Optionspflicht

An jedem zweiten Tag wird ein Deutscher zum Ausländer

Seit Beginn dieses Jahres hat an fast jedem zweiten Tag ein Deutscher seine Staatsbürgerschaft aufgrund der umstrittenen Optionsregelung verloren. Das teilt die Bundesregierung auf eine Frage der Linksfraktion im Bundestag mit.

Montag, 18.11.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 24.11.2013, 17:54 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Allein seit Beginn der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen vor vier Wochen haben mehr als ein Dutzend Deutsche ihre Staatsbürgerschaft aufgrund der umstrittenen Optionspflicht verloren. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Linksfraktion.

Zum Stichtag 7. November 2013 seien, so die Bundesregierung, im Register der Entscheidungen in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten 176 Optionspflichtige des Geburtsjahrgangs 1990 aufgeführt, bei denen der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit festgestellt worden ist. Statistisch gesehen macht die Optionspflicht damit an fast jedem zweiten Tag einen Deutschen zu einem Ausländer. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine Mindestangabe handelt. Denn wie die Bundesregierung weiter mitteilt, sind diese Zahlen aufgrund des Meldeverhaltens nicht tagesaktuell.

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Eine Katastrophe
Für die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dağdelen, ist das „für die Betroffenen eine Katastrophe und für den Rechtsstaat ein Skandal“. Diese Regelung müsse endlich weg. Denn in zehn Jahren werde das Optionsmodell voll zur Geltung kommen. Dann würden voraussichtlich zehnmal so viele Menschen betroffen sein.

„Es geht um Menschen, die als Deutsche in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie sollen im Erwachsenenalter die deutsche Staatsangehörigkeit wieder verlieren, weil sie angeblich ihre Loyalität nicht unter Beweis stellen und ihre zweite Staatsangehörigkeit aufgeben. Das gilt allerdings nur bei bestimmten Staatsangehörigkeiten, insbesondere der türkischen“, so die Linkspolitikerin.

Selektive Politik
Tatsächlich gilt die Optionspflicht nur bei bestimmten Herkunftsgruppen. Während bei EU-Bürgern und Bürgern der Schweiz die doppelte Staatsbürgerschaft generell hingenommen wird, müssen Türken oder Chinesen sich vor ihrem 23. Lebensjahr für die deutsche Staatsbürgerschaft oder die ihrer Eltern entscheiden. Tun sie das nicht, verlieren sie den deutschen Pass kraft Gesetzes automatisch – selbst wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Dabei liegt die Doppelpassquote selbst bei Neueinbürgerungen im Erwachsenenalter schon seit vielen Jahren bei mehr als 50 Prozent.

An der umstrittenen Optionspflicht und an der Vermeidung der doppelten Staatsbürgerschaften halten bisher einzig die Unionsparteien fest. Begründet wurde das über viele Jahre unter anderem mit möglichen Loyalitätskonflikten. Erst kürzlich lieferte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine neue Begründung: „Wenn wir Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben“, so Friedrich. Er befürchte eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“. (bk) Leitartikel Politik

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  1. Soli sagt:

    Falsche Sichtweise, sie haben die Deutsche Staatsbürgerschaft nicht verloren sondern auf sie verzichtet – im Gegenzug zum Erhalt der anderen.

    Sie hätten auch auf die andere verzichten können und die Deutsche damit behalten.

    Es wird also argument für und wieder gegeben haben, letzten Endes hat es dann wohl einfach nocht nicht gereicht für den der die Deutsche aufgibt. Im Gegensatz zu den vielen anderen die damit bisher kein Problem hatten.

  2. Mike sagt:

    „Tatsächlich gilt die Optionspflicht nur bei bestimmten Herkunftsgruppen. Während bei EU-Bürgern und Bürgern der Schweiz die doppelte Staatsbürgerschaft generell hingenommen wird, müssen Türken oder Chinesen sich vor ihrem 23. Lebensjahr für die deutsche Staatsbürgerschaft oder die ihrer Eltern entscheiden. Tun sie das nicht, verlieren sie den deutschen Pass kraft Gesetzes automatisch – selbst wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Dabei liegt die Doppelpassquote selbst bei Neueinbürgerungen im Erwachsenenalter schon seit vielen Jahren bei mehr als 50 Prozent.“

    Das ixst FALSCH. Auch für Staatsangehörige aus den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz gilt die Optionsregelung. Diesem Personenkreis kann aber eine Beibehaltungsgenehmigung (unter erleichterten Bedingungen) erteilt werden.

