Die vergleichende Politikwissenschaft belegt eindrucksvoll, dass die Etablierung einer rechtspopulistischen Anti-Immigrations-Partei die größte Gefahr für einen toleranten Integrationsdiskurs und liberale Gesetzgebung darstellt. Die Aufstiegschancen einer solchen Partei standen in Deutschland selten besser und dies muss daher gerade bei der Diskussion um die Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft bedacht sein.
Gleichwohl Rechtspopulisten nur sehr selten in Regierungsverantwortung stehen, ist ihr Einfluss auf die politische Landschaft enorm: In dem Versuch ihre Wähler zurückzugewinnen sind die Konservativen und Sozialdemokraten in ganz Westeuropa verzweifelt bemüht, Rechtspopulisten „rechts zu überholen“. Auf diesem Wege werden nicht nur sehr restriktiven Gesetzen der Weg geebnet, sondern zudem die ganze Integrationsdebatte nationalistisch und immigrationsfeindlich eingefärbt. Um dies zu verdeutlichen hilft ein Blick nach Frankreich, die Alpenrepubliken oder Skandinavien: der gerade für deutsche Betrachter ungewohnt nationalistische Diskurs in diesen Ländern geht auf die frühen Durchbrüche von Anti-Immigrations-Parteien in den 1970er/80er Jahren zurück. Dass jene Länder über die restriktivste Integrations- und Einwanderungspolitik verfügen, verwundert daher nicht. „Dank“ Pim Fortuyn, Geert Wilders und Jimmie Åkesson sind auch die einstmals hochliberalen Niederlande und Schweden dabei diesen Kurs eingeschlagen.
Die Wahlerfolge dieser Parteien lösen nahezu ein politisches Erdbeben aus. Das linke politische Lager wird durch deren Durchbrüche enorm geschwächt, wobei die Sozialdemokraten am meisten betroffen sind. Denn da sich Rechtspopulisten gerne als vermeintlicher Anwalt der Interessen des steuerzahlenden Arbeitnehmers portraitieren, wundert es nicht, dass im Schnitt die Hälfte ihrer Wähler vormals für Sozialdemokraten votierte. Ihr Durchbruch kommt ferner dem bürgerlichen Lager sehr gelegen – die Liberalen und Konservativen profitieren dabei doppelt: sie gewinnen eine neue Koalitionsoption hinzu und/oder können sich darauf verlassen, dass klar konservative Belange durch einen Partner gedeckt sind und können sich allein auf die politische Mitte konzentrieren. Nicht nur die SPD, auch Die Grünen würden dies schmerzlich zu spüren bekommen.
Somit führt der Durchbruch von rechtspopulistischen Parteien mittelfristig zu einer Nationalisierung des Zugehörigkeitsdiskurses, einer klaren Verschärfung von Zuwanderungspolitiken und einer strukturellen Schwächung des gesamten linken politischen Lagers, allen voran der Sozialdemokraten. Den Aufstieg einer solchen Partei in Deutschland unter allen Umständen zu verhindern, liegt daher gerade im Interesse Anhänger liberaler Integrationsdebatten. Dies betrifft besonders jene im politisch linken Lager. Es gilt hierzu in Integrationsdebatten Fingerspitzengefühl zu bewahren und der CDU/CSU im Zweifel weit entgegen zu kommen.
Nicht die deutsche NS-Vergangenheit, sondern eine klare konservative Position der CDU/CSU in Integrationsfragen ist das beste Schutzschild gegen rechtspopulistische Anti-Immigrations-Parteien
Die Geißel des Rechtspopulismus plagt ganz Westeuropa – bis auf Spanien, Irland und Deutschland. Zwar sehen vergleichende Studien deren Wählerpotential – unabhängig von Zeitpunkt und Land – stabil zwischen 15 und 25%, doch stehen gerade in Deutschland die Zeichen erschreckend günstig, um einen Rechtsausleger reüssieren zu lassen: lange Zuwanderungsgeschichte, ein hoher Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund und ein schwelender Integrationsdiskurs. Wie kommt es aber, dass bis zu 25% der europäischen Wahlberechtigten Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache, Geert Wilders und Konsorten ihre Stimme anvertrauen (würden)? Sind ein Viertel aller Europäer also als Rassisten zu bezeichnen? Weit gefehlt, Wahlstudien zeigen, dass nur ein verschwindend geringer Teil ihrer Anhänger rassistische Grundhaltungen äußert. Neben mobilisierten Nichtwählern besteht das Gros ihrer Sympathisanten aus klassisch konservativer Klientel, das vormals den etablierten Volksparteien zusprach. Sie gehören ferner hinsichtlich Ausbildung, Einkommen und Wohnort der Mittelschicht an. Die Wähler von rechtspopulistischen Anti-Immigrations-Parteien stammen also aus der Mitte der Gesellschaft.
