Buchtipp zum Wochenende

Allah Unser: Der Dialog

Eine Muslimin und eine Christin, beide Studentinnen, treffen sich im Zug. Zwischen ihnen entspinnt sich ein sehr privates Gespräch über das Leben nach dem Tod, den Sinn des Lebens, die Liebe und über gegenseitige religiöse Vorbehalte. Trotz der unterschiedlichen Welten entdecken sie verblüffende Übereinstimmungen. MiGAZIN bringt einen Auszug aus dem Buch:

Alisa: Mag sein, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen unseren Religionen gibt. Trotzdem sind da einige Dinge bei euch, die ich überhaupt nicht verstehe. Zum Beispiel die Sache mit der Dreifaltigkeit. Wenn wir Muslime beten, dann beten wir zu Allah und nicht etwa zu einem Propheten. Ihr Christen betet zu Gott, dem Vater, zu Jesus, seinem Sohn, und zum Heiligen Geist. Dann sagt ihr, dass ihr wie wir an einen Gott glaubt.

Britta: Dreifaltigkeit heißt nicht, dass es drei Götter gibt. Es gibt nur ein göttliches Wesen, das sich den Menschen in drei unterschiedlichen Personen nähern kann. Als der Vater, als Jesus, der Sohn, oder als der Heilige Geist. Du kannst dir die Dreifaltigkeit als Kleeblatt vorstellen. Es hat zwar drei Blätter, aber sie bilden miteinander einen Klee.

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Zu Gott, dem Vater, bete ich als meinem Schöpfer. Zu Jesus bete ich wie zu einem Freund, der mich durch mein Leben begleitet. Er war genauso Mensch, wie ich Mensch bin, und versteht mich deshalb in allen Lebenssituationen. In Jesus begegnet Gott mir sozusagen auf Augenhöhe. Zum Heiligen Geist bete ich als göttlicher Kraft und göttlicher Liebe, die mein Handeln und die Welt leitet. Er ist in mir, in meinem Herzen, wenn ich es zulasse.

Alisa: Bei uns drücken sich die verschiedenen Beziehungen, die wir zu Allah haben können, durch Allahs 99 Namen aus.

Britta: Diese 99 Namen haben auch für unsere Gottesbeziehung Bedeutung. Alle Beziehungen zwischen Allah und den Muslimen, die darin ausgedrückt sind, gelten ebenso für die Beziehungen zwischen Gott und den Christen. Ich verstehe aber auch einige Dinge am Islam nicht. Muslim zu sein, heißt zum Beispiel, sich in allen Dingen Allahs Willen zu unterwerfen. Im Christentum strebt Gott eine echte Beziehung zu den Menschen an, die Freiheit voraussetzt. Es gibt keinen Zwang.

Alisa: Um Allahs Wohlgefallen zu erlangen, müssen wir Menschen versuchen, Erlaubtes und Verbotenes mit dem Verstand, den Allah uns gegeben hat, zu unterscheiden und danach zu leben. Das hat nichts mit Zwang zu tun. Wenn ich Allah als Liebe und Barmherzigkeit wahrnehme, ist die Suche nach seinem Wohlgefallen keine Unterwerfung. Das sagt schon die deutsche Übersetzung des Wortes »Islam«. Es bedeutet so viel wie »freiwillige Hingabe an Gott«.

Ich gebe allerdings zu, dass die Sache für uns Muslime etwas schwieriger ist als für euch Christen. Ihr könnt zum Beispiel einfach sündigen. Es reicht, wenn ihr danach beichtet und euch der Priester die Absolution erteilt. Schon ist wieder alles in Ordnung.

Im Islam würde sich das ein Geistlicher nie anmaßen. Das heißt nicht, dass bei uns Sünden nicht vergeben werden. Urteilen kann aber nur Allah und wir müssen ihn selbst um Vergebung unserer Sünden bitten. Es reicht bei uns nicht, in einer Moschee über unsere Sünden zu sprechen und das wars dann. Es geht bei uns darum, ehrliche Reue zu zeigen. Wenn ein Muslim das tut, vergibt ihm Allah.

Britta: Ich stand der Beichte früher auch kritisch gegenüber. Ich dachte immer, dass ich keinen Priester zur Vergebung meiner Sünden bräuchte und alles mit Gott selbst ausmachen könnte. Je intensiver meine Beziehung zu Gott wurde, desto mehr habe ich meine Fehler und meine dunklen Seiten gesehen. Ich war nicht mehr sicher, ob Gott mir wirklich vergab. Also setzte ich mich mit der Beichte auseinander.

Gott will, dass wir immer wieder mit uns und unseren Mitmenschen versöhnt sind. Das ist der Kern der Beichte. Deshalb hat Jesus seinen Aposteln, deren Nachfolger die Bischöfe sind, den Auftrag gegeben, Menschen in Gottes Namen von ihren Sünden loszusprechen. Die Bischöfe gaben diesen Auftrag auch an die Priester weiter.

Zur Vergebung gibt es in der Bibel die Geschichte von einem Vater, der zwei Söhne hat. Der jüngere will die weite Welt kennenlernen und fordert seinen Erbteil, was damals als Anmaßung galt. Der Vater lässt ihn trotzdem damit ziehen. Der Sohn bringt das ganze Geld durch und landet in der Gosse. Als er Schweine hüten muss und nicht einmal Schweinefutter zu essen bekommt, überlegt er, zu seinem Vater zurückzugehen und ihn zu fragen, ob er als Knecht für ihn arbeiten könne, gegen Essen als Entlohnung. Doch der Vater empfängt ihn mit offenen Armen. Statt ihn zu maßregeln oder ihm Vorhaltungen zu machen, feiert er ein Fest und schlachtet sein bestes Kalb. Wie dieser Vater seinen Sohn, so empfängt uns auch Gott immer wieder mit offenen Armen.

Zu Weihnachten vor einem Jahr legte ich zum ersten Mal eine Lebensbeichte ab, von der ich dir schon erzählt habe. Alles offen auszusprechen kostete mich eine ziemliche Überwindung und anfangs weinte ich viel dabei. In dem Moment, als ich so vor Gott meine Sünden aussprach, wurden sie neu gegenwärtig.

Dass ich manchmal Geheimnisse ausplauderte, gehörte dazu, dass ich über andere schlecht redete und urteilte oder dass ich Dinge, statt sie in Ordnung zu bringen, einfach liegen ließ. Ich konnte all das nun nicht mehr unter den Teppich kehren und ich empfand tiefe Reue. Die ausgesprochene Zusage des Priesters, dass Gott mir meine Sünden vergeben hat, war ein Geschenk. Von da an konnte ich wieder unbelastet leben. Ich wollte einiges ändern, um nicht die gleichen Fehler wieder zu machen. Der Sinn der Beichte besteht ja nicht darin, alles aufzusagen und dann weiterzumachen wie bisher. Vor Kurzem habe ich in einem Buch ein Zitat gelesen, das mein Gefühl nach der Beichte ziemlich genau wiedergibt.

Die Sekunde nach der Lossprechung ist wie eine Dusche nach dem Sport. Wie die frische Luft nach einem Sommergewitter. Wie das Aufwachen an einem strahlenden Sommermorgen. Wie die Schwerelosigkeit eines Tauchers. So wie der verlorene Sohn bei seiner Rückkehr vom Vater mit offenen Armen wieder aufgenommen wird, so heißt Versöhnung: Wir sind wieder mit Gott im Reinen.

Es gibt da noch etwas, das ich am Islam nicht ganz verstehe. Bei euch ist alles von Allah vorherbestimmt. Ein Muslim hat keine Gestaltungsmöglichkeiten in seinem Leben. Da stellt sich die Frage, ob Allah auch die bösen Dinge vorherbestimmt hat.

Alisa: Meinem Islamverständnis nach müssen wir zwischen Schicksal und unserem eigenen Bewusstsein unterscheiden. Einerseits ist tatsächlich alles vorherbestimmt, andererseits hat Allah den Menschen Verstand gegeben, um zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Würde uns allein das Schicksal leiten, hätte uns Allah den Verstand gar nicht gegeben.