  3. Michael Leh sagt:

    Wer bis zum 23. Lebensjahr entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden, auf den lege ich als Staatsbürger auch keinen gesteigerten Wert. Immerhin kann man bereits mit 18. Jahren wählen, was auch eine verantwortliche Entscheidung jeweils sein sollte.
    Im Übrigen ist die Türkei nicht in der EU, es ist also auch in Ordnung, wenn man Türken nicht in allem rechtlich mit EU-Bürgern gleichstellt.

  4. Wolfram Obermanns sagt:

    Man kann zur doppelten Staatsbürerschaft stehen wie man will, aber etwas über ein Dutzend Abgänge sind weder eine Katastrophe noch ein Skandal.
    Wenn für jedes Dutzend passende Gesetze erlassen würden, das wäre sowohl eine Katastrope als auch ein Skanddal!

  5. Merlin Schaeffer sagt:

    176 von insgesamt? Absolut sagt die Zahl wenig aus! Was für Schweizer gilt, trifft übrigens auch auf Marrokkaner zu ;-)

  6. Rasti sagt:

    @Soli:
    „Falsche Sichtweise, sie haben die Deutsche Staatsbürgerschaft nicht verloren sondern auf sie verzichtet – im Gegenzug zum Erhalt der anderen.“
    Nein, sie haben gerade nicht verzichtet, sondern die deutsche Staatsangehörigkeit ist ohne aktives Handeln von ihrer Seite verloren gegangen.
    @Michael Leh:
    „Wer bis zum 23. Lebensjahr entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden,…“
    Das Gesetz verlangt aber nicht eine Entscheidung _für_ die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern _gegen_ die andere Staatsbürgerschaft. Das ist ein Unterschied, vor allem in der Praxis.

    Da ist es nämlich nicht damit getan, auf einem Formular anzukreuzen, dass man gerne Deutscher bleiben möchte, oder so ähnlich, sondern ein riesiger bürokratischer ZIrkus muss angestossen werden, um die alte Staatsangehörigkeit rechtzeitig loszuwerden. Für einen jungen Ausländer, der in D aufgewachsen ist und seine Heimatsprache vielleicht nur noch rudimenär beherrscht, ist das in der Regel nur zu schaffen, wenn die Verwandtschaft hilft – und die Behörden in der Heimat mitspielen (*). Kein Wunder, wenn mancher junger Mann oder manche junge Frau sich das gar nicht erst antun.

    (*) Es gibt wohl bereits Fälle, wo junge Menschen ihre Staatsangehörigkeit verlieren, nur weil die Behörden in der Heimat trödeln, wodurch die Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit zu spät kommt.

  7. Wendy sagt:

    @Rasti – mit 18 Jahren wird man über die Option benachrichtigt – mit 23 verliert man sie erst. Man hat insofern 5 Jahre (!) Zeit sich darum zu kümmern.
    Bei so etwas wichtigem wie seiner Staatsbürgerschaft solte man davon ausgehen, dass der Optionspflichtige sich angemessen darum kümmert.

  8. Mathis sagt:

    Wenn es eine „Katastrophe“ darstellt, die deutsche Staatsangehörigkeit zu „verlieren“, verstehe ich nicht, warum man sie dann aufgibt. Es scheint doch wohl so zu sein, dass die „Katastrophe“ die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit ist, der man aus diesem Grund den Vorzug gibt.Das ist ein klares Bekenntnis für die Türkei, das bei doppelter Staatsangehörigkeit lediglich nicht offen zutage treten würde.

