Fremde Schriften

Scheu vor Russisch oder Chinesisch unbegründet

Die unbekannten Schriftzeichen schrecken Schüler häufig davon ab, Russisch oder Chinesisch zu lernen. Lehrer können ihnen die Angst nehmen und sie davon überzeugen, dass auch diese mit Eselsbrücken beherrschbar sind.

„Ich fühlte mich wie in der Grundschule beim Lernen des Alphabets“, erinnert sich Clara Lupkowski an ihre ersten Russischstunden. Eine besondere Hürde sei, dass einige kyrillischen Buchstaben den deutschen stark ähneln, aber eine andere Bedeutung haben. Auch das Lesen von russischen Texten sei anfangs verwirrend. „Ich konnte nicht einfach drauflos lesen wie bei anderen Sprachen mit lateinischen Buchstaben, sondern musste erst Schriftzeichen für Schriftzeichen entschlüsseln“, sagt die Studentin, die kurz vor ihrem Masterabschluss im Fach Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin steht. Etwa ein Semester hat die 24-Jährige gebraucht, um das kyrillische Alphabet zu beherrschen. Inzwischen lernt sie seit zweieinhalb Jahren die Fremdsprache. Ziel der an Geschichte interessierten Studentin ist, historische Quellen im russischen Original lesen zu können.

Angst nehmen: Sprachen, deren Buchstaben sich stark von den lateinischen unterscheiden, werden von Schülern meist als besonders schwierig eingeschätzt. Grund genug für viele, sich gegen Russisch oder Chinesisch zu entscheiden. Umso wichtiger ist es, dass Lehrer ihnen die Angst nehmen und sie davon überzeugen, dass auch fremde Schriften mit guten Lernhilfen und Materialien zu bewältigen sind.

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Anfangs eine Herausforderung
Ulf Borgwardt vom Fachverband Moderne Fremdsprachen bestätigt, dass die Ähnlichkeit der deutschen und russischen Schriftzeichen anfangs eine Herausforderung ist. Um das kyrillische Alphabet zu lernen, empfiehlt er, bei jedem neuen Buchstaben auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu achten. „Es ist sinnvoll, mit jenen Buchstaben zu beginnen, die vom Deutschen her bekannt sind, und in einem zweiten Schritt, sich die vom Deutschen her bekannten Buchstaben mit anderem Lautwert anzueignen“, sagt Lehrbuchautor Borgwardt. Anschließend sei es ratsam, sich mit jenen Buchstaben vertraut zu machen, die es im lateinischen Alphabet nicht gibt, und diese Schritt für Schritt zu erfassen. Der neue Buchstabe werde zunächst nachgeschrieben, dann von der Druck- in die Schreibschrift übertragen und schließlich aus dem Gedächtnis aufgeschrieben und korrigiert. Auf den Einzelbuchstaben folgen nach Borgwardt typische Buchstabenverbindungen, erste Wörter mit dem Buchstaben und schließlich erste Kurzsätze. „Bei Verwechslungen von Buchstaben sollten diese nebeneinander geübt werden, bis sie sicher unterschieden werden“, erklärt der Russischexperte. Zum Lernen rät er, schwierige Buchstaben und solche, die noch nicht sicher beherrscht werden, auf ein gut sichtbares Poster im Unterrichtsraum zu schreiben sowie eine zweisprachige Lernkartei anzulegen.

Buchtipp: „Russische Buchstaben in 7 Schritten“ ist der Schnellkurs für alle, die die kyrillische Schrift lernen möchten: vom Einzelbuchstaben über Wörter zu ersten Sätzen. Mehr Informationen gibt es hier.

