Bundeswahlgesetz

„Das deutsche Volk hervorheben“

Bis vor wenigen Wochen hingen sie noch überall: die Plakate mit den Fotos der Kandidaten für die Bundestagswahl. Haben Sie sich auch schon mal gefragt, wie man auf so ein Foto kommt? Wie wird man Kandidat?

In Deutschland werden die Kandidaten von den Delegierten der jeweiligen Parteien gewählt, die Wahl wiederum findet in den sogenannten Delegiertenkonferenzen statt. Auf so einer Konferenz fragte ich mich, ob auch ein Mitbürger mit z.B. türkischer oder auch schweizerischer Staatsangehörigkeit, also ein Drittstaatenangehöriger, Delegierter sein kann, um den Kandidaten für den Landtag, den Bundestag oder das Europäische Parlament zu bestimmen. Mit dieser Frage begann meine Recherche.

Denn: Der kommunale Qualitätszirkel zur Integrationspolitik – das sind die Integrationsbeauftragten in den Kommunen – empfiehlt den politischen Parteien in seiner Stellungnahme zur politischen Partizipation von Migranten, „verstärkt Führungspersonal aus den Reihen der Eingewanderten zu rekrutieren und Themen in ihren Plattformen zu integrieren, die Eingewanderte ansprechen“. Kurz: Migranten sollen in die Arbeit der Parteien auf allen Ebenen aktiv eingebunden werden.

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Dazu müssen Drittstaatenangehörige aber erst einmal Mitglied einer Partei sein. Das ist bei der SPD, den Grünen und den Linken kein Problem – jeder kann Mitglied werden. Bei der FDP gibt es schon Einschränkungen: Erst nach zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland kann man Mitglied bei den Liberalen werden. Noch schwieriger ist es bei der CDU/CSU: Dort kann man nicht einmal Mitglied werden, sondern nur Gastmitglied. Man hat dann ein Rede-, Antrags- und Vorschlagsrecht, jedoch darf man nicht an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen.

Ich wollte wissen, wieso das so ist und habe bei der Zentrale der CDU angerufen. Der Mitarbeiter, mit dem ich sprach, bedauerte zwar den Tatbestand, gab aber als Grund an, man wolle „das deutsche Volk hervorheben“. Das erinnerte mich fatal an die Situation 1989 in Schleswig-Holstein, als den Bürgern von sechs europäischen Ländern das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zuerkannt werden sollte. Schon damals hat die CDU/CSU mit einer ähnlichen Begründung dagegen geklagt – deutsches Wahlrecht nur für Deutsche.

Aber immerhin: In vier Parteien dürfen Drittstaatenangehörige Mitglied werden. Meine Frage ging aber weiter und lautete: Darf er auch Delegierter werden? Auf diese Frage konnte mir auf Anhieb fast niemand eine Antwort geben, angefangen von den Parteien selbst über die Bundeszentrale für politische Bildung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, einige Rechtswissenschaftler bis hin zum Bundeswahlamt. Ich hatte mich schon gefreut, endlich auf einen rechtsfreien Raum gestoßen zu sein, und dachte, ich könnte berühmt werden.

Aber dann fand ich in Dr. Michael Efler vom Verein „Mehr Demokratie e.V.“ einen kompetenten Ansprechpartner. Das Bundeswahlgesetz (BWG) bestimmt in Art. 21 Abs. 1, dass die Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers eine Versammlung der zum Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei ist. Damit wird klar und deutlich bestimmt, dass Drittstaatsangehörige nicht teilnehmen dürfen und damit weder wählen dürfen noch selbst wählbar sind.

Drittstaatenangehörige, die zum Teil bereits seit Generationen hier leben und von denen erwartet wird, dass sie sich integrieren, haben auf politischer Ebene also keine Möglichkeit, an Gesetzen, die auch sie betreffen, zumindest indirekt mitzuwirken.

Bevor jetzt das Argument kommt „ja, dann sollen sie doch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen“: Dafür sind die Hürden sehr hoch.

Gemäß § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kann nur derjenige die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, der seit mindestens acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten kann, über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland nachweisen kann. Und erfüllt man alle diese Voraussetzungen, kann das Einbürgerungsprozedere bis zu drei Jahren dauern. Damit ist also auch der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zumindest keine zeitnahe Option, tatsächlich Teilhaben zu können.

Deshalb: Wer Integration fordert, soll auch die Partizipation von Migranten durch eine entsprechende Änderung des Wahlrechts ermöglichen.