Interview mit Cindik-Herbrüggen

Integrationspolitik. Besonders in Bayern gibt es noch großen Entwicklungsbedarf.

Im September diesen Jahres stehen in Bayern Landtagswahlen an. MiGAZIN sprach mit Elif Duygu Cindik-Herbrüggen, eine SPD-Landtagskandidatin, die endlich Migrationserfahrung in den Landtag bringen könnte.

MiGAZIN: Im Bayerischen Landtag gab es bis heute keinen einzigen Abgeordneten, der Migrationserfahrung mitbringt. Sie kandidieren für die SPD und könnten das ändern. Überrascht es Sie, dass sie die Erste in Bayern werden könnten?

Elif Duygu Cindik-Herbrüggen: Als ich zum ersten Mal gehört habe, dass es im Bayrischen Landtag nie einen Abgeordneten mit Migrationshintergrund gegeben hat, war ich sehr überrascht. Wenn man bedenkt, dass in einer Großstadt wie München 37% aller Menschen einen Migrationshintergrund haben, ist es überfällig, dass der Landtag diese Vielfalt in der Bevölkerung auch widerspiegelt. Natürlich will ich nicht auf meinen Migrationshintergrund reduziert werden. Aber ich denke, dass es eine große Bereicherung für andere Abgeordnete sein kann, wenn ein Migrant mitregiert, der sich in mehreren Kulturen gut auskennt und wohlfühlt. Ich habe viele Patienten mit Migrationshintergrund und Kontakte zu vielen (Kultur-)Vereinen und merke, wie sehr sich diese Menschen endlich eine authentische Politikerin im Landtag wünschen, die ihre Interessen einbringt. Ein wenig komme ich mir dabei vor wie eine Pionierin im Parlament. Vor allem aber vertrete ich auch die Belange der Erdinger. Ich habe mir fest vorgenommen, mehr Erding in den Landtag und mehr Landtag nach Erding zu bringen.

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MiG: Sie sind vom Beruf Psychiaterin und haben eine Praxis in München mit starkem Zulauf. Man könnte meinen, sie werden sich auf gesundheitspolitische Themen konzentrieren. Ist das so?

Dr. Elif Duygu Cindik-Herbrüggen wurde 1970 in Istanbul geboren und wuchs in Frankfurt a.M. auf. Sie lebte 3 Jahre in den USA und führte ihre Dissertation und einen Zusatzstudiengang an der Harvard University durch. Sie hat sich als Psychiaterin und Therapeutin in München niedergelassen und engagiert sich sehr für die interkulturelle Öffnung des deutschen Gesundheits- wesens. Sie kandidiert bei den Bayerischen Landtagswahlen 2013 für die SPD.

Cindik-Herbrüggen: Ich bin seit dem Ende meines Studiums 1996 berufstätig. Ich habe in unterschiedlichen Fachrichtungen, in der Uniklinik, in der Forschung und die meisten Jahre in der klassischen Patientenversorgung gearbeitet. Ich war Oberärztin in einer Rehaklinik und Assistenzärztin in der Neurologie. Ich will damit sagen, dass ich eine Politikerin bin, die den Arbeitsalltag von normalen Menschen kennt. Natürlich werde ich bei meiner Arbeit von meinem Fachwissen und den jahrelangen Erfahrungen im Gesundheitsbereich profitieren. Denn ich bin Quereinsteigerin und keine Berufspolitikerin. Aber mein politisches Interesse geht natürlich weit über das Thema Gesundheit hinaus. Dennoch denke ich, dass Bayern definitiv eine Psychiaterin und Therapeutin im Landtag braucht! (lacht)

MiG: Welche Themen sind Ihnen persönlich noch wichtig? Worauf wollen Sie besonderen Wert legen?

Cindik-Herbrüggen: Selbstverständlich stehe ich mit meiner Vita für die zweite Generation von Einwanderern, die oft mit Nachteilen aufgrund von mehr oder weniger offener Diskriminierung (z.B. bei der Vergabe von Stipendien, bei Bewerbungen auf Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze etc.) ihren Weg gemacht hat. Ich möchte für Menschen mit Migrationshintergrund ein Vorbild sein, für mehr Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland, für politische Teilhabe und Partizipation. Mein Vater hat acht Geschwister und ist der Sohn eines Bauern vom Schwarzen Meer. Die türkischstämmige Familie meiner Mutter musste ihre griechische Heimat verlassen und in Istanbul neu anfangen. Meine Familie hat also mehrmals an einem neuen Ort, in einem fremden Land von vorne anfangen müssen. Auch ich bin in Istanbul geboren und in Frankfurt aufgewachsen, habe mehrere Jahre in den USA gelebt und bin nun sesshaft in Bayern geworden. Durch diese Erfahrungen habe ich gelernt, mit Menschen, die anders wirken, ohne „Fremdeln“ umzugehen, ihnen richtig zuzuhören und individuelle Lösungen für Probleme zu entwickeln.

Die Themen Zugehörigkeit und Identität, Diskriminierung und Chancengleichheit und alles, was damit zusammenhängt, sind Anliegen, die die zweite Generation von Migranten in Deutschland – die „Neudeutschen“ – haben und damit auch für mich wichtige Themen. Ich werde mich ganz sicher in der Integrationspolitik engagieren. Besonders in Bayern gibt es noch großen Entwicklungsbedarf. Ich sehe aber Integrationspolitik als Querschnittthema und denke, dass insgesamt viele Determinanten wie Bildung, Frauen und Gesundheitspolitik für eine ausreichende Integration sorgen müssen. Außerdem sind mir Themen wie der Mindestlohn und gleiches Geld für gleiche Arbeit bei Frauen, ein verbesserter Zugang zur Bildung für Arbeiterkinder und Kinder mit Migrationshintergrund wichtig. Natürlich ist mir auch eine gute Gesundheit für alle und damit ein gerechtes gesetzliches Gesundheitssystem ein echtes Anliegen.

Unser Wahlprogramm hat sehr viele wichtige Punkte, wie das Abschaffen des dreigliedrigen Schulsystems mit dem Grundschulabitur für Kinder, die sich bereits in der vierten Klasse quälen müssen, um auf das Gymnasium zu kommen. Wir haben mit dem fehlenden Wohnraum zu fairen Preisen und weiteren ganz speziellen Sorgen meiner Region Erding noch gar nicht gesprochen. Hier sind wir außerdem gegen die 3. Startbahn am Flughafen und wünschen uns dringend den überfälligen Ausbau der Infrastruktur wie den S-Bahn-Ringschluss und ein zweigleisiger Bahnausbau.

MiG: Sie haben neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch die Türkische. Laut CSU müssten Sie Loyalitätskonflikte haben.

Cindik-Herbrüggen: Es gibt so viele Menschen in Deutschland mit zwei Pässen. Ich wüsste wirklich nicht, warum nur die türkischstämmige Bevölkerung mit zwei Pässen einen Loyalitätskonflikt entwickeln sollte. Ist da nicht eher eine große Angst der CSU vor einer „Islamisierung“ Deutschlands?

Auch in Bayern ist doch schon seit Langem eine mehrschichtige Identität vollkommen normal. Viele Bayerinnen sind in ihrer eigenen Wahrnehmung zunächst einmal Fränkinnen (mit einem eigenem Dialekt) und dann Bayerinnen. Das funktioniert seit 200 Jahren. Warum sollte das bei den „neuen Deutschen“ anders sein? Ich denke, dass zwei Pässe eher beruhigen, da man seine Wurzeln nicht direkt aufgeben muss und seine Herkunftskultur und Bindung zum Herkunftsland wahren kann. Gleichzeitig bekommt man aber die Möglichkeit als jahrelang in Deutschland lebender Migrant endlich wählen gehen zu können und wird so auch aufgefordert, das Land aktiv mitzugestalten.

Mein Vater kam 1963 nach Deutschland. Er lebt also schon seit 50 Jahren hier und wurde daher mehr deutsch als türkisch geprägt. Er würde trotzdem seinen türkischen Pass nicht verlieren wollen. Er hat aber immer hier in Deutschland gearbeitet und Steuern gezahlt, er hat seine beiden Töchter unterstützt, damit sie studieren können und später einmal ihren Teil zu einer funktionierenden Gesellschaft leisten können. Es ist ein psychologisch sehr gut nachzuvollziehendes Bedürfnis einer jeden zugewanderten Person, die eigenen Wurzeln nicht kappen zu wollen und den Pass aus dem Heimatland der Eltern weiter zu behalten, bis er sich von selbst erübrigt. Dies mit Gewalt verhindern zu wollen, führt eher zu Segregation und einer „Einbürgerungsverweigerung“.

MiG: Wie sieht für Sie das Verhältnis der Neudeutschen zu den „Alteingesessenen“ aus? Was kann die Politik machen, um die Situation zu verbessern?

Cindik-Herbrüggen: In der deutschen Gesellschaft gibt es einen großen Riss. Das Vertrauen vieler Migranten und neuer Deutscher in den sozialen Zusammenhalt in Deutschland ist nach der Serie von Ereignissen wie dem Sarrazin-Buch, dem Breivik-Attentat in Norwegen und besonders den NSU-Vorfällen tief erschüttert. Bisher haben viele Familien über mehrere Generationen hinweg zum Wohlstand Deutschlands beigetragen. Durch viel harte Arbeit und Fleiß und das oft unter deutlich schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen, als es die Alteingesessenen tun mussten. Die sogenannten „Ermittlungspannen“ der deutschen Polizei und des Geheimdienstes haben deutlich gemacht, welche Wahrnehmungsschablonen hier den ‚common sense‘ prägen.

Dies muss sich ändern und langsam kann man auch sehen, dass ein immer größer werdender Anteil der Alteingesessenen damit beginnt, ihr Bild der „Anderen“ in Frage zu stellen. Dieser Prozess muss in allen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft, im Gesundheitssystem und auch in der Verwaltung weitergehen.

MiG: In Bayern läuft ja bekanntlich Vieles anders – auch das Wahlsystem. Können Sie uns kurz erklären, wo man dort sein Kreuz machen müsste, damit Sie in den Landtag kommen?

Cindik-Herbrüggen: In Bayern spielt der Platz auf der Liste zunächst eine weniger große Rolle als bei der Bundestagswahl. Denn mit einer großen Anzahl an Zweitstimmen kann von hinten nach vorne ‚gehäufelt‘ werden. Das heißt, wenn besonders viele Menschen das Kreuz direkt bei mir machen, bekomme ich dadurch eine größere Chance in den Landtag einzuziehen, als der eine oder andere Parteifreund, der vor mir auf der Liste steht.

In Bayern ist es wichtig, dass die Menschen, die mich unterstützen wollen, ihre direkte Stimme für mich als ihre Kandidatin im Stimmkreis abgeben. Also die Erststimme im Stimmkreis Erding, in dem ich Direktkandidatin bin und die Zweitstimme in ganz Oberbayern, wo ich quasi sammeln und zusätzlich mein Ergebnis verbessern kann. Man kann es auch so ausdrücken: Wer Ude will, muss mich wählen (lacht).