Jetzt bekannt geworden

Militärgeheimdienst wollte NSU-Terrorist als V-Mann anwerben

Der militärische Geheimdienst hat vergeblich versucht, einen NSU-Terroristen anzuwerben. Das belegen Akten, die erst nach gezieltem Nachfragen des Untersuchungsausschusses aufgetaucht sind, obwohl sie den Sicherheitsbehörden seit Monaten vorliegen.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat versucht, NSU Terroristen Uwe Mundlos im Jahr 1995 als V-Mann anzuwerben. Er war während seines Wehrdienstes vom April 1994 bis März 1995 wegen „rechtsextremistisch zu wertendem Verhalten“ aufgefallen und wurde angehört. Das Gespräch wurde protokolliert, in die Akten gelegt und diese gleich an mehrere Verfassungsschutzbehörden übermittelt.

Erst nach einer gezielten Anfrage des NSU Untersuchungsausschusses traten diese Einzelheiten am Dienstag zutage. Bisherige Gerüchte, die Sicherheitsdienste hätten NSU Mitglieder als Spitzel angeworben, wurden von den Sicherheitsbehörden stets bestritten. Bestritten wurde auch die Existenz der jetzt aufgetauchten Akten. Dabei hatte der Ausschuss auch den MAD mehrmals aufgefordert, sämtliche Unterlagen über den NSU Trio zu liefern.

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Akten vernichtet
Entsprechend groß war die Empörung bei den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses. Sie fühlten sich erneut hinters Licht geführt. Bereits seit vielen Monaten beschweren sie sich über unkooperatives Verhalten der Behörden und Verzögerungen. Akten würden als Geheimsache eingestuft, zu spät oder überhaupt nicht geliefert. Hinzu kommen offenkundige Falschaussagen.

Diese Vorwürfe konnte auch MAD-Chef Ulrich Birkenheier nicht ausräumen. Er wurde nach dem jüngsten Aktenbefund vom Ausschuss am Dienstagnachmittag kurzfristig zu einer nicht öffentlichen Sitzung zitiert. Vor der Presse verteidigte Birkenheier seine Behörde. Wenn man keine Akten habe, könne man auch keine liefern. Der MAD habe die Mundlos-Akte nach 15 Jahren ordnungsgemäß vernichtet.

Seit März bekannt
Wieso der Ausschuss darüber und die Übermittlung der Protokolle an verschiedene Sicherheitsämter nicht informiert wurde, blieb im Dunkeln. Wie man jetzt weiß, konnten die Protokolle gefunden werden. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hatte bereits im März 2012 die Protokolle beim MAD gemeldet und angefragt, ob man die Unterlagen dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung stellen solle.

„Es sollte vor uns offenkundig verborgen werden“, sagte Ausschussvorsitzender Sebastian Edathy (SPD). Eva Högl (SPD), sagte: „Es ist unerträglich, dass dem Ausschuss durch die Bundesregierung erneut ein wichtiges Dokument vorenthalten worden ist.“ Christian Ströbele (Grüne) erklärte: „Eine solche Frechheit habe ich bisher nicht erlebt.“ Und Grünen-Obmann Wolfgang Wieland befürchtet: „Das nährt ein ums andere Mal Verschwörungstheorien.“

Der Fall Andreas T. aus Hessen
Eigentlich wollte sich der Untersuchungsausschuss am Dienstag auf die Vernehmung des ehemaligen hessischen Verfassungsschützers Andreas T. konzentrieren. Vor dem Untersuchungsausschuss erklärte T., er sei aus „privaten Gründen“ in dem Cafe gewesen und habe von dem Mord nichts mitbekommen. Der Ausschuss zeigte sich verwundert, dass die Tötung von Yozgat an T. als einem in Sachen Observation erfahrenen Verfassungsschützer vorbeigegangen sein soll.

T. räumte ein, es sei auch ein „Fehler“ gewesen, dass er nach dem Mord wegen seiner Präsenz in dem Lokal nicht von sich aus im Verfassungsschutz das Gespräch gesucht habe. T. hatte sich anders als sonstige Kunden des Internetcafes nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet: Er habe „Angst“ gehabt, „dass das rauskommt“.

Stinkt zum Himmel
Nachweisen kann man ihm heute nichts mehr. Eine zeitnahe polizeiliche Vernehmung von T. wurde damals verhindert. Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag, fasste die dringlichsten Fragen zusammen: „Warum wurde ein angeblich unergiebiger V-Mann aus der rechten Szene vom ehemaligen hessischen Innenminisiter Volker Bouffier (CDU), heute Hessen Ministerpräsident, geschützt? Warum wurde dessen Vernehmung durch die Polizei mit allen Mitteln verhindert? Die heute präsentierte Geheimdienstversion stinkt jedenfalls zum Himmel. Erinnerungslücken und unglaubwürdiges Gestammel – wenn das ein Führungsbeamter im hessischen Landesamt war, dann gute Nacht.“

Dass T. als Mordverdächtiger drei Mal in die hessische Geheimdienstzentrale – unter anderem zu dessen Präsidenten – gerufen wurde und dann noch Geheimtreffen mit seiner Vorgesetzten stattfanden, nur um „über Menschliches zu reden“, ist laut Schaus vollkommen unglaubwürdig: „Das Verhalten der Geheimdienste war und bleibt skandalös. Erst haben sie das NSU-Mördertrio jahrelang ein schreckliches Werk verrichten lassen. Nun wird die parlamentarische Aufklärung der Hintergründe systematisch torpediert.“ (bk)