In sieben Schritten lernen
Laut Borgwardt können die russischen Buchstaben in sieben Schritten gelernt werden. So wird beispielsweise in dem gleichnamigen Lehrbuch bei einzelnen Buchstaben auf Besonderheiten in der Schreibweise hingewiesen. In Übersichten mit Erinnerungs- und Gedächtnisstützen helfen diese beim Wiedererkennen und Behalten der Buchstaben. Bei einigen Buchstaben bietet es sich an, diese mit Zahlen zu vergleichen, bei anderen hilft der Trick, sie mit deutschen Buchstaben zu spiegeln. Auch die Buchstaben in Bilder zu übertragen, erleichtert das Lernen der 33 Buchstaben. „Das geschriebene T mit seinen drei Abstrichen kann mit einer Troika verglichen werden, die von drei Pferden gezogen wird“, erklärt der Autor. Für das erfolgreiche Lernen sei entscheidend, dass Lehrer und die Lernmaterialien die Schüler davon überzeugen, dass die kyrillische Schrift mit vertretbarem Aufwand beherrschbar wird. „In dem Lehrbuch ‚Russische Buchstaben in 7 Schritten’ versuche ich das, indem die Schüler hier in leicht zu bewältigenden Lernportionen vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Komplizierten, vom Erfassen über das Einprägen und Einüben zum Anwenden in elementaren Schreibaufgaben fortschreiten“, sagt Borgwardt. Zusätzlich würden Regeln, Tricks, Eselsbrücken, Knobelaufgaben, Sprachspiele und Lösungsschlüssel das Lernen der Buchstaben erleichtern. Wichtig sei es dabei, den Schülern immer wieder ihre Erfolgserlebnisse bewusst zu machen und ihnen bei Lernschwierigkeiten durch qualifizierte Hilfe die Ängste davor zu nehmen. Auch eine positive Einstellung der Eltern zum Russischlernen, ihre Bereitschaft zum Mitlernen oder ein gemeinsamer Urlaub in einem Land mit kyrillischer Schrift unterstützt die Schüler.

Die Entstehung des kyrillischen Alphabets geht auf den Namensgeber Kyrill zurück, der als Konstantin in Thessaloniki geboren und einer der wichtigsten Missionare im slawischen Raum wurde. Er entwickelte das erste slawische Alphabet, die so genannte Glagonische Schrift. Aus dieser und hauptsächlich aus der griechischen Schrift entwickelte sich Ende des neunten Jahrhunderts die heute nach ihm benannte kyrillische Schrift.

Struktur vermitteln
Unter den fremden Schriften ist Chinesisch zunehmend gefragt. „Die Anzahl der Schüler, die Chinesisch als dritte Fremdsprache und Wahlpflichtfach wählen, hat sich allein in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen zwei Jahren auf rund 13 000 Schüler verdoppelt“, berichtet Christina Neder, die Fachberaterin für Chinesisch an Schulen in NRW. Beim Erlernen der Schrift sei es entscheidend, den Schülern die Struktur der Zeichen zu vermitteln. Um die Zeichen lesen zu können, sollten sie die Strichfolgen und die Grundelemente des Zeichens erkennen, weil diese etwas über die Bedeutung aussagen. „Beispielsweise gibt es in dem Zeichen für das Wort Pflanze ein Element, das sich auch in den Worten Pflanzenwelt und Pflanzenvielfalt wiederholt“, erklärt die Chinesischlehrerin und Sprecherin des Fachverbandes Chinesisch. Auch das Visualisieren von Zeichen sei eine hilfreiche Eselsbrücke. So erkannte einer ihrer Schüler in einem Schriftzeichen ein Männchen auf einer Schaukel und konnte es sich so besser merken. Laut Christina Neder können die chinesischen Zeichen wie Vokabeln kontextgebunden gelernt werden. „Die semantischen Laute des chinesischen Wortes für Kleidung wiederholen sich in den Vokabeln für beispielsweise Rock und Hose“, erklärt die Lehrerin der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Dortmund, deren Schüler sich durch chinesische Sprachkenntnisse gute Chancen auf den internationalen Arbeitsmarkt erhoffen.

Bei den staatlich anerkannten privaten Kreativitätsschulen steht diese Sprache bereits in der ersten Klasse auf dem Stundenplan. „Da sich Chinesisch sowohl in Wort als auch in Schrift ganz wesentlich von europäischen Sprachen unterscheidet, hilft es den Kindern, sich neue Strukturen leichter zu öffnen, und macht ihr Denken flexibel“, sagt Steffi Poßner, Geschäftsführerin des Vereins Die Kappe, dem Träger der Berliner Schule.