Wir haben unser Gewissen. Wir wissen genau, dass uns nichts und niemand zu unseren Handlungen und Entscheidungen zwingt. Es gibt Dinge, die uns beeinflussen, aber nichts nimmt uns jeden Spielraum. Wir entscheiden selbst, was wir essen, wohin wir gehen oder wie oft wir beten. Wir können aber nicht über das Geschlecht eines Kindes entscheiden oder über den Zeitpunkt unseres Todes. Die Dinge, die wir nicht beeinflussen können, sind Schicksal, und das Schicksal bestimmt Allah.

Es gibt noch einen Punkt, den ich am Christentum nicht verstehe. Ihr habt mit dem Papst einen Menschen, der unfehlbar und sündenfrei sein soll.

Britta: Jeder Mensch sündigt. Die sogenannte Unfehlbarkeit des Papstes hat deshalb nichts mit seiner moralischen Integrität oder seiner persönlichen Haltung zu tun. Sie betrifft nur sein Amt und seine Entscheidungen, soweit sie den Glauben und die Sittenlehre angehen. Unfehlbar spricht der Papst nur, wenn er Lehrentscheidungen, sogenannte Dogmen, von seinem päpstlichen Lehrstuhl aus verkündet. Diese Art der Verkündung eines Dogmas ist aber bisher erst einmal in der Geschichte der Kirche vorgekommen. Das war die »leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel« im Jahr 1950.

Selbst dieses Dogma hat der Papst nicht verkündet, weil er es sich gerade so gedacht hat. Zuvor ließ er die Bischöfe zum Glauben der Kirche darüber befragen. Das heißt, dass eigentlich nicht der Papst unfehlbar ist, sondern die Kirche insgesamt, und die ist es, weil Jesus den Menschen den Heiligen Geist geschenkt hat und der Heilige Geist sie die Wahrheit des Glaubens erkennen lässt. Das nennen wir den Glaubenssinn der Menschen, der nicht fehlgeleitet sein kann. Der Glaubenssinn einzelner Menschen mag fehlgeleitet sein, aber nicht der Glaubenssinn aller gemeinsam.

Würden die Katholiken ein Dogma nicht glauben, hätte es keinen Bestand innerhalb der katholischen Kirche. Sinn des Ganzen ist die Einheit des Glaubens. Ein Mensch, der Papst, spricht für alle katholischen Christen aus, was ihr Glaube ist, aber selbst das ist immer eine Grenzaussage. Wir können Gott nie ganz begreifen, kein Dogma hat diesen Anspruch.

Ich verstehe dafür den islamischen Dschihad nicht, den heiligen Krieg und seinen Terror. Kann es wirklich der Sinn des Islam und von Allah gewollt sein, Andersgläubige zu bekämpfen?

Alisa: Der Dschihad ist mit den Kreuzzügen im Christentum gleichzusetzen. Wenn ich vom Dschihad als heiligem Krieg spreche, meine ich damit die Zeit der islamischen Expansion vom Jahr 635 bis in das 8. Jahrhundert. Kriege, egal ob Dschihad oder Kreuzzug, sind für mich mit keiner Religion zu vereinbaren. Deshalb ist für mich Dschihad auch kein militärischer Begriff. Das Wort beschreibt die Bemühungen und Anstrengungen eines Gläubigen auf seinem Weg zu Allah. Dieser wahre Dschihad beinhaltet den unermüdlichen Einsatz jedes einzelnen Muslim gegen sein schwaches Selbst, das zum Bösen verleitet, und seine Bemühungen und Anstrengungen, ein ständig guter Mensch zu sein und gute Taten zu vollbringen. Für mich ist der Dschihad auch eine innere Suche nach Allah, der Versuch, ihn mit dem Herzen zu spüren, denn der wahre Glaube beginnt meiner Meinung nach im Herzen. Man glaubt nur mit dem Herzen gut. So steht es auch im Koran über den Dschihad geschrieben.

Und setze dich mit aller Kraft dafür ein, dass Allah Gefallen an dir findet, so intensiv, wie es nur geht, und wie es ihm gebührt. Er hat euch erwählt und euch keine Härte in Glaubensangelegenheiten auferlegt. Folgt dem Bekenntnis eures Vaters Ibrahim.