All diese Faktoren zusammen genommen lassen umso mehr fragen, warum sich eine derartige Partei in Deutschland dann bis dato nicht etablieren konnte. Immunisiert uns unsere nationalsozialistische Vergangenheit? Traut sich kein konservativer Politiker aus der Union auszusteigen um sich an einer neuen Partei zu versuchen, da er sich vor dem Nazi-Label fürchtet? Sind die deutschen Wähler gegen rechtspopulistische Argumente gefeit? Haben wir von der Geschichte gelernt, dass frei nach Franz Josef Strauß rechts von der CDU/CSU nur die Wand steht?
Weit gefehlt. Die vergleichende Parteienforschung zeigt, dass die Gründe für Auf- und Abstieg rechtspopulistischer Parteien länderübergreifend fast die gleichen sind. Bestimmte nationale Eigenheiten galten auch im Rest Europas als Erklärung für das Unvermögen von Rechtspopulisten, bis jene plötzlich im Nationalparlament saßen. Dass deren Schwäche hierzulande durch die NS-Vergangenheit kaum zu erklären ist, belegen die hohen Zustimmungsraten zu Parteien rechts der CDU/CSU ebenso eindrucksvoll: 1989 erhalten die Republikaner (REP) 7,1% der Stimmen bei der Europawahl und ziehen in den frühen 1990ern mit zweistelligen Wahlerfolgen in mehrere Landtage ein. Die PRO-Bewegung von Roland Schill erzielt bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2001 19,4% der Stimmen. Thilo Sarrazins Polemiken finden großen Zuspruch in der Bevölkerung. Die sog. „Wahlalternative 2013“ droht in den Bundestag einzuziehen.
Die Berliner Republik scheint rechtspopulistischer Rhetorik also genauso ab- oder zugeneigt zu sein, wie unsere europäischen Nachbarn. Wo bleibt also der deutsche Jörg Haider? Bzw. warum bleibt die Zustimmung zu seinen deutschen Pendants aktuell so niedrig? Der zentrale Grund hierfür liegt eindeutig in der Fähigkeit der CDU/CSU konservativer Politiker in ihren Reihen von einer Parteineugründung abzuhalten, bzw. konservative Wähler an sich zu binden. Dies ist möglich, da die Union seit 1990 in zentralen politischen Streifragen ein konservatives Profil wahren kann. Genau dies haben ihre europäischen Schwesterparteien nicht geschafft und ist der entscheidende Grund für die Erfolge rechtspopulistischer Anti-Immigrations-Parteien bei unseren europäischen Nachbarn.
Der Aufstieg von Rechtspopulisten als Gegenreaktion auf multikulturelle Diskurse
Die konservativen Parteien in Westeuropa setzten – genau wie in Deutschland – Immigrationsthemen v.a. auf die politische Agenda um konservative Wähler zu mobilisieren. Da sie aber ihren Standpunkt im Laufe der Debatte öffentlichkeitswirksam liberalisierten, verprellten sie konservative Politiker und Wähler. Sie gründeten, bzw. schlossen sich einer Partei an, die klare konservative Standpunkte in Immigrationsfragen vertrat. Warum liberalisieren Mitte-Rechts Parteien aber ihre Standpunkte, wenn sie doch das Thema selbst auf die Agenda setzen um dezidiert konservative Wähler anzusprechen? Sie tun dies, wenn sie annehmen, dass ihnen eine Liberalisierung in integrationspolitischen Fragen mehr Wähler in der politischen Mitte verspricht, als sie befürchten konservative Wähler zu verprellen. Der entscheidende Faktor ist also die Position des linken politischen Lagers, definieren sie doch den Gegenpol in der Debatte und motivieren die Konservativen entweder ihrer Linie treu zu bleiben, oder sie zu liberalisieren.
