Brückenbauer

In Ausschwitz vergaßt bis heute verfolgt

Heute manifestiert sich die Anerkennung eines vergangenen Völkermords an den Sinti und Roma Europas. Damit wird die Bundesregierung nun endlich ihrer Verantwortung zur historischen Erinnerung gerecht.

Unter dem Titel „In Ausschwitz vergaßt bis heute verfolgt“ gab in den 70ern die Gesellschaft für bedrohte Völker ihre erste Buchpublikation heraus. In dieser Publikation informierte sie über die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Zugleich gab sie einen aktuellen Länderüberblick zur Lage der Sinti und Roma.

Heute nutze ich denselben Titel. Denn auch wenn wir nun das Jahr 2012 schreiben, müssen wir dennoch feststellen, dass insbesondere Roma in Osteuropa unter enormer Verfolgung leiden. So erlaubten sich etwa 1.000 ungarische Rechtsextremisten einen Fackelzug mitten durch eine Romasiedlung.

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Unter den vielen EU-Neuzuwanderern wie auch den Asylsuchenden Serben und Mazedoniern in Deutschland befindet sich eine nicht unerhebliche Zahl von Roma. Diese Menschen emigrieren als Folge des Rassismus und der Diskriminierung. Ihr einziges „Verbrechen“ ist die Zugehörigkeit zu einer ethnisch-sprachlichen Minderheit. Allerdings überschreiten Sinti und Roma mit 10 – 12 Mio. selbst die Bevölkerungszahl einiger EU-Mitgliedsstaaten – Beispiel Österreich.

Auch wenn die Geschichte der Sinti und Roma von zahllosen Verfolgungen und Pogromen begleitet ist und in Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmilzt, würde eine Konzentration auf das aktuelle Rassismusproblem den Fokus dieser Kolumne verzerren. Denn am heutigen Tag dem 24.10.2012 manifestiert sich gegenüber dem Deutschen Reichstagsgebäude die Anerkennung eines vergangenen Völkermords an den Sinti und Roma Europas. Die Manifestation ist eine Gedenkstätte, die neben Sinti und Roma auch anderen vom NS-Regime als „Zigeuner“ verfolgten Gruppen wie z.B. den Jenischen dient.

Nach 1945 wurde die Anerkennung des Völkermordes an den Sinti und Roma selbst von deutschen Gerichten zurückgewiesen, mit der Begründung, dass die Internierung in KZs aus kriminalpräventiven Gründen erfolgte. Viele Sinti und Roma konnten auch ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht zurück erlangen, da die Aberkennung der Staatsangehörigkeit durch das NS-Regime als rechtens erachtet wurde.

Die Bundesregierung wird nun endlich ihrer Verantwortung zur historischen Erinnerung gerecht. Denn nach der späten Anerkennung des Völkermordes, die erst 1982 erfolgte, dauerte es weitere 30 Jahre, bis die Gedenkstätte für die etwa 500.000 Opfer eingeweiht werden kann.

Das Denkmal ist auf einer Lichtung errichtet. Ein kreisrundes dunkles Wasserbecken steht für das unendliche Grauen der Opfer. Auf Romanes, der verbindenden Sprache der Sinti und Roma, wird der Völkermord als „Porajmos“ bezeichnet. Was zu Deutsch „das alles Verschlingende“ bedeutet. Mitten im Wasserbecken ist eine versenkbare steinerne Stele montiert, auf der eine frische Blume liegt.

Am Rande des Wasserbeckens ist folgendes Gedicht von Santino Spinelli, einem populären italienischen Künstler der zur Ethnie der Roma gehört, angebracht:

Eingefallenes Gesicht
erloschene Augen
kalte Lippen
Stille
ein zerrissenes Herz
ohne Atem
ohne Worte
keine Tränen.