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Beschneidungsdebatte nicht abwürgen

Im Bundestag wurde ein Antrag zur rechtlichen Regelung der Beschneidung beschlossen. In diesem Kolumnenbeitrag möchte ich meine persönliche Erklärung dazu mit Euch teilen.

Der Grundrechtkatalog unseres Grundgesetzes ist ein guter Roter Faden für das Zusammenleben in unserer heterogenen Gesellschaft. Dort werden die Grundfreiheiten und Grundrechte und ihre Schranken definiert.

Sowohl die Religionsfreiheit (Glaubensfreiheit, Nichtglauben, Wechsel der Religionen) aber auch körperliche Unversehrtheit sind Grundrechtsgüter. Wenn sie miteinander kollidieren, sind sie abzuwägen und es muss gegebenenfalls ein guter Kompromiss gefunden werden. Sowohl die heiligen Schriften der Religionen aber auch die religiösen Riten, Gebräuche und Traditionen beinhalten naturgemäß alte Elemente, die im Lichte der Vernunft und den neuen Einsichten der Wissenschaft neu zu verstehen und zu interpretieren sind.

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Die Menschheit kann mit Glück und Stolz darauf zurück blicken, dass wir keine Menschenopfer mehr bringen, die Steinigung von Ehebrechern nicht mehr Teil unserer Rechtsprechung ist, verwitwete Hindufrauen seit mehr als 100 Jahren nicht mehr mit ihren verstorbenen Ehemännern verbrannt werden und die Beschneidung von Mädchen weitgehend verpönt und strafbar ist. Bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Nichtdiskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wurden einige Fortschritte erzielt, aber auch einige Rückschritte verzeichnet.

Die Kinder sind nicht das Eigentum der Eltern, der Religionsgemeinschaften oder des Staates. Sie sind Individuen mit vollen Rechten. Das Kindeswohl zu gewährleisten obliegt den Eltern und dem Staat in den gesetzlichen Rahmen.

Der säkulare Staat hat auch die Aufgabe, den Druck der Religionsgemeinschaften oder Weltanschauung auf einzelne Individuen abzuwenden oder dies zumindest abzumildern, damit sich das Individuum frei entfalten kann (Art 2, Grundgesetz). Medizinisch notwendige Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit stehen hierbei außer Diskussion.

Zur Disposition steht nur, in wie weit die blutigen Rituale der Religionsgemeinschaften, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – sogar bei Kleinkinder – darstellen allein der Entscheidung der Religionsgemeinschaften bzw. Eltern zu überlassen ist.

Bei der Beschneidung stellt sich diese Frage vordergründig.
Es besteht sowohl wissenschaftliche wie politische Einigkeit darüber, dass die Zirkumzision einen irreversiblen und nicht zu bagatellisierenden Eingriff in die Körper von Menschen darstellt. Es ist aber auch soziologischer Fakt, dass sich viele Eltern in der Religions- oder Traditionspflicht sehen, diesen Vorgang bei ihrem Kind vornehmen zu lassen.

Um eine selbstbestimmte Erwachsenenentscheidung – im Idealfall zu einem unblutigen Religionsbekenntnis – zu ermöglichen, kann der Gesetzgeber einen Übergangskompromiss vorlegen.

Solch eine gesetzliche Regelung mit einer großen, gesellschaftlichen und grundrechtlichen Reichweite darf nicht in einem Schnellverfahren erfolgen. Dafür müssen gründliche Anhörungsverfahren durchgeführt werden.