Ein Blick nach Frankreich und die Niederlande hilft dies zu verdeutlichen. Der Aufstieg der französischen Front National in den 1980ern geht auf das Bestreben des Sozialisten François Mitterrand zurück: mit einer sehr liberalen Position in Zuwanderungsfragen hat er dem Front National eine Nische geschaffen, da die etablierten französischen Konservativen angesichts der erfolgreichen Sozialisten und ihrer liberalen Agenda keine strikt konservative Position vertreten konnten, wollten sie doch auch Wähler der Mitte ansprechen. Mitterand erhoffte sich hierdurch eine Spaltung des rechten Lagers, um so einen Vorteil im auf zwei Parteien ausgelegten Präsidialsystem Frankreichs zu erzielen. Dem spektakulären Durchbruch der Liste Pim Fortuyn in den Niederlanden 2002 ging der Versuch der niederländischen Konservativen (VVD) voraus dem sozialdemokratischen Koalitionspartner PvdA ab 1994 restriktivere Asyl- und Integrationsrichtlinien abzuringen. Da eine Regierungsbildung gegen die starke PvdA zwischen 1994 und 2002 unmöglich war, akzeptierte die VVD große Teile der hochliberalen Agenda der niederländischen Sozialdemokraten und verprellte damit das konservative Klientel. Jene lief Pim Fortuyn und Geert Wilders in den frühen 2000ern in Scharen zu.
Ein sehr ähnliches Szenario spielte sich Ende der 1980er auch in Deutschland ab: Die CDU/CSU gab ihren sehr restriktiven Kurs der Repatriierungsprogramme (Stichwort „geistig-moralische Wende“) auf, als die SPD ab 1987 in den Umfragen zu führen begann, während sie in Integrationsfragen multikulturelle Standpunkte vertrat. Da die Union in den späten 1980ern in den Umfragen enorm absackte, übernahm sie ab 1988 Teile dieser multikulturellen Agenda und enttäuschte so ihre konservativen Wähler, die sich ab der Europawahl 1989 den Republikanern (REP) zuwandten. Die CDU/CSU konnte aufgrund ihrer tragendenden Rolle bei der Wiedervereinigung 1989/90 und ihres sehr restriktiven Kurses in Asyl- und Integrationsfragen im Laufe der frühen 1990er jene verprellten Konservativen allerdings wieder zurück gewinnen. Nur so verpassten die REP bei den Bundestagswahlen 1990 und 1994 die 5%-Hürde und zogen nicht ins Parlament ein.
Die komplette Aufgabe der multikulturellen Agenda durch die SPD war dabei ein entscheidender Beitrag: Im krassen Gegensatz zu den 1980ern verzichtete die SPD ab dem Wahljahr 1990 auf multikulturelle Kampagnen. So bietet die SPD der CDU/CSU keinen Anlass ein multikulturelles Profil zu entwickeln und erlaubt es der Union, konservative Wähler und Politiker weiter an sie zu binden.
In zentralen Zuwanderungsthematiken der Berliner Republik sucht die SPD seit 1990 stets die Nähe zur Union: Sie stimmte 1992 dem „Asylkompromiss“ zu, der eine Abkehr vom liberalen Asylprocedere darstellte, die von der CDU/CSU seit Mitte der 1980er gefordert wurde. Die SPD akzeptierte 1999/2000 auch das „Optionsmodell“ und nahm davon Abstand die Doppelte Staatsbürgerschaft gegen den Widerstand der Union einzuführen. Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) kam bei der Erarbeitung des Zuwanderungsgesetzes 2001-2004 der CDU/CSU weit mehr entgegen, als dem grünen Koalitionspartner. Angesichts der jüngsten Polemiken Thilo Sarrazins 2010 verzichtete die SPD – wie die Union – auf eine liberale und öffentlichkeitswirksame Kampagne. Dies muss gerade für SPD-Mitglieder mit Migrationshintergrund wie ein Schlag ins Gesicht erscheinen, aber die Strategie der SPD, Rechtsausleger in ihren eigenen Reihen zu dulden, verhinderte Thilo Sarrazin eine Nische im deutschen Parteienspektrum anzubieten.
