Integration im 16:9 Format

Cabriofahrer dieser Welt vereinigt euch!

Was immer Muslime tun, sie kommen in die Nachrichten: Verteilen von kostenlosen Koranexemplaren oder die religiöse Beschneidung von Jungen. Die Mun-Sekte verteilt auch religiöse Bücher und Koreaner lassen ihre Jungen auch beschneiden - ohne eine einzige Schlagzeile. Was mein türkischer Bäcker dazu sagt...

Von Freitag, 27.07.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 1:00 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als die öffentliche Diskussion um die Verteilung des Korans der Salafisten in den Medien kursierte, musste ich an meine letzte Münchenreise denken, bei der ich vor dem Eingang eines Einkaufszentrums am Marienplatz einen Stand der Mun-Sekte entdeckte. Die Munies hatten zahlreiche Bücher ihres selbst ernannten koreanischen Propheten Mun auf dem Tisch gestapelt und händigten diese an interessierte Passanten aus. Am nächsten Morgen fand ich keine Schlagzeilen in der lokalen Zeitung vor, von wegen „Mun-Sekte verteilt kostenlos Bücher ihres Propheten aus“, geschweige denn sah etwas darüber in den Nachrichten.

Das ist das Schicksal einer Minderheit, in einer Minderheit zu sein. Der Gesellschaft interessiert es wenig, ob Munies versuchen koreanische Verbände zu unterwandern, um neue Mitglieder zu akquirieren. Irgendwann fand ich auch eine Autobiografie des Sektengründers Mun in meinem Postfach und wunderte mich, wie sie meine Kontaktdaten ausfindig machen konnten. Einige Munies schