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Partizipationsvertrag für Migranten? Ich würde ihn unterschreiben!

Lodewijk Asscher, stellvertretender Ministerpräsident der Niederlande, rückt das Thema „Integration“ wieder ins Scheinwerferlicht: In einem Interview mit der weitestgehend linksliberal orientierten Tageszeitung de Volkskrant plädiert der 38-jährige Sozialdemokrat nämlich für den Abschluss von „Partizipationsverträgen“ mit Migranten. Symbolpolitik hin oder her: Ich wäre sofort dabei!

Unter der Überschrift „Wir müssen deutlicher aufzeigen, warum dieses Land so großartig ist“ präsentiert Asscher, der auch das Amt des Ministers für Soziales und Beschäftigung bekleidet, am 20. Februar 2013 erstmals einer breiten Öffentlichkeit seine zentralen Ideen im Bereich der Integrationspolitik.

Der PvdA-Politiker verrät seinen Gesprächspartnern einleitend, dass er sich prinzipiell „für einen strengen, deutlichen, aber auch herzlichen und liebevollen Ansatz“ entscheide. Man müsse zudem in der öffentlichen Debatte endlich aufhören, darzulegen, warum etwas nicht funktioniere. In der neuen Phase, die nun mit konkreten politischen Maßnahmen einzuleiten sei, gehe es demnach vor allem um lösungsorientierte Schritte.

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Asscher, der erst nach den letzten Wahlen zur Zweiten Kammer am 12. September 2012 die nationale politische Bühne in Den Haag betreten hat, betont darüber hinaus, dass es auf der Welt nicht viele Länder gäbe, in denen die Menschen in den Genuss einer höheren Lebensqualität als in den Niederlanden kämen. Der Sozialdemokrat vergleicht eine Geburt in seiner Heimat selbstbewusst mit dem Gewinn eines Jackpots in der Lotterie.

In der Folge listet Asscher einige Probleme auf, die in der Zukunft zu beheben seien. Seiner Meinung nach sei die „kulturelle Integration“ ins Stocken geraten. In Bezug auf die Positionierung gegenüber Homosexuellen, Frauen und Juden seien sogar „Rückschritte“ zu verzeichnen. Die Politik stünde gegenwärtig nicht zuletzt deshalb vor der Aufgabe, deutlicher darzulegen, was die Niederlande so großartig mache. Asscher bringt Letzteres auf den Punkt mit dem plakativen Grundsatz: „Die Freiheit, man selbst zu sein“.

Der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Mark Rutte (VVD) führt fort, dass in erster Linie der Migrant vor diesem Hintergrund in der Bringschuld sei. Er stünde in der Pflicht, „sich in das Land zu vertiefen, in dem seine Zukunft und die Zukunft seiner Kinder“ läge. Neuankömmlinge müssten „die niederländischen Werte und Errungenschaften verinnerlichen“.

Asscher führt danach drei Beispiele an, die er in diesem Zusammenhang im Hinterkopf hat: „Ich reiche Migranten die Hand, die schwer an dem Gruppendruck zu tragen haben, weiterhin ihrem Glauben treu zu bleiben; Frauen, die in ökonomischer Hinsicht nicht selbstständig sein dürfen; Homos, die sich nicht trauen, sich zu ihrer Veranlagung zu bekennen.“

Der Sozialdemokrat aus Amsterdam fordert deshalb auf der einen Seite eine erneuerte inhaltliche Ausgestaltung der bisherigen Einbürgerungskurse: Der Fokus solle demnächst nicht mehr auf einer plumpen Wissensabfrage, sondern auf den oben skizzierten fundamentalen niederländischen Werten liegen. Auf der anderen Seite bringt Asscher einen frischen Gedanken ins Spiel, der die Gemüter in unserem Nachbarland erregt: Jeder Mensch, der sich als nicht in den Niederlanden geborener Neuankömmling bei einer Gemeinde eintrage, solle künftig einen „Partizipationsvertrag“ unterzeichnen. Dies habe auch für Menschen zu gelten, die aus den anderen Ländern des Königreiches – Curaçao, Aruba und Sint Maarten – oder der Europäischen Union stammen. „Es geht um die Rechte und Pflichten im Rechtsstaat“, erklärt Asscher, „Die Grundrechte. Indem der Vertrag unterzeichnet wird, erkennen Neuankömmlinge diese an.“