Die SPD vermied ergo ab 1990 eine große politische Konfrontation mit der Union in Zuwanderungsfragen und suchte stattdessen in Liberalisierungsfragen stets den eher konservativen Kompromiss. Auf diesem Wege konnte sich die CDU/CSU als Wahrer der Interessen konservativer Politiker und Wähler profilieren – eine Partei rechts der Union war nicht gefragt. Wie am Beispiel Frankreich und der Niederlande beschrieben, folgten aber die Konservativen in anderen Staaten den multikulturellen Agenden des linken politischen Lagers und forcierten so das Bedürfnis nach einer rechtspopulistischen Anti-Immigrations-Partei. Allein die Konservativen in Irland und Spanien übernahmen keine multikulturellen Standpunkte und verhinderten so den Aufstieg einer neuen, rechten Partei.
Es ist dieser politische Mechanismus, der die Schwäche von Parteien rechts der Union erklärt, und ausdrücklich nicht die deutsche NS-Vergangenheit. Des Rätsels Lösung ist das klare konservative Profil der CDU/CSU in Integrationsfragen.
Die Chancen für eine rechtspopulistische Anti-Immigrations-Partei standen in Deutschland selten besser
Genau an dieser konservativen Profilierung mangelt es der CDU/CSU aber im Besonderen in diesen Jahren: Die Gründung des „Berliner Kreises“ als Zusammenschluss der Konservativen in der CDU/CSU ist nur ein Zeichen des wachsenden Unbehagens um den Ausverkauf des sog. „konservativen Tafelsilbers“. Die Zeitungskommentare der letzten Jahre besingen den Modernisierungskurs der Union: Berufsarmee, Atomaussteig, gar Gedanken über die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften und eine Frauenquote – die Union verabschiedet sich peu à peu von ihren einstmaligen heiligen Kühen des Konservativismus. Warum aber führt dies nicht zum oftmals herbeigeschriebenen Aufstand der Konservativen? Zu einer Parteineugründung rechts der Union? Was hält Konservative vom Schlage Volker Kauders oder Wolfang Bosbachs noch bei der CDU/CSU? Purer Opportunismus? Nein, die Union verfügt nach wie vor noch über ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu ihren europäischen Schwesterparteien: die klare konservative Position in Integrationsfragen.
Sollte die Union aber nun gerade im Wahljahr 2013 bei den Themen, die wie kaum andere den Kern des Konservativismus berühren, nämlich nationale Identität, Zuwanderung und Integration, konservative Standpunkte öffentlichkeitswirksam und auf Druck hin räumen, da das linke politische Lager die Wahlen gewinnt und multikulturelle Standpunkte vertritt, wird es kaum mehr einen Konservativen bei der CDU/CSU halten. Konservative Politiker und Wähler würden sich endgültig nach einer Alternative umsehen, die klare konservative Positionen vertritt: Gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, für die Atomkraft etc. und v.a. gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft. Einen besseren Wahlkampfschlager als die Möglichkeit, als alleiniger Gegner der Doppelten Staatsbürgerschaft auftreten zu können, kann sich kein Rechtspopulist erträumen.
Sollte die Union diese Position auf Druck des linken politischen Lagers räumen und nicht wieder integrieren können, wäre der Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei und dessen Bundestagseinzug mit mittelfristig 15-25% der Mandate die logische Konsequenz. Das belegen die Entwicklungen bei unseren europäischen Nachbarn. Der größte Profiteuer hiervon wäre das bürgerliche Lager und Verfechter restriktiver Integrationspolitik, der größte Verlierer das linke politischer Lager und Anhänger eines multikulturellen, toleranten Deutschlands.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Was also ist zu tun? Neben dem Zuwanderungsgesetz von 2004 benötigt gerade das Optionsmodell dringend Nachbesserungen – die Doppelte Staatsbürgerschaft soll her. Doch hier muss der Union unbedingt die Möglichkeit eingeräumt werden, weiter ihre konservative Klientel an sich zu binden. Eine öffentlichkeitswirksame bundespolitische Konfrontation muss daher vermieden werden. Denn sollte die CDU/CSU diese aufgeben und multikulturelle Standpunkte vertreten, ist der Aufstieg einer neuen Partei rechts der Union wohl nicht mehr aufzuhalten. Vertreter liberaler Integrationspolitik und der Doppelten Staatsbürgerschaft sollten daher nicht den offenen politischen Konflikt, sondern ihren Einfluss auf alle Ebenen der CDU/CSU nutzen: sei es in Podiumsdiskussionen, mit Gesprächen mit einzelnen Parlamentariern, mit liberaler Integrationspolitik auf lokaler Ebene. Von wenigen Hardlinern abgesehen, ist kaum ein Politiker der CDU/CSU rationalen und nachvollziehbaren Argumenten in der Integrationsdebatte abgeneigt. Die Erfolge des liberalen, bunten, und nun peu à peu auch europaweit angesehenen Einwanderungslands Deutschland sprechen für sich. Dies sollte dazu führen, dass Immigrationsthemen aus der politischen Auseinandersetzung heraus gehalten werden, bzw. die Union von sich heraus auf eine Mobilisierung konservativer Wähler durch nationalistische Anti-Immigrationsrhetorik verzichtet.
Große politische Veränderungen sind nur haltbar, wenn sie sich auf einen größtmöglichen gesellschaftlichen und politischen Konsens stützen können. Sie gelingen dann und sind in der politischen Kultur verankert, wenn die Partei, die ihr einst am fernsten stand, diese vertritt: dies gilt für die Kampfeinsätze der Bundeswehr, die der grüne Außenminister Joschka Fischer leidenschaftlich verteidigte; die Reform des deutschen Wohlfahrtsstaates durch eine sozialdemokratische Regierung; die Bestätigung des Atom-Ausstiegs durch die Regierung Merkel; sowie für die endgültige Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland durch das Zuwanderungsgesetz, das 2004 gerade durch Stimmen der CDU/CSU zustande kam. Ein im Zweifel konservativerer Konsens mit der weitestgehenden Einbindung der CDU/CSU und die Vermeidung einer großangelegten politischen Konfrontation sind also der Schlüssel zur Vermeidung von Erfolgen von Anti-Immigrations-Parteien in der Berliner Republik. Dies ist v.a. für Vertreter liberaler Integrationspolitiken sicher eine bittere Pille, aber eindeutig das kleinere Übel, wie ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn eindrucksvoll belegt.
Sollte die Union jedoch auf die nationalistische Karte setzen, wäre das linke politische Lager klug beraten, ihr keine multikulturelle Agenda entgegen zu setzen. Es liegt gerade im Interesse von Anhängern liberaler Gesetzgebung, dass die Union in der Lage ist, durch ein klar konservatives Profil in Integrationsfragen konservative Wähler an sich zu binden. Denn es wird stets 15-25% der Wahlberechtigten geben, die hier nach einer Partei mit einem klar konservativen Profil suchen. Dass selbst der liberalste und toleranteste Diskurs daran nichts ändern kann, wird nicht zuletzt durch die großen Erfolge von rechtspopulistischen Anti-Immigrations-Parteien in den Niederlanden und Schweden belegt. Die beschriebenen dramatischen Veränderungen in Diskurs und Gesetzgebung und die strukturelle Schwächung des linken politischen Lagers, die durch deren Parlamentseinzüge ausgelöst werden, sind ein Beleg dafür, dass eine offensive multikulturelle Agenda, die das linke politische Lager der CDU/CSU in einer öffentlichkeitswirksamen politischen Konfrontation aufdrückt, für das linke Lager und eine liberale Gesellschaft ein folgenschwerer Pyrrhussieg wäre.