Interview mit Serap Güler

„Ich halte nichts von anonymen Bewerbungen“

Mit anonymen Bewerbungsverfahren würden Migranten gezwungen, ihre Herkunft zu leugen und Friedrichs Sorge, durch den Doppelpass könnte sich eine türkische Minderheit in Deutschland etablieren, sei „weder richtig noch passend“. CDU Landtagsabgeordnete Serap Güler im Gespräch mit dem MiGAZIN.

MiGAZIN: Frau Güler, was halten Sie von anonymen Bewerbungsverfahren?

Serap Güler: Nicht viel bis gar nichts halte ich von anonymen Bewerbungsverfahren im Öffentlichen Dienst, so wie sie die nordrhein-westfälische Landesregierung als Pilotprojekt eingeführt hat. Hier wird einerseits das politische Ziel angestrebt, mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für den Öffentlichen Dienst zu gewinnen. Andrerseits fordert man gleichzeitig von denselben Menschen, ihre Herkunft in ihrer Bewerbung – z.B. für eine Stelle in einem Ministerium – zu leugnen. Also dort, wo die Landesregierung die Steuerungsinstrumente selbst in der Hand hat. Der Integrationsminister verkündet öffentlich, er wolle mehr Migranten haben. Da frage ich mich: Warum sollen diese sich dann anonym bewerben? Das ist paradox und das falsche Instrument, um dieses wichtige Ziel zu erreichen.

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Die Ergebnisse des Pilotprojekts waren aber positiv.

Serap Güler: Wenn man sich den Bericht der Landesregierung dazu anschaut, war das alles andere als ein Erfolg – so wie Minister Schneider es weismachen will. In der Pressemitteilung des Ministeriums hieß es: 20% der Personen, die im Rahmen des Pilotprojektes eingestellt wurden, haben eine Zuwanderungsgeschichte. Die eigentlichen Zahlen hingegen klingen nüchterner: Von 89, die eingestellt wurden, haben 18 eine Zuwanderungsgeschichte. Insgesamt hatten sich aber 90 Migranten beworben. Das ist alles andere als ein Erfolg.

Vielleicht – doch auch davon bin ich nicht wirklich überzeugt – macht die anonyme Bewerbung in der freien Wirtschaft mehr Sinn. Davon sind aber beispielsweise die Arbeitgeberverbände oder auch die Deutsche Industrie und Handelskammer auch nicht wirklich überzeugt, weil dieses Bewerbungsverfahren als zu bürokratisch empfunden wird und vor allem größere Unternehmen ohnehin schon Diversity Management betreiben.

In vielen Ländern haben sich anonyme Bewerbungsverfahren dennoch etabliert.

Serap Güler: Bis auf in Belgien, wo man sich auch für anonyme Bewerbungen im Öffentlichen Dienst entschieden hat, sind es in den anderen Ländern vor allem Unternehmen, die dieses Verfahren anwenden. Aus unterschiedlichen Gründen: In den USA , wo man dieses Verfahren schon seit den 60ern anwendet, machen sie es nicht etwa aus Gründen der Chancengerechtigkeit, sondern um mögliche Schadenersatzansprüche wegen Diskriminierung von vornherein abzuwehren. Warum sich das Verfahren etabliert hat, kann also unterschiedliche Gründe haben. Und der Zuspruch in den Ländern, die dieses Verfahren haben, ist auch nicht gleich. Viele sind nicht davon überzeugt.

Was würden Sie tun, um der mittlerweile in vielen Studien belegten Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund – auch im Öffentlichen Dienst – entgegenzuwirken?

Serap Güler: Politisch kann man vor allem zuerst in den Öffentlichen Dienst einwirken, beispielsweise durch verschiedene Weiterbildungsangebote, die durch die Landesregierung auch bereits angeboten werden. Das Interesse hierfür ist allerdings alles andere als groß. Man muss sich hier Gedanken machen, wie man das Interesse steigern kann und sogar, ob man Schlüsselpositionen nicht verpflichtet, an solchen Maßnahmen teilzunehmen. Wichtig fände ich auch, wenn solche Seminare nicht nur durch die Weiterbildungszentren der Landesregierung, sondern durch Inhouse-Veranstaltungen, die von Migrantenselbstorganisationen oder Integrationsagenturen organisiert werden, angeboten werden. Ich bin sicher, dass das auch dazu führt, dass die Teilnehmerzahl sich erhöht.

In der freien Wirtschaft können wir die Benachteiligung politisch nur durch ganz viel Aufklärung minimieren. Jemandem gesetzlich vorzuschreiben, wen er einzustellen hat, ist nicht mein Politikverständnis.

