Ali konkret

Unions-Wahlprogramm: Merkel, Migranten und ausbleibende Sensationen

Lange hat die Kanzlerin ein Geheimnis daraus gemacht, nun ist es raus: das Wahlprogramm, äh…Regierungsprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 2013. Für uns aufmerksame Migazin-Leserinnen und Leser sind natürlich die Kapitel rund um das Thema „Integration“ und allem was damit verbunden ist, interessant. Ob sich das Warten gelohnt hat?

Wie bereits in „Angelas Multikulti-Welle“ angekündigt, es ging um die wundersame Nominierung von muslimischen Kandidierenden für die CDU, habe ich mir das 128-seitige Meisterwerk, welches relativ flott und ohne große Widerworte durch die Parteigremien gepeitscht wurde 1 näher angeschaut. Das Ergebnis dieser Untersuchung möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten und sind durch meine grüne Brille betrachtet natürlich alles andere als objektiv. Aber seht selbst…

Doppelpass
Doppelte Staatsangehörigkeit wird weiterhin „generell abgelehnt“ und als problematisch gesehen – gemeint sind natürlich Nicht-EU-Bürger. Stattdessen wird für die deutsche Staatsangehörigkeit geworben, welches CDU/CSU als „stärkster Ausdruck gelungener Integration“ betrachten. Was die Union unter „gelungener Integration“ versteht, wird nicht näher erklärt. Ob die deutsche Staatsbürgerschaft auch vor Diskriminierung schützt, das lässt das Programm offen. Den Optionszwang bei jungen Leuten, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden, habe sich laut Union „bewährt“.

___STEADY_PAYWALL___

Kommunales Wahlrecht
Kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger wird ebenfalls abgelehnt, stattdessen soll die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen werden. Hiermit bleibt die Union nach wie vor gesellschaftspolitisch weit hinter vielen anderen europäischen Ländern zurück und enthält vielen steuerzahlenden Zugewanderten ein Grundrecht an politischer Partizipation vor.

Umgang mit Neuzuwanderung
Hier redet die Union von einer „Willkommenskultur für kluge Köpfe“, sprich die Zuwanderung von hochqualifizierten Personen, die in den „Willkommenszentren“ der Rathäuser oder schon im Heimatland möglichst umfangreich und kompetent beraten werden sollen, von der Anerkennung der Abschlüsse bis zur Aufenthaltsgenehmigung. Ich frage mich, warum die Union nicht generell alle Ausländerämter im Land freundlicher gestalten möchte, anstatt nur den „Nützlichen“ dieses Privileg zu gewähren. Offen ist hier, wie hoch das jährliche Einkommen der „klugen Köpfe“ sein soll. Auch scheint hier die Ursache für die schnelle Abwanderung von kürzlich eingereisten Fachkräften aus Deutschland nicht weiter erörtert zu sein.

Nicht eingeschlossen von der „Willkommenskultur“ sind dagegen sogenannte Armutszuwanderer aus dem Südosten der EU. Hier wird „Zuwanderung, die darauf gerichtet ist, die europäische Freizügigkeit zu missbrauchen und die sozialen Sicherungssysteme auszunutzen“ abgelehnt. Hier möchte die Union eine „europäische Lösung“, um die Lebenssituation in den Herkunftsländern zu verbessern. Also, alles wie gehabt und weiter so wie bisher.

Flucht und Asyl
Die Union bekennt sich dort auf das im Grundgesetz verankerte „Recht auf Asyl“ und will, dass politisch Verfolgte und Schutzbedürftige auf „Deutschland vertrauen können“. Neu ist das Vorhaben unter bestimmten Umständen auch Flüchtlinge aus Drittstaaten aufzunehmen, wenn sie in ihr Heimatland nicht zurückkehren können bzw. in das Drittland „nicht dauerhaft eingegliedert werden können“. Nach der radikalen Veränderung des Asylrechts Anfang der 90er-Jahre zumindest eine superminimale Veränderung.

Interessant auch der Einsatz für Menschenrechte: Neben einer allgemeinen Aufzählung von zu ächtenden Menschenrechtsverletzungen wird neben dem Antisemitismus auch die Christenverfolgung thematisiert. Die Verfolgung von Muslimen (z.B. in Myanmar) oder den Begriff „antimuslimischen Rassismus“, welcher gerade in Deutschland in der Diskussion ist, sucht man hier vergebens.

Umgang mit Sprache und Integration
Im Unionsprogramm wird sehr oft auf die deutsche Sprache verwiesen. Einmal als verbindendes Element aller Bewohner Deutschlands, ein anderes Mal als Schlüssel für erfolgreiche Integration in Schule, Arbeit und Gesellschaft und an anderen Stellen als zu schützendes kulturelles Gut. Dass hier Millionen Menschen mindestens zwei- oder mehrsprachig sind, scheint an CDU und CSU offensichtlich vorbei gegangen zu sein, ebenso wie die Förderung dieser sprachlichen Vielfalt.

