Das konservative Mantra „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ hat lange Zeit für einen rechtspolitischen Stillstand in Einbürgerungsfragen gesorgt. Im Jahr 1990 wurde erstmals das Recht auf Einbürgerungen eingeführt. Historisch gesehen verspätet, hat sich seither eine relativ schnelle rechtspolitische Öffnung des deutschen Nationenverständnisses vollzogen. Mit der rot-grünen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in den Jahren 1999 und 2000 wurde die bis dato ausschließliche Orientierung am Abstammungsprinzip (ius sanguini), durch „eine Prise“ ius soli (Territorialprinzip) ergänzt. Damit bröckelt der Mythos der homogenen deutschen Abstammungsnation rechtlich und politisch, der immer noch von konservativen Kräften genährt wird.
Dennoch, das Einbürgerungspotenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft. Einbürgerungen liegen nicht im Trend: Sie sind in den letzten 10 Jahren um knapp 60 % gesunken. Ein verheerender Befund, der dringend zum Gegensteuern auffordert.
Bemerkenswert: Entgegen des allgemeinen Abwärtstrends, legen die sozialdemokratisch geführten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg bei den Einbürgerungen deutlich zu. Sie machen vor: Es kommt auf ein „Wohlfühlklima“ an. Darauf, Migrantinnen und Migranten auf Augenhöhe zu begegnen und sie dazu einzuladen sich einbürgern zu lassen. Damit sie auch rechtlich und politisch voll und ganz zu uns gehören.
Für mich sind sie Entwicklung bei den Einbürgerungen ein Indikator für die Offenheit und das Interesse unserer Gesellschaft. Sie zeigen, ob es uns gelingt, unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger rechtlich und politisch in unsere Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen. Das Einbürgerungsklima scheint jedoch derzeit mächtig gestört zu sein in Deutschland.
Staatsbürgerschaft weiter öffnen
Hier wäre die schwarz-gelbe Bundesregierung mit den richtigen Akzenten gefragt: Wir bräuchten ein Staatsbürgerschaftsrecht, dass unserer gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt. Das bedeutet die doppelte Staatsbürgerschaft als Normalfall. Bei der Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft darf nicht länger zwischen Herkunftsländern unterschieden werden. Schon längst ist die doppelte Staatsbürgerschaft kein Ausnahmefall mehr. International wie national lässt sich die Tendenz zur Hinnahme von Mehrstaatigkeit beobachten. Dabei hat sich aber eine Asymmetrie nach Herkunftsländern in Deutschland etabliert, die nicht hinnehmbar ist.
Gerne wird in Sonntagsreden von Politikerinnen und Politikern jeglicher Couleur eine Willkommenskultur bemüht. Sie verkümmert aber in der politischen Realität der schwarz-gelben Bundesregierung zur Floskel. Ein Beispiel: Während gerade konservative und liberale Kräfte laut nach ausländischen Fachkräften rufen und dafür im letzten Jahr die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen änderten, halten sie noch immer an der 1999 geschaffenen Zwei-Klassen Staatsbürgerschaft fest, dem Optionsmodell.
Das Optionsmodell – der deutsche Irrweg
Während das von Konservativen bemühte Gesellschaftsbild einer homogenen deutschen Nation fern jedweder gesellschaftlichen Realität in Deutschland ist, verkörpert das Optionsmodell ihr letztes Aufbäumen gegen unserer Einwanderungsgesellschaft. Mit bitteren Konsequenzen für die Betroffenen. In diesem Jahr zeigt das Optionsmodell erstmals Konsequenzen im Leben von 3.300 jungen Erwachsenen. Jeder Zweite von ihnen hatte sich nach den letzten Erkenntnissen noch nicht entschieden bzw. nicht auf ihr Aufforderungsschreiben zur Entscheidung zurückgemeldet. Beispielsweise weil sie die rechtlichen Folgen nicht verstehen. Die Fristen und Anträge wirken zu komplex. Sie sind oft überfordert.
Das neue Jahr ist kaum vier Wochen alt und schon ist der erste Fall der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bekannt. Ich befürchte noch mehr Fälle in diesem und den nächsten Jahren. Vorhersehbar, weil spätestens mit der Veröffentlichung der BAMF-Studie im Juni 2012 „Einbürgerungsverhalten von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Optionspflichtigen Ergebnisse der BAMF-Einbürgerungsstudie 2011“ der Bundesregierung die Praxisprobleme bekannt sind. Auf parlamentarische Nachfrage fühlt sie sich dennoch nicht zuständig und bleibt untätig.
Bislang wurden 443.866 Personen geboren, die unter das Optionsmodell fallen. 443.866 Menschen die in Deutschland geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, ihre Ausbildung oder Studium begonnen haben, wenn sie der deutsche Staat zur Entscheidung zwischen der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern und der hiesigen stellen. Aus Sicht dieser „Bindestrich-Deutschen“ nicht nachvollziehbar. Sie bewegen sich selbstverständlich im deutschen und elterlich mitgebrachten Kontexten. Sie sind sowohl deutsch als auch …. Das entweder-oder, zu dem sie der Gesetzgeber zwingt, ist nicht zeitgemäß.