Daniela Kolbes Zwischenruf

„Wir brauchen endlich ein modernes Staatsbürgerschaftsmodell“

Weg mit der Optionspflicht und her mit einem modernen Staatsbürgerschaftrecht, fordert die SPD-Innenpolitikerin Daniela Kolbe in ihrer Kolumne. Sie plädiert für die doppelte Staatsbürgerschaft als Normalfall und für mehr Einbürgerungen.

Von Daniela Kolbe Donnerstag, 24.01.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.01.2013, 20:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das konservative Mantra „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ hat lange Zeit für einen rechtspolitischen Stillstand in Einbürgerungsfragen gesorgt. Im Jahr 1990 wurde erstmals das Recht auf Einbürgerungen eingeführt. Historisch gesehen verspätet, hat sich seither eine relativ schnelle rechtspolitische Öffnung des deutschen Nationenverständnisses vollzogen. Mit der rot-grünen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in den Jahren 1999 und 2000 wurde die bis dato ausschließliche Orientierung am Abstammungsprinzip (ius sanguini), durch „eine Prise“ ius soli (Territorialprinzip) ergänzt. Damit bröckelt der Mythos der homogenen deutschen Abstammungsnation rechtlich und politisch, der immer noch von konservativen Kräften genährt wird.

Dennoch, das Einbürgerungspotenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft. Einbürgerungen liegen nicht im Trend: Sie sind in den letzten 10 Jahren um knapp 60 % gesunken. Ein verheerender Befund, der dringend zum Gegensteuern auffordert.

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Bemerkenswert: Entgegen des allgemeinen Abwärtstrends, legen die sozialdemokratisch geführten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg bei den Einbürgerungen deutlich zu. Sie machen vor: Es kommt auf ein „Wohlfühlklima“ an. Darauf, Migrantinnen und Migranten auf Augenhöhe zu begegnen und sie dazu einzuladen sich einbürgern zu lassen. Damit sie auch rechtlich und politisch voll und ganz zu uns gehören.

Für mich sind sie Entwicklung bei den Einbürgerungen ein Indikator für die Offenheit und das Interesse unserer Gesellschaft. Sie zeigen, ob es uns gelingt, unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger rechtlich und politisch in unsere Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen. Das Einbürgerungsklima scheint jedoch derzeit mächtig gestört zu sein in Deutschland.

Staatsbürgerschaft weiter öffnen
Hier wäre die schwarz-gelbe Bundesregierung mit den richtigen Akzenten gefragt: Wir bräuchten ein Staatsbürgerschaftsrecht, dass unserer gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt. Das bedeutet die doppelte Staatsbürgerschaft als Normalfall. Bei der Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft darf nicht länger zwischen Herkunftsländern unterschieden werden. Schon längst ist die doppelte Staatsbürgerschaft kein Ausnahmefall mehr. International wie national lässt sich die Tendenz zur Hinnahme von Mehrstaatigkeit beobachten. Dabei hat sich aber eine Asymmetrie nach Herkunftsländern in Deutschland etabliert, die nicht hinnehmbar ist.

Gerne wird in Sonntagsreden von Politikerinnen und Politikern jeglicher Couleur eine Willkommenskultur bemüht. Sie verkümmert aber in der politischen Realität der schwarz-gelben Bundesregierung zur Floskel. Ein Beispiel: Während gerade konservative und liberale Kräfte laut nach ausländischen Fachkräften rufen und dafür im letzten Jahr die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen änderten, halten sie noch immer an der 1999 geschaffenen Zwei-Klassen Staatsbürgerschaft fest, dem Optionsmodell.

Das Optionsmodell – der deutsche Irrweg
Während das von Konservativen bemühte Gesellschaftsbild einer homogenen deutschen Nation fern jedweder gesellschaftlichen Realität in Deutschland ist, verkörpert das Optionsmodell ihr letztes Aufbäumen gegen unserer Einwanderungsgesellschaft. Mit bitteren Konsequenzen für die Betroffenen. In diesem Jahr zeigt das Optionsmodell erstmals Konsequenzen im Leben von 3.300 jungen Erwachsenen. Jeder Zweite von ihnen hatte sich nach den letzten Erkenntnissen noch nicht entschieden bzw. nicht auf ihr Aufforderungsschreiben zur Entscheidung zurückgemeldet. Beispielsweise weil sie die rechtlichen Folgen nicht verstehen. Die Fristen und Anträge wirken zu komplex. Sie sind oft überfordert.

Das neue Jahr ist kaum vier Wochen alt und schon ist der erste Fall der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bekannt. Ich befürchte noch mehr Fälle in diesem und den nächsten Jahren. Vorhersehbar, weil spätestens mit der Veröffentlichung der BAMF-Studie im Juni 2012 „Einbürgerungsverhalten von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Optionspflichtigen Ergebnisse der BAMF-Einbürgerungsstudie 2011“ der Bundesregierung die Praxisprobleme bekannt sind. Auf parlamentarische Nachfrage fühlt sie sich dennoch nicht zuständig und bleibt untätig.

Bislang wurden 443.866 Personen geboren, die unter das Optionsmodell fallen. 443.866 Menschen die in Deutschland geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, ihre Ausbildung oder Studium begonnen haben, wenn sie der deutsche Staat zur Entscheidung zwischen der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern und der hiesigen stellen. Aus Sicht dieser „Bindestrich-Deutschen“ nicht nachvollziehbar. Sie bewegen sich selbstverständlich im deutschen und elterlich mitgebrachten Kontexten. Sie sind sowohl deutsch als auch …. Das entweder-oder, zu dem sie der Gesetzgeber zwingt, ist nicht zeitgemäß. Aktuell Meinung

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  1. toothroot sagt:

    Ich verstehe nicht ganz. Warum ist eine doppelte Staatsbürgerschaft gut, wenn man mal kurz außen vor lässt, dass sie der kulturellen Lebenswirklichkeit der Leute besser entspricht? Was bedeutet eine doppelte Staatsbürgerschaft beispielsweise hinsichtlich staatsbürgerlicher Pflichten?

  2. Non-EU-Alien sagt:

    @ toothroot: Zu Ihrer letzten Frage, fragen Sie doch am Besten jemanden der eine doppelte Staatsbürgerschaft hat wie er es mit seinen staatsbürgerlichen Pflichten sieht, z. B. Herrn David McAllister.

    Nun, Spaß beiseite, was soll es schon bedeuten? Es ist doch alles geregelt. Die dopp. Staatsbürgerschaft bringt einem rein rechtlich in Deutschland nichts! Der deutsche Staat sieht jemanden mit dopp., dreifacher, x-facher Staatsbürgerschaft – solange er sich in Deutschland aufhält – rein als deutschen Staatsbürger an und fertig. Wenn man hier wohnt, ist man hier auch steuerpflichtig und nicht in dem Land von dem man noch einen Pass hat, also auch keine Steuernachteile aus BRD-Sicht.

    Ein solcher Bürger hat in Deutschland auch kein Recht auf Schutz des Staates, dessen Pass er noch hat (also nix mit Botschaft von Türkei oder Schottland rennen), denn man ist für die BRD Deutscher und fertig.

    Ein Vorteil fällt mir allerdings ein: Wenn man sich in einem Land aufhält, dessen Pass man nicht hat, dann kann man sich aussuchen zu welcher Botschaft man rennt, wenn man Hilfe braucht.

    Also keine Angst, doppelte Staatsbürgerschaft tut niemandem weh und auch nicht dem Staat. Es ist europaweit – bis auf Österreich und Deutschland – gelebte Realität, und nirgends problematisch. Probleme gibt es nur hier, wo es die doppelte Staatsbürgerschaft gar nicht gibt.

  3. Lionel sagt:

    Wenn die doppelte Staatsbürgerschaft „rein rechtlich“ nichts bringen würde, ist es umso unverständlicher, weshalb sich Frau Kolbe und auch Sigmar Gabriel sich so vehement dafür stark machen.

    Zwar ist es richtig, dass die deutsche Nation nie völlig homogen war, dennoch war die deutsche Nation selbst nie ein Mythos (Abstammungsnation ist eigentlich eine Tautologie) und sie existiert meines Wissens noch immer, oder sieht die Sozialdemokratie das mittlerweile anders?

  4. Werner sagt:

    Haha, die SPD will also eine neues Staatsangehörigheitsmodell. Soso.

    Ich sehe schon, wie diverse Steueroasen reichen Deutschen die doppelte Staatsangehörigkeit anbieten. Dann kann man dem Finanzamt ganz offen von seinem Vermögen in der Schweiz erzählen und ihnen trotzdem eine Nase drehen.

    @NonEUAlien: sie erzählen hier Unsinn zur doppelten Staatsangehörigkeit. Die gibt es nirgends. Doppelte Staatsangehörigkeit heißt im Grunde nur: ungeklärte Staatsangehörigkeit.

  5. deutscher staatsbuerger sagt:

    Also ich habe selber ganz andere Probleme. Die größte ist mit der Einbürgerungsbehörde in einem bestimmten Landkreis in Baden-Württemberg. Obwohl ich meine jetzige Staatsangehörigkeit aufgegeben habe, werde ich einfach nicht eingebürgert. Bin hier in Deutschland geboren, spreche die Sprache, Kindergarten, Schulen, Studium. Keine Vorstrafen, und und und. Ich verstehe nicht, wie mich Deutschland hat ablehnen können. Wie kann man nur sein eigenes Kind ablehnen?? Naja, für mich ist das einfach diskriminierend. Ich fühle mich abgelehnt und ausgegrenzt. Mal ganz abgesehen von der Einbürgerungspraxis, die ich erlebt habe, oder besser gesagt erleben musste. Weiß leider nicht, wie es bei anderen ist und deshalb meine Frage an alle, die sich einbürgern lassen oder schon haben: Wurdet oder werdet ihr auch wie ein potenzieller Terrorist behandelt? Ich hatte das Gefühl: Schuldig bis meine Unschuld bewiesen worden ist. Und auch ein Unschuldiger wurde in meinem Fall nicht eingebürgert.

    „Wohlfühlklima, Willkommenskultur“ sind Fremdwörter. Letztens hab ich mir meine angeblichen Grundrechte angesehen. Traurig, aber dennoch gebe ich nicht auf…eines Tages werde auch ich Sie besitzen, und ihr kennt doch wer zuletzt stirbt: Hoffnung!

  6. Einspruch sagt:

    @deutscher Staatsbürger

    wie kann man aber auch so leichtsinnig sein seine eine Staatsbürgerschaft aufzugeben wenn man noch gar nicht weiss ob man die andere bekommt. Das ist so als wenn ich einen Arbeitsplatz hinschmeisse in der Annahme ich werde schon bald wieder was anderes finden. Sehr naiv!!

  7. Werner sagt:

    Frau Kolbe spricht vom Einbürgerungspotenzial und meint damit wohl auch die vielen türkischen Zuwanderer, die schon seit Generationen bei uns leben. Deutschland hat hier viel gemacht, wie Frau Kolbe richtig darlegt. Nicht erst seit Rotgrün – wie sie auch schreibt.

    Was ist aber mit der türkischen Seite? Was ist mit dem Abstammungsprinzip dort? Die Türkei versucht gerade, sich eine neue Verfassung zu geben. Wie man hört, soll es gerade in bei den Regelungen zur Staatsangehörigkeit nicht so recht vorwärtsgehen.

    Mich würde hier interessieren, ob die Parlamentarier des türkischen Parlaments (oder der Verfassungskommission) sich mit unseren Bundestagsabgeordneten austauschen? Wenn die Achtung der türkischen Parlamentarier gegenüber SPD und Grünen (!) echt ist, dann würde man doch erwarten, dass man hier in gemeinsamen Arbeitsgruppen diskutiert.

    Also, ist das so?