  9. Han Yen sagt:

    Die Herangehensweise ist falsch. Die Doppelte Staatsbürgerschaft ist eine Notlösung, weil man durch die Staatsbürgerschaft des Auswanderungslandes automatisch Rechtssubjekt des dortigen Erbrecht, Bodenrecht, Familienrecht und Wirtschaftsprivatrecht wird. Der Anspruch auf eine Doppelte Staatsbürgerschaft ist auch leicht nachvollziehbar, da europäische Diaspora Bevölkerungen in transnationalen Familien leben, und innerhalb dieser Institution, Unternehmen gründen, Grundstücke erwerben und Häuser kaufen.

    Die Wirtschaftseinheit transnationale Familie wird daher gegenüber den transnationalen Konzernen ökonomisch benachteiligt, weil es ein sehr stark ausgearbeitetes Körperschafts- und Gesellschaftsrecht gibt.

    Ökonomisch ist das nicht zu rechtfertigen, denn transnationale Familien liefern einen kostenlosen Versicherungsschutz gegen Konjunkturschocks, Naturkatastrophen und Finanzkrisen, weil sie azyklisch zu diesen von den Finanzinstitutionen, Exekutiven und der Natur gemachten Katastrophen, rasche Ressourcentransfers an ihre Familienmitglieder leiten, die dann durch Steuern und Sparen an die Kapitalmärkte und den Steuersäckel weitergeleitet werden. Daher produzieren transnationale Familien eine wesentliche Reproduktionsbedingung, damit das globale Handelssystem der WTO Staaten reibungsarm ablaufen kann. Letzten Endes profitiert jeder deutsche Bürger von der internationalen Arbeitsteilung durch den komparativen Vorteil, mittels derer er mehr Güter und Dienstleistungen verbrauchen kann. Der komparative Handelsvorteil bleibt aber im Welthandel nicht ohne steuernde Eingriffe der Handelsstaaten bestehen, sondern die Staaten reproduzieren durch Export-Bürgschaften und öffentliche Güter die Export-Leistungen und den Import. Die fiskalischen Mittel an die WTO Staaten werden Monat für Monat zum teil mitgetragen durch die Rücküberweisungen der Migranten. Für subsaharische Staaten und zentralasiatische Staaten liegt der Rücküberweisungsanteil am BNP zwischen 20% – 40 %. Als eine Gruppe, die faktisch von den Auswanderungsstaaten zur Zahlung internationaler Steuern, heran gezogen wird, haben Menschen in transnationalen Familien natürlicherweise ein Interesse an der Budget-Zusammensetzung. Die Budget-Politik lässt sich in demokratischen Staaten nur durch Wahlrecht und damit die Staatsbürgerschaft erreichen.

  10. Hakan sagt:

    In allem politischen Handeln sollten sowohl Interessen von Individuum und Gesellschaft, aber auch des Staates im Einklang gebracht werden. Eine Staatsbürgerschaft ist als Teil der individuellen Lebensgeschichte etwas, was nicht wie eine beliebige Vereinsmitgliedschaft gewechselt werden kann, zur Option gestellt werden sollte oder gar wie vorgeschlagen „ruhen“ kann. Diese Annäherungen zeugen davon, weder der individuellen Migrationsgeschichte Rechnung zu tragen, noch die Kriterien oder Grundbedingungen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Allein ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht und eine durchdachte Integrationspolitik vermag dieses Spannungsfeld aufzulösen.
    Derzeitige Auslassungen politische relevanter Akteure allerdings sind Ausdruck einer verstörenden Integrationsverweigerung – dem gilt es vehement zu widersprechen. Diese Diskussion wirft die gesamten Entwicklungen um Jahrzehnte zurück.
    Denn das Problem in der Diskussion sind nicht die Menschen, die längst weitgehend integriert sind, sondern Politiker und deren Politiken, die eben diese nicht integrieren wollen.
    Denn das Problem in der Diskussion sind nach wie vor vorhandene Vorurteile und politische Forderungen, die an dem geltenden Gleichheitsanspruch des Grundgesetzes und geltendem Recht vorbei so viele Ausnahmen und Sonderregeln zulassen, nur um zu verhindern, dass “Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft“ haben, und damit “eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland“. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“, sagte Friedrich dem „Münchner Merkur“. Wäre das denn mit dem Optionszwang anders? Ohne uns dabei im Detail zu verlieren: es ist rassistisch und hanebüchen zugleich!