Bades Meinung

Historische Chance zu einem goldenen Handschlag vertan

Politisch haben Union und SPD eine historische Chance vertan, die gewaltige intergenerative Integrationsleistung der alten „Gastarbeiter“ mit der doppelten Staatsangehörigkeit zu belohnen – Prof. Klaus J. Bade kommentiert den Koalitionsvertrag.

Die Frage, ob die SPD ihrer kämpferischen Ansage treu geblieben ist, einen Koalitionsvertrag nur zu unterschreiben, wenn darin die doppelte Staatsangehörigkeit zugesichert werde, kann man bestenfalls mit einem klaren „Jein“ beantworten. Unter dem Stichwort „Integration und Zuwanderung gestalten“ sagt der Koalitionsvertrag: „Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.“

Das aber heißt konkret: Bei Land Geborenen wird die Optionspflicht abgeschafft und die Mehrstaatigkeit akzeptiert, nicht aber bei der Einbürgerung. Der im Land geborene Enkel einer türkischen Familie kann also die doppelte Staatsangehörigkeit erhalten und behalten, nicht jedoch seine eingewanderten Eltern und nachgezogenen Großeltern. Das ist staatsangehörigkeitsrechtlich keine generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit. Hier muss also ein zweiter Anlauf genommen werden.

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Und politisch wurde damit zugleich die historische Chance zu einem goldenen Handschlag vertan: Die gewaltige intergenerative Integrationsleistung der alten „Gastarbeiter“, die mit ihrer harten Arbeit für dieses Landes den sozialen Aufstieg ihrer Kinder und Enkel ermöglichten, hätte nun mit der doppelten Staatsangehörigkeit belohnt werden können. Und zwar unter erleichterten Bedingungen, also unter ohne schwierige Einbürgerungskurse im hohen Alter; denn die gab es damals nicht.

Stattdessen galt bis Anfang der 1990er Jahre im Einwanderungsland wider Willen das defensive Mantra: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“. Und das war ein Bollwerk gegen die Herausbildung von Einwandererbewusstsein. Die Antwort hätte heute heißen können: Lasst uns einen Strich machen unter gemeinsame Fehleinschätzungen: unter Eure lange vorgehaltenen Rückkehrillusionen und unter unsere demonstrative Erkenntnisverweigerung.

Stattdessen faselt der Koalitionsvertrag im gleichen Kapitel noch immer im fremdenskeptischen Spalterdeutsch vom „Miteinander von Migranten und Einheimischen“. Das ist ein semantisches Brechmittel.