wie ein roter Faden durch die Debatte. Am liebsten wäre es vielen CSU-Kritikern offensichtlich, wenn das Thema ganz aus der Politik herausgehalten würde (daher auch der Hinweis von Sigmar Gabriel, es eigne sich nicht als Wahlkampfthema).

Eine solche Haltung spricht nicht für den Willen, Einwanderung effektiv zu verteidigen und der negativen CSU-Botschaft offensiv zu begegnen. Stattdessen wird gefordert, das Thema bloß nicht vor „den kleinen Leuten“ zu diskutieren. Die sind längst nicht so fremdenfeindlich, wie es oft dargestellt wird. Wenn die über die CSU Empörten wirklich für konsequente Offenheit einstünden, könnten sie auch an den Stammtischen Zustimmung finden. Sie tun es aber nicht. Denn sie trauen sich selbst nicht zu, nicht nur die viel gerühmten „Hochqualifizierten“, sondern auch ein paar arme Einwanderer in das Land zu integrieren, das sie sonst gerne selbstbewusst als Motor Europas rühmen. Dabei müsste sogar Sigmar Gabriel wissen, dass wirkliche Reformen in der Einwanderungspolitik nur eine Regierung durchsetzen kann, die aktiv dafür wirbt.