Aber diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, sollten die Gesetze, die es gibt, auch nutzen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist vielen bekannt, aber nicht jeder Betroffene macht davon Gebrauch, weil er denkt, das bringt nichts. Natürlich ist es oft nicht einfach, Diskriminierung zu belegen. Sich aber von vornherein geschlagen geben und dem anderen die Sache zu einfach zu machen, sorgt nur dafür, dass sich dort, wo sich was ändern soll, eben nichts ändert. Wir dürfen aber auch nicht den Fehler begehen und Arbeitgeber unter Generalverdacht stellen. Die Charta der Vielfalt ist beispielsweise eine Initiative, die 2006 von BP Europe SE, Daimler, der Deutschen Bank und der Telekom ins Leben gerufen wurde und der sich bis heute 1.700 Groß- bis Kleinstunternehmen, Vereine, Verbände, Stiftungen und öffentliche Einrichtungen angeschlossen haben.

In den Jahren 2005 bis 2010 regierte in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-gelbe Regierung. Wurden in dieser Zeit Antidiskriminierungsschulungen im öffentlichen Dienst durchgeführt?

Serap Güler: Ironisch könnte ich sagen: Zu unserer Zeit musste bei einer Bewerbung niemand seine Herkunft leugnen. Aber nein, es gab keine Seminare, nicht in diesem Sinne. Aber natürlich war die interkulturelle Öffnung ein wichtiges Thema und wurde zum Beispiel durch diverse KOMM IN Projekte für die interkulturelle Ausrichtung der Kommunalverwaltung oder auch durch Fortbildungsangebote der RAA´s zur Öffnung der Strukturen des Öffentlichen Dienstes forciert. Zudem war die interkulturelle Öffnung des Öffentlichen Dienstes eines der integrationspolitischen Ziele der schwarz-gelben Landesregierung. Aber – genauso wie jetzt auch – gab es keine Schulungen, die ganz gezielt das Thema Diskriminierung im Öffentlichen Dienst angingen. Zugegeben: Das ist auch ein schwieriger Pfad. Sie unterstellen ihren Mitarbeitern ja indirekt, sie seien diskriminierend. Aber, die jetzige Landesregierung dürfte es da einfacher haben, sie konnte ja auch das anonyme Bewerbungsverfahren einführen – ohne Hemmungen.

Laut Studien schafft es die Verwaltung bis heute nicht, die Pluralität der Gesellschaft im Öffentlichen Dienst abzubilden. Die Antidiskriminierungsstelle weist ebenfalls immer wieder auf das Problem hin. Welche Sofortmaßnahme würden Sie in NRW einleiten, wenn Sie am Schalthebel sitzen würden?

Serap Güler: Da ich selbst aus dem Öffentlichen Dienst komme, würde ich als erstes bei den unterschiedlichen Gruppen für den Öffentlichen Dienst werben. Tacheles gesprochen: Der Öffentliche Dienst gilt nicht als „sexy“. Man stellt sich oft einen öden, grauen Arbeitsalltag vor. Ich weiss, wovon ich spreche! Auch ich musste überzeugt werden. Der Öffentliche Dienst ist aber alles andere als einseitig, sondern sehr facettenreich und bietet jede Menge Vorteile, die vielleicht nicht allen bekannt sind. Daher: Erst mal das Interesse wecken, die Nachfrage steigern – nicht unbedingt mit einem skurrilen Rapvideo wie neulich die NRW Polizei, das geht auch seriöser.

Wenn der Öffentliche Dienst für sich wirbt, auch in Kreisen, die bisher weniger in den Blick genommen wurden, dann wird auch auf anderer Seite das Interesse gesteigert. Beispielsweise wenn man gezielt an Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten wirbt. Somit erreicht man viele, die wahrscheinlich bei einer Ausbildung nicht direkt an Verwaltung denken würden. Natürlich muss man auch an Universitäten und Fachhochschulen – für den gehobenen oder höheren Dienst – werben. Es ist also bei Weitem nicht so, dass der Andrang in die Verwaltung so groß ist und diese trotzdem ein Close Shop bleibt.

Schauen wir nach Berlin. In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema doppelte Staatsbürgerschaft hart umkämpft. Die SPD will ihn, die Union nicht. Hand auf’s Herz: Welche Partei soll sich in diesem Streit durchsetzen?

Serap Güler: Ich bin sicher, dass man hier gemeinsam – die Union und die SPD – zu einer Lösung kommt, die nicht alle, aber doch die meisten zufriedenstellen wird. Warten wir einfach noch ein bisschen ab.

Was halten Sie von der Aussage von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), mit der doppelten Staatsbürgerschaft würde sich langfristig eine türkische Minderheit in Deutschland etablieren?

Serap Güler: Herr Friedrich gibt sich gern unsensibler als er eigentlich ist. Muss am Amt liegen. Dennoch: Die Bemerkung ist weder richtig noch passend.