In Sachen Integration wird auf den „Nationalen Aktionsplan Integration“ verwiesen, welcher auf den zahlreichen unverbindlichen Integrationsgipfeln der Kanzlerin mit einer Reihe freiwilligen Selbstverpflichtungen erstellt wurde und von Kritikern als größtenteils wirkungslos betrachtet wird. Auch verweist die Union auf negative Konsequenzen für „Integrationsverweigerer“, ohne auch hier darauf näher einzugehen.

Der Islam
Anfangs eher unauffällig ist das Islamthema im Unionsprogramm ausgefallen. Zum einen werden muslimische Gemeinden als Bestandteil der Gesellschaft gesehen, auch zeige man als christlich geprägte Partei Respekt vor anderen Glaubensbezeugungen und befürwortet auch islamischen Religionsunterricht oder gar rechtliche Anerkennung, natürlich nicht ohne den Verweis auf unsere Verfassung. Somit dürften die zahlreichen Moscheebesuche von Unionspolitikern in den letzten Jahren nicht ganz umsonst gewesen sein.

Allerdings scheinen es die für den allergrößten Teil der Muslime unbekannten „Schariagerichte“ CDU/CSU so sehr angetan zu haben, dass sie im Integrationsteil prominent Erwähnung finden und die islamischen Verbände sogleich aufgefordert sind, dagegen endlich vorzugehen.

Insgesamt entsteht in diesem Teil des Programms der Eindruck, dass bei Muslimen allgemein die Tendenz „zur Abschottung in Parallelgesellschaften“ bestünde. Hiermit scheint die Union kurz vorher genau die Werke einer Necla Kelek studiert zu haben, denn die muss das ja bekanntlich besonders gut wissen.

Der Verweis auf die Fortsetzung der zur Sicherheitskonferenz mutierten „Deutschen Islamkonferenz“ als angeblich bewährter Ort des Austausches zwischen Muslimen und Regierung klingt hierbei eher wie eine Drohung, als nach einem wirklichen Willen zur gleichberechtigten Teilhabe von muslimischen Gemeinschaften am gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozess.

EU-Beitritt der Türkei
Der Klassiker unter den Wahlkampfschlagern der Union, der EU-Beitritt der Türkei, bleibt auch in seiner x-ten Fortsetzung auf Ablehnung gepolt. Neu ist allerdings, dass man mittlerweile nur noch von einer „Vertiefung der Beziehung“ zwischen der EU und der Türkei reden will, anstelle der vorher konkreteren „Privilegierten Partnerschaft“.

Dass sich die Türkei seit 2005 bereits im Verhandlungsprozess befindet und 13 Verhandlungskapitel seitdem verhandelt werden, wird hier gar nicht erst erwähnt. Auch wird die Wichtigkeit des EU-Beitritts für die demokratische Entwicklung der Türkei komplett ignoriert. Das dürfte in der Türkeifrage eher ein Rückschritt einer bereits rückschrittlichen Position sein, rechtskonservative Wähler dürften vor Freude in die Luft springen über so viel Unverbindlichkeit.

Fazit
Was bleibt nach ausgiebiger Lektüre des 128-seitigen „Regierungsprogramms“ der Merkel-Parteien festzuhalten? In vielen Positionen bleibt die Union ihren alten Standpunkten treu, gerade bei den für Migrantinnen und Migranten wichtigen Fragen nach der doppelten Staatsbürgerschaft und nach dem kommunalen Wahlrecht gibt es keine Änderungen in der ablehnenden Haltung.

Ebenso in der EU-Türkeifrage, welche sogar einen Rückschritt in der Position darstellt. Auffällig scheint der Fokus auf die Mehrheitssprache Deutsch zu sein, der die sprachliche Vielfalt von Millionen Menschen ausblendet. In Sachen Asyl und Flucht gibt es nur minimale Veränderungen, beim Thema „Armutszuwanderung“ aus anderen EU-Staaten ist eher Hilflosigkeit festzustellen, ebenso beim Thema „Abwanderung zugewanderter Fachkräfte“, wo man auf bisher wenig erfolgreiche Rezepte verweist.

Zwiespältig scheint das Verhältnis der Union zum Islam in Deutschland zu sein, nach den Verbalentgleisungen von CSU-Innenminister Friedrich vergangener Jahre. Hier erkennt die Union zumindest einen Teil der muslimischen Realität in Deutschland an, um dann sogleich in alte rechtskonservative Reflexe zu verfallen.

Themen wie Diskriminierung und Rassismus finden sich im Kontext von Integration im Unionsprogramm so nicht, stattdessen wird all denen gedroht, die der nicht weiter definierten Integration nicht genügend Liebe entgegen bringen.

Die Union ist inhaltlich im Jahre 2013 wenig vorangekommen, trotz bewusstem Aufstellen von Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund in ihrer Partei. Auch zeigt das Programm, dass diese Neulinge bisher kaum Einfluss auf die größtenteils noch ordentlich verstaubte Programmatik der Christdemokraten in Sachen „Integration“ haben. Für Wählerinnen und Wähler mit Migrationshintergrund alles andere als eine attraktive Wahl. Das war wohl nichts!

  1. Nicht so wie bei den Grünen mit ellenlangen Diskussionen und über 2000 Änderungsanträgen