  8. Orka sagt:

    Hallo Werner,
    in der Türkei gibt es schon Doppelte Staatsangehörigkeit. In Deutschland dürfen alle EU Staatsangehörige und die aus Ländern wie Iran, Thailand, usw. stammende Immigranten, die Ihre Staatsangehörigkeit nicht abgeben können, bekommen die doppelte Staatsangehörigkeit. Nur die türkische Staatsangöhörige wie ich haben diese Möglichkeit nicht.
    Ich lebe seit 25 Jahren in Deutschland. Ich war 22 jahre jung als ich nach Deutschland kam. Ich habe eine deutsche Frau und fühle mich seit langem mehr deutsche als türke. Mein Problem ist, nach wie vor mein ganze Familie lebt in der Türkei. Meine Eltern sind nicht mehr die jüngste. Ich habe keine Lust mit einem blauen Zettel, die türkische Ämter zu spazieren. Ich habe 25 jahre hier als Ausländer gelebt. Ich will nicht in der Türkei, jedesmal als Ausländer behandelt werden. Erst wenn ich nicht nur die gleiche Pflichten, aber auch die gleiche Rechte habe, dann beantrage ich die deutsche Staatsangehörigkeit.

  9. Werner sagt:

    Hallo Orka,

    es ist ein komplexes Thema und man muß wohl Jurist (bin ich nicht) sein, um die Komplexität auch sprachlich nachbilden zu können. Wie Sie selber schreiben, gibt es in Deutschland (in Ausnahmefällen) die „doppelte Staatsangehörigkeit“ – richtiger wäre wohl zu sagen, dass sowohl in der Türkei als auch in Deutschland in Ausnahmefällen die Staatsbürgerschft erteilt wird, ohne daß anderweitig erlangte Staatsbürgerschaften ausdrücklich widerrufen werden müssen oder der Antragsteller aus den bereits vorhandenen SB entlassen worden sein muß.

    Ihr Fall ist ein anderer als der hier diskutierte. Sie reden von Einbürgerungen. Das ist noch mal ein Thema für sich.

    Es geht, wenn überhaupt, um Ihre Kinder und Ihre Kindeskinder. Als Abkömmlinge von Immigranten sind sie Deutsche und die „Optionspflicht“ (die eigentlich Optionsfenster genannt werden sollte) macht insofern keinen Sinn, da die Kinder hier aufwachsen und hier leben werden. Es sind Deutsche und es ist schon sehr merkwürdig, wenn der türkische Ministerpräsident (und der türkische Staat) so tut, als seien es immer noch Türken.

    Für das, was Sie vermissen, muß sich in der Türkei was ändern. Nicht bei uns. Die Türkei muß sich von dem Gedanken verabschieden, dass Menschen, die ein paar Tropfen türkisches Blut in ihren Adern haben, automatisch türkische Staatsbürger sind. Und natürlich Muslime, und von türkischer Muttersprache, und und und.

    Aber sie haben natürlich die Migrationshistorie und tragen somit auch beide Staatsangehörigkeiten mit sich rum. Nur gibt es inzwischen viele Menschen in Deutschland, ohne diese Migrationsgeschichte – die trotzdem einer verlorenen Heimat nachhängen. Und hier muß ich sagen, ein Paß eines modernen Staates ist kein Multikulti-Ausweis oder ein Ethnizitätsnachweis.

  10. Tai Fei sagt:

    Werner sagt:
    28. Januar 2013 um 17:56
    „Die Türkei muß sich von dem Gedanken verabschieden, dass Menschen, die ein paar Tropfen türkisches Blut in ihren Adern haben, automatisch türkische Staatsbürger sind. Und natürlich Muslime, und von türkischer Muttersprache, und und und.“
    Das Abstammungsprinzip hat aber in DE ebenfalls Gültigkeit. Warum muss sich die Türkei von dem Prinzip lösen, DE aber nicht. Übrigens ist Ungarn gerade dabei, dass Abstammungsprinzip, mit dt. Hilfe, ebenfalls um zu setzen.