ARD Talkshow

Das große Ablenkungsmanöver der Anne Will

Ein deutscher Comedian sagte einst treffend: „Wenn sich Ochs und Esel gute Nacht sagen, nennen wir das Talkshow. Jeder darf da ran, Anne Will und Kann Nicht…“

Anlass für dieses Zitat ist die Talkshow mit dem Titel „Allahs Krieger im Westen – wie gefährlich sind radikale Muslime?“, zu der Frau Will am Mittwoch geladen hatte. Politischer Talk will aber gekonnt sein; in erster Linie geht es darum, die richtigen Themen zur richtigen Zeit anzusprechen.

Mittwoch war der 29. Mai. Am 29. Mai 1993 sind – zur Erinnerung an die, die vergessen haben oder vergessen wollen – fünf türkischstämmige Menschen in Solingen von Rechtsradikalen getötet worden. Am 20. Jahrestag dieses Verbrechens ist es ausgerechnet das Erste Deutsche Fernsehen, das das Geschehen nicht adäquat würdigt und der Opfer nicht gedenkt.

___STEADY_PAYWALL___

Liebe ARD, an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob denn vielleicht anti-muslimische Ressentiments in Ihren Redaktionen ausschlaggebend waren für die Themenauswahl? Vielleicht sitzen zu wenige MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund in ihren Redaktionen, die eine alternative Sichtweise hätten bieten können?

MitarbeiterInnen, die ihnen vielleicht gesagt hätten, dass Solingen noch ganz tief sitzt, auch bei denen, die 1993 noch nicht auf der Welt waren oder zu jung waren, um die Tat zu verstehen. Und, auch dass es nach Solingen einen Bruch gab, sodass Misstrauen und eine tiefe Wunde aufkamen. Eine Wunde, die nicht verheilen kann, weil sie immer wieder geöffnet wird.

20 Jahre nach dem verheerenden Brandanschlag in Solingen waren es die NSU-Morde, die erneut in die Wunde stachen und sie durch den Umgang mit ihnen klaffen ließen. Opfer wurden zu Tätern, Opferfamilien wurden kriminalisiert und beschuldigt. Seit der Aufdeckung dieser fremdenfeindlich motivierten Morde folgte eine Panne der anderen. Sei es im Umgang der Behörden bei den Ermittlungen vor der Aufdeckung, oder auch danach.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zieht ein katastrophales Fazit: ein Totalversagen der Behörden. 20 Jahre nach Solingen und am Gedenktag des Brandanschlags versagt das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Es versagte nicht nur, weil es nicht das richtige Thema wählte, sondern weil es am 20. Jahrestag von Solingen fremdenfeindliche Ressentiments bediente und Islamophobie beförderte.

Befördert durch die Unkenntnis eines CSU-Politikers, der große Phrasen in den Raum und sogar den Iran und den Salafismus in einen Topf wirft. Befördert aber auch durch die Intoleranz einer Necla Kelek, die sich über das äußerliche Auftreten einer Teilnehmerin beschwert und somit aufdeckt, in welch oberflächlichen Mustern sie denkt.

Eine Frau Kelek, die alle Missstände der Welt, angefangen bei schlechter Ernte, Niederlagen im Sport oder die Finanzkrise, mit Zwangsehen und Kopftüchern erklären würde. Sie ist gewiss keine sachliche und lösungsorientierte Gesprächspartnerin. Und da war ja noch eine Moderatorin, die der Frage nach der Gefahr radikaler Muslime, über die Antworten einer muslimischen Teilnehmerin aus der Schweiz im Bezug auf ihre Einstellungen gegenüber dem Sexualverhalten Dritter, nachgehen wollte, nachdem sie sich zuvor einen Freud’schen Versprecher darüber geleistet hatte, welche Rechte eine vollverschleierte Frau denn für sich beanspruchen könne.

Auch wenn die gestrige Talkshow für die Opfer vom 29. Mai 1993 keine symbolische Kerze anzündete, so taten es viele Menschen in diesem Land. Solingen wird nicht in Vergessenheit geraten. Der Versuch der Ablenkung ist gescheitert.