Der Minister für Soziales und Beschäftigung beabsichtigt, nunmehr die juristischen Voraussetzungen zu prüfen, die vor der Implementierung dieser Maßnahme zu erfüllen seien. Er erläutert: „Der Preis der Unverbindlichkeit ist viel höher, als ich zu bezahlen bereit bin. Unverbindlichkeit in Bezug auf Grundrechte führt zur Erosion. Wenn man es nicht mehr wagt, darzulegen, was gleiche Behandlung wirklich bedeutet, provoziert man es, dass große Gruppen von Menschen dies nicht mehr als wichtig erachten.“

Laut Asscher müssten in dem „Partizipationsvertrag“ jedoch neben Pflichten auch Rechte kodifiziert sein. Der Sozialdemokrat denkt dabei vor allem an die oftmals prekäre Position von Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Es sei zum Beispiel notwendig, anständige Arbeitsbedingungen sowie eine tarifliche Bezahlung für alle Beschäftigten in den Niederlanden zu erzwingen.

Wenn man sich dieses Interview zu Gemüte führt, stechen auf stilistischer und inhaltlicher Ebene die folgenden Dinge prompt ins Auge: Der PvdA-Politker Asscher setzt sich zum einen in seinem Duktus deutlich von der Agitation rechtspopulistischer Akteure ab. Die sachliche Herangehensweise an das Thema „Integration“ ist nach dem mitunter hysterisch anmutenden Geschrei der letzten elf Jahre fraglos eine Wohltat. Zum anderen distanziert er sich auf der inhaltlichen Ebene ebenso entschieden von den letzten „Multi-Kulti“-Träumern im linken politischen Spektrum. Auch dieser Aspekt ist erfreulich. Schließlich verläuft der Pfad des Realismus im Bereich der Integrationspolitik zwischen den Einbahnstraßen der PVV-Pessimisten und der D66- bzw. GroenLinks-Optimisten. Des Weiteren unterlässt es der stellvertretende Ministerpräsident im Gegensatz zu vielen seiner (ehemaligen) Kollegen, in diesem Zusammenhang ständig auf den Islam zu verweisen. Die Wörter „Moslem“ oder „Islam“ kommen im gesamten Gespräch mit den beiden de Volkskrant-Journalisten nicht ein Mal explizit vor. Da Asscher auch auf die Rechte verweist, die in dem „Partizipationsvertrag“ geregelt werden sollen, stellt sich die Unterzeichnung des Dokuments als Win-Win-Situation dar. Insofern ist das Interview ein energischer Schritt in die erstrebenswerte Richtung. Am Erscheinungstag hoben auf der Homepage der linksliberalen Qualitätszeitung 86% der Leser ihren Daumen. Asscher hat offensichtlich einen Nerv getroffen.

Sollte ich meinen Lebensmittelpunkt aus beruflichen Gründen vom Ruhrgebiet in die Randstad oder nach Zeeland verlagern, würde ich persönlich als EU-Bürger, der nicht in den Niederlanden geboren worden ist, den Abschluss eines „Partizipationsvertrages“ à la Asscher als einen idealen Einstieg betrachten. Die grundsätzlichen niederländischen Normen und Werte, welche man in der Tat in der Formel „Die Freiheit, man selbst zu sein“ bündeln kann, teile ich als liberaler Demokrat mit ganzem Herzen. Eine Ablehnung dieser zentralen ethisch-moralischen Errungenschaften empfände ich als eine Beleidigung meiner potenziellen neuen Heimat. Ich vertrete die Ansicht, dass bei den oben angeführten Themen „Gleichstellung von Homosexuellen“, „Gleichberechtigung der Geschlechter“ und „Zurückdrängung des Antisemitismus“ auf der niederländischen Seite keinerlei Kompromisse mit den abweichenden Auffassungen von Neuankömmlingen geschlossen werden dürfen.

Nach dem Abschluss des „Partizipationsvertrages“ steht jedoch auch die Aufnahmegesellschaft in der Pflicht: Menschen, die sich ohne Wenn und Aber zum Wertekanon der Niederlande bekennen, müssen auf eine offene Willkommenskultur stoßen. Dieser Aspekt kommt in dem de Volkskrant-Interview leider etwas zu kurz. Aber der Sozialdemokrat Asscher wird in den nächsten Monaten sicherlich eine Gelegenheit ergreifen, sich auch in dieser Hinsicht als pragmatischer Integrationspolitiker in Szene zu setzen. Und das ist auch gut so: Anno 2013 darf schließlich nicht zum wiederholten Male eine elektorale Marktlücke für Demagogen entstehen.