SVR Jahresgutachten

Rumänen und Bulgaren besser ausgebildet als Deutsche

Fast zwei Drittel der Zuwanderer stammen aus EU-Ländern. Sie sind jünger und besser ausgebildet als die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland. Das gilt auch für Rumänen und Bulgaren – Einwanderung in Sozialsysteme ist bisher nur die Ausnahme.

Deutschland ist zum Magnet für gut qualifizierte Zuwanderer aus der EU geworden. Über zwei Drittel aller Zuwanderer im ersten Halbjahr 2012 waren Unionsbürger. Von der neuen Mobilitätsdynamik in der EU profitiert Deutschland laut Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) gleich dreifach:

Die Zuwanderer sind jung, gut qualifiziert und sie kommen zahlreich. Sie sind durchschnittlich zehn Jahre jünger als die Mehrheitsbevölkerung und sie haben häufiger einen Hochschulabschluss als die Mehrheitsbevölkerung. „Durch die qualifizierte Zuwanderung aus EU-Staaten erzielt Deutschland eine messbare Freizügigkeitsdividende. Das wird bislang viel zu wenig wahrgenommen“, sagte die SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Christine Langenfeld am Freitag in Berlin, die den Jahresbericht an Bundespräsident Joachim Gauck überreichte.

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Wie aus dem Jahresgutachten weiter hervorgeht, liegt der Anteil der Hochqualifizierten an den seit 2004 zugewanderten Unionsbürgern im Alter von 25 bis 44 Jahren über dem der Mehrheitsbevölkerung im gleichen Alter: jeder Fünfte (20,7 %) der Zuwanderer aus den EU-Beitrittsstaaten von 2004 (u.a. Polen, Tschechien, Ungarn) hat einen Hochschulabschluss. Dies gilt mit 20,9 Prozent auch für die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Bei der gleichaltrigen Mehrheitsbevölkerung in Deutschland liegt der Akademikeranteil mit 18,1 Prozent darunter.

Soziale Solidarität ausgeprägt
Laut SVR-Papier stärkt qualifizierte Zuwanderung auch die sozialen Sicherungssysteme. Nur aufgrund der steigenden Zuwanderung von Unionsbürgern habe die Nettozuwanderung nach Deutschland zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder ein Maß erreicht, das den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme abfedere. Deutschland habe sich damit zu einem Zuwanderungsland entwickelt. Der Trend, dass vor allem Mittel- und Hochqualifizierte Deutschland verlassen und Geringqualifizierte zuwandern, sei gestoppt.

Das Jahresgutachten 2013 untersucht, wie sich die EU-Binnenmigration entwickelt und welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind. Es stammt in seiner Konzeptidee noch aus der Zeit des Gründungsvorsitzenden Prof. Klaus J. Bade. Für das Jahresgutachten wurde ein Migrationsbarometer erstellt. Befragt wurden über 2.200 Personen mit und ohne Migrationshintergrund zu ihrer Einschätzung zur EU-Freizügigkeit, zu ihrer Identifikation mit Europa und zur Solidarität in Europa.

Wie aus dem Migrationsbarometer hervorgeht, besteht ein hohes Maß an Bereitschaft zu sozialer Solidarität mit Unionsbürgern. Über 70 Prozent aller Befragten mit und ohne Migrationshintergrund stimmen zu, dass neuzugewanderte Unionsbürger, die in Deutschland arbeitslos werden, Sozialleistungen erhalten. Der SVR gibt in seinem Gutachten aber zu bedenken, dass Solidarität auch Grenzen hat. Eine weitere Öffnung sozialer Sicherungssysteme sei mit Bedacht und Vorsicht vorzunehmen, um nicht am Ende die Zustimmung zum Europaprojekt insgesamt zu riskieren. Es müsse oberstes Ziel sein, die Wohlstandsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu verringern.

Armutswanderung ist Ausnahme
Der Sachverständigenrat geht in seinem Jahresgutachten auch der Frage nach, ob eine Einwanderung in die Sozialsysteme festzustellen ist. Die vielfach geäußerte Sorge, dass die EU-Erweiterung eine Einwanderung in die Sozialsysteme fördern könnte, hat sich bislang als unberechtigt erwiesen. So gehen 72,1 Prozent der Bulgaren und Rumänen, die nach 2007 nach Deutschland zugezogen sind und zwischen 25 und 44 Jahre alt sind, einer Erwerbstätigkeit nach. Das ist für Neuankömmlinge eine gute Arbeitsmarktintegration. Insofern werde das Ausmaß des Sozialhilfebezugs von EU-Staatsangehörigen in der öffentlichen und politischen Diskussion regelmäßig überschätzt.

„Armutswanderung ist bislang die Ausnahme, nicht die Regel“, sagte Langenfeld. Dennoch sei nicht auszuschließen, dass es künftig bei einem größer werdenden Wohlstandsgefälle innerhalb der EU zu Armutswanderungen kommt, bei denen die Sozialleistungen in Deutschland eine Rolle für die Wanderungsentscheidungen spielen. Dies gilt vor allem für die Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien, für die ab 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit greift. Ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit liegt weit hinter dem EU-Durchschnitt zurück.

Anerkennungsgesetz umsetzen
Bei einem Teil der Zuwanderung aus diesen beiden Ländern handelt es sich um Roma, die in Rumänien und Bulgarien am Rand der Gesellschaft leben und kaum Zugang zu Bildung und Arbeit haben. Teilweise werden sie als Scheinselbständige in illegalen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet und zahlen Wuchermieten für schlechten Wohnraum. Die Bundesregierung, die das Problem lange Zeit ausgeblendet hat, muss nach Einschätzung des SVR nun geeignete Maßnahmen ergreifen – im engen Austausch mit Roma-Interessenvertretungen.

Insgesamt ist Europa nach Einschätzung des SVR nach wie vor kein perfekter Wanderungsraum. Eine Reihe von Barrieren erschwert die Mobilität innerhalb Europas. „Das Anerkennungsgesetz ist eine entscheidende Starthilfe für die Integration“, sagte die SVR-Vorsitzende Langenfeld. Umso wichtiger sei es, verbliebene Hürden zu beseitigen. Die Bundesländer müssten sicherstellen, dass die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen bundesweit möglichst einheitlich umgesetzt wird. Dies müsse bei der Verabschiedung der elf noch ausstehenden Landesgesetze beachtet werden. Die Bundesländer sollten in der EU ausgebildete und anerkannte Lehrer mit nur einem Unterrichtsfach zulassen, auch wenn üblicherweise die Lehrbefähigung in zwei Fächern vorausgesetzt wird. Hamburg hatte vorgemacht, dass dies möglich ist.

Nachqualifizierung finanzieren
Außerdem sei die Finanzierung der Nachqualifizierung unzureichend gelöst. Es gibt im Falle einer teilweisen Anerkennung des Berufsabschlusses bislang nur wenige Möglichkeiten. Eine Förderung durch die Arbeitsagenturen sei nur für Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte möglich. Wer einen Arbeitsplatz unterhalb seiner Qualifikation habe, bleibe außen vor. „Damit Angebote zur Nachqualifizierung auch wahrgenommen werden können, müssen die Finanzierungsmöglichkeiten verbessert und die bestehenden bekannter gemacht werden“, empfahl die SVR-Vorsitzende.

Die Integration von Neuzuwanderern auch aus EU-Staaten sei kein Selbstläufer. Eine wichtige Rolle spiele hier die Förderung des Spracherwerbs. „Viele Neuzuwanderer aus der EU haben noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse. Sie sollten beim Spracherwerb stärker unterstützt werden. Derzeit können sie an den Integrationskursen nur dann teilnehmen, wenn noch Plätze frei sind“, so der SVR. Er regt daher an, für EU-Bürger den Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen zu stärken.

Imagewandel vorantreiben
Als Integrationsmotor könnten auch die Universitäten dienen. Die EU-Freizügigkeit ermöglicht Unionsbürgern ein Studium in allen EU-Mitgliedstaaten. Die steigende Zahl der Studierenden aus der EU zeigt laut SVR, dass Deutschland ein attraktives Zielland ist: Mit 30.265 Studienanfängern aus EU-Staaten im Studienjahr 2010/2011 kamen 21,0 Prozent mehr Unionsbürger für ein Studium nach Deutschland als noch im Studienjahr 2009/2010. Aus Sicht des SVR sollte verstärkt dafür geworben werden, dass internationale Absolventen nach ihrem Abschluss in Deutschland bleiben. Um ihrer zuwanderungspolitischen Rolle gerecht zu werden, müssten die Universitäten auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden.

Insgesamt habe Deutschland bei der Integration und der Zuwanderungssteuerung in den vergangenen fünfzehn Jahren kräftig aufgeholt. Nun gelte es, die verschiedenen migrationspolitischen Themenfelder zu verknüpfen, die bislang weitgehend unabhängig und unverbunden diskutiert würden. Als demografisch alterndes Land müsse Deutschland in den nächsten Jahren verstärkt Zuwanderer gewinnen, um die Fachkräftelücke langfristig zu schließen. Einige Weichen hierfür seien durch die Liberalisierung der Zuwanderungssteuerung bereits gestellt. „Es kommt nun darauf an, diese Regelungen auch offensiv zu kommunizieren. Deutschland muss aktiv einen Imagewandel vorantreiben, der eine Offenheit für Zuwanderung signalisiert.“