Der Blick in den integrationspolitischen Kalender suggeriert, dass sich unsere staatlichen Institutionen ernsthaft und bemüht um eine faire Gestaltung des Zusammenlebens bemühen. Große Tagungen und Konferenzen, die im Titel die Wörter „Islam“ und „Integration“ tragen, finden statt. Auch einige Gastgeber können sich von Rang und Titel her sehen lassen: Innenminister Hans Peter Friedrich und unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Letztere veranstaltete am 28. Mai zum sechsten Mal in Folge den Integrationsgipfel. Ein großer Titel, der dementsprechend große Erwartungen weckt. Eine Zwischenbemerkung kann ich mir an dieser Stelle einfach nicht verkneifen. Den Lesern, die wie ich die Debatte seit fast einem Jahrzehnt verfolgen, empfehle ich: Erwarten Sie lieber nichts, denn nur der, der Erwartungen hat, kann auch enttäuscht werden.
Mit diesem Rat schaffe ich den fast nahtlosen Übergang von der Politik der Bundeskanzlerin zur Politik und Arbeitsweise von Herrn Friedrich, der dieses Jahr erneut zur Plenarsitzung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) einlud. Vorsicht ist geboten: Auch dieser Titel weckt Erwartungen, die der Ausrichter selbst nicht wecken will.
Daher machte er in seiner Antrittsrede deutlich: nur die Konferenz ist deutsch. Der Islam aber gehöre nicht zu Deutschland, denn die islamische Religion sei nicht Teil der Historie der Bundesrepublik. Die friedrich’sche Logik ist klar: Was in der Vergangenheit nicht war, kann nicht ein Teil der Gegenwart oder der Zukunft sein.
Mit Verlaub Herr Friedrich, wo waren Sie, als muslimische (Gast-)Arbeiter in der Vergangenheit nach Deutschland kamen, um die Zukunft Deutschlands aufzubauen? Taten sie das, um in der Gegenwart von Ihnen samt ihrer Religion abgelehnt zu werden?
Ansichten wie diese sind Selbsterklärer; sie verdeutlichen, weshalb die Gipfel und Konferenzen den Ansprüchen der Menschen in diesem Land nicht gerecht werden können. Derartige Statements der Gastgeber schlagen sich zwangsläufig auch auf die Inhalte solcher Veranstaltungen nieder: Sie sind vorgeschrieben und realitätsfern und umfassen schlichtweg die falschen Themen zur falschen Zeit.
Schauen Sie auf den Monat Mai, der die beiden genannten Veranstaltungen beherbergte. Der Mai, der nicht nur aufgrund der klimatischen Zumutungen in die Geschichte eingehen wird, ist der Mai des Auftaktes des NSU-Prozesses, es ist der Mai, der Solingen einen Tag gab.
Das Thema im Mai sollte Fremdenfeindlichkeit lauten. Im Mai sollte es darum gehen, wie das Vertrauen der Menschen mit Migrationsgeschichte gegenüber staatlichen Institutionen wieder hergestellt werden kann. Im Mai, der auf einen April folgte, in dem die Bundesrepublik für den Umgang mit Sarrazins Rassentheorien gerügt werde, sollte es um Toleranz und Vielfalt gehen.
Manch einer würde erwidern, die Signale dieser Veranstaltungen sind doch ausreichend. Die Politiker nehmen sich Zeit für MigrantInnen, die Bilder gehen um die Republik. Es gehe ja schließlich um die Symbolik der Treffen.
Und ich sage: ja, Symbolik ist ganz wichtig. Aber Symbolik muss dem Geschehen der Zeit gerecht werden. Wenn schon Symbolpolitik, dann bitte richtig. Der Mai 2013 bedarf einer Symbolhandlung der besonderen Art. Eine Handlung, die Mölln, München, Dortmund, Rostock und alle Orte der rechten Gewalt erreicht. Der Mai braucht keine Treffen in Hotels in Berlin. Nein, der Mai braucht einen Kniefall vor den Überresten eines Wohnhauses in Solingen.