Keine Zeit zum Ausruhen

Europäisches Asylsystem braucht weitere Reformen

Zehn von 28 Mitgliedstaaten der EU nehmen 90% der Asylsuchenden auf. Länder wie Malta und Zypern sind hoffnungslos überfordert. Deshalb ist Dublin II überholt und politisch nicht mehr zu verantworten, schreibt Europaabgeordnete Nadja Hirsch (FDP) in ihrem MiGAZIN Gastbeitrag. Sie fordert die Einführung eines Europäischen Verteilungsschlüssels.

Der Sommer hat im Bereich Asyl eine Menge Veränderungen in der EU gebracht. Am 12. Juni verabschiedete das Europäische Parlament die letzten Richtlinien des Asylpakets. Wenn in der Politik von „Paketen“ die Rede ist, kann man sich fast sicher sein, dass es sich um ein Thema handelt bei dem sich zwei Seiten in frontaler Opposition gegenüber stehen. So war es auch hier. Nur wenige Fortschritte konnten meines Erachtens erzielt werden.

Vor allem bei der Dublin Verordnung, die im Paket enthalten war, ist die gesamte Grundidee falsch: Es kann nicht im Geiste eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sein, wenn 10 von 28 Mitgliedstaaten 90% der Asylsuchenden aufnehmen und zudem einige südliche Mitgliedstaaten wie Malta oder Zypern hoffnungslos überfordert sind.

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Durch Dublin II sind Asylsuchende daran gebunden, in dem EU-Mitgliedsstaat ihren Asylantrag zu stellen, über den sie in die EU eingereist sind. Zum einen sind natürlich die EU-Mitgliedstaaten stärker von dieser Regelung betroffen, die an einer Außengrenze liegen. Hinzu kommen aber auch die menschlichen Schicksale und Tragödien, die durch Dublin II ausgelöst wurden und werden. Oft werden Familien auf ihrer Flucht getrennt. Kommen sie über unterschiedliche Länder in die EU, bleiben sie getrennt. Ebenso kann die eigene Familie, die bereits zuvor schon in der EU lebte, oft nicht erreicht werden. Dieses starre System ist menschenverachtend und für mich politisch nicht mehr länger zu verantworten.

Daher habe ich im Namen der FDP im Europäischen Parlament die Einführung eines Europäischen Verteilungsschlüssels (EVS) für Asylsuchende gefordert. Demnach würde jeder Mitgliedstaat einen bestimmten prozentualen Anteil der Asylsuchenden in der EU aufnehmen. Dieser Anteil könnte sich am Bruttoinlandsprodukt und der Bevölkerungszahl des Staates orientieren. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie soll die Kommission nun bald vorlegen.

Mit dem EVS könnte sich kein Mitgliedstaat aus der Verantwortung stehlen, denn bisher setzten einige Länder leider darauf, mit besonders unattraktiven Aufnahmebedingungen Asylsuchende abzuschrecken. Anscheinend muss man diese Mitgliedstaaten immer wieder daran erinnern, dass Asyl ein Recht und keine Gnade ist.

Darüber hinaus würde der EVS durch seine gleichmäßige Verteilung für mehr Planungssicherheit in den Mitgliedstaaten sorgen. Obwohl die Zahl der Asylsuchenden pro Jahr schwankt, wäre dann jedem Staat klar, welche Mindestkapazitäten er an Infrastruktur und Verwaltung schaffen müsste. Wir können es keinem Asylsuchenden zumuten – und es uns im Übrigen auch nicht leisten – jahrelang auf das Ergebnis der Antragsprüfung zu warten. Unter den Asylsuchenden gibt es oft genug Spezialisten und Qualifizierte, die in Zeiten des Fachkräftemangels dringend gesucht werden. Sie durch lange Wartezeiten, Arbeitsverbot, Residenzpflicht und mangelnde Bildungsangebote zu zermürben, ist für keinen hilfreich. Auch hier muss mehr für eine Willkommenskultur getan werden, denn jeder, der hier um Asyl bittet, ist für einige Zeit oder für immer unser Mitbürger.

Ein weiterer Vorteil des EVS ist, dass er relativ unkompliziert und zügig eingeführt werden könnte: Das bisher noch wenig in Erscheinung getretene Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) könnte die koordinierende Rolle übernehmen, die Finanzierung der Reisekosten könnte durch den neuen Asyl- und Migrationsfonds (AMF) geregelt werden. Durch den transnationalen Charakter des EVS würden bürokratische Hürden für Familienzusammenführungen beseitigt werden.

Zudem könnten Asylsuchende neben familiären Bindungen auch Kriterien wie Sprachkenntnisse bei der Wahl von Mitgliedstaaten angeben. All diese Aspekte tragen dazu bei, eine schnelle Integration zu fördern und ein eigenes, selbständiges Leben aufzubauen.

In einer Europäischen Union mit offenen Grenzen, gemeinsamem Markt und gemeinschaftlichen Normen und Werten muss es eben auch Solidarität und Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten geben, wenn es um das Thema Asyl geht.

Es bleibt noch viel zu tun, um ein gleiches, faires und menschenwürdiges Asylsystem zu schaffen. Ich werde mit Kräften dazu beitragen und dabei vor allem auf stärkere Kontrollen der Kommission und die Einführung eines Europäischen Verteilungsschlüssels für Asylsuchende drängen. Die FDP hat die Forderung bereits in ihrem Bundestagswahlprogramm verankert.