Was ich am Christentum überhaupt nicht verstehen kann, ist der Zölibat. In allen Religionen geht es doch um den natürlichen Schöpfungsauftrag, darum, sich zu vermehren, und dann dürfen ausgerechnet die Priester diesen Auftrag nicht erfüllen.

Britta: Die katholischen Priester sollen so leben, wie Jesus gelebt hat. Jesus hat Menschen, die ihm nachfolgen wollen, nahegelegt, um des Himmelsreiches willen ehelos zu leben. Das heißt, dass sie sich vollkommen in den Dienst Gottes stellen sollen, statt an eine Familie und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen gebunden zu sein. Sie sollen ganz für die Menschen da sein.

Ein Priester kann aus seiner intensiven Gottesbeziehung heraus dem Glauben anderer dienen und diese anderen in ihrer Gottesbeziehung bestärken. Mit seiner Bereitschaft, sich Gott ganz zur Verfügung zu stellen, soll er eine geistliche Vaterschaft ausüben.

Alisa: Mal ehrlich, verstehst du das?

Britta: Ich verstehe es, aber der Zölibat ist problematisch geworden, weil viele Priester vereinsamen, wenn keiner da ist, der zu Hause auf sie wartet. Allein aus der Liebe Gottes zu leben, funktioniert für Priester nur, wenn sie Menschen haben, die ihnen nahe sind, und wenn sie eine sehr intensive Gottesbeziehung leben. Deshalb empfinden viele den Zölibat als lebensfern. Ihn leben zu können, ist sicher eine Gnade. Mir ist sie wohl nicht gegeben.

Da ist noch etwas, das ich am Islam nicht so ganz verstehe. Wir Christen können Aussagen über das Wesen Gottes treffen, weil er sich uns in Jesus offenbart hat. Wir können uns vorstellen, wie Jesus aussieht, und Bilder von ihm anfertigen. Ihr könnt keine Einsicht in Allahs Wesen haben, weil Allah immer größer ist. Ihr dürft euch kein Bild von ihm machen.

Alisa: Meinem Islamverständnis nach gibt es keine Gottesbilder, weil sich Allah im Islam den Menschen nie gezeigt hat. Jedes Bild also, das wir uns von ihm machen würden, wäre ein falsches Gottesbild. Ich habe auch nie wissen wollen, wie Allah aussieht. Ich spüre seine Gegenwart, das ist für mich viel intensiver und ich bin ihm dabei viel näher, als wenn ich wüsste, wie Allah aussieht.

Was mich bei euch wirklich stören würde, ist die Erbsünde, von der du schon gesprochen hast. Den Sündenfall Adams und Evas erzählt die Bibel viel radikaler als der Islam. Bei euch kommt jeder Mensch mit einer Sünde zur Welt, die andere am Anfang der Menschheitsgeschichte begangen haben.

Bei uns muss nicht die ganze Menschheit darunter leiden, dass Adam und Eva gesündigt haben. Jeder Muslim kommt sündenfrei zur Welt und nicht mit einer solchen Last. Ich frage mich, wie ein neugeborenes Kind schon ein Sünder sein kann, wo doch gerade bei euch jeder Mensch selbst für seine Taten verantwortlich ist.

Britta: Der Sündenfall ist in der Bibel das Drama schlechthin. Die Sünde von Adam und Eva besteht darin, dass sie die Stelle Gottes einnehmen wollten, indem sie vom Baum der Erkenntnis aßen. Das heißt, dass sie ihr Glück ohne Gott suchen wollten. Genau auf diese Art entstanden Kriege, Ausbeutung, Sklaverei und all die anderen Laster der Geschichte. Menschen sind auch oft in böse Strukturen verstrickt, die außerhalb ihrer Verantwortung liegen.

Das heißt, das Wort »Erbsünde« bedeutet mehr »Ursünde«. Sie meint den grundsätzlichen Hang des Menschen, aus Egoismus Böses zu tun oder sein Verstricktsein in sündhafte Strukturen. Sie bezieht sich nicht auf eine konkrete historische Sünde. In der Taufe spricht Gott uns zu, dass er uns trotz unserer Sünden liebt und uns nach dem Tod zu sich nach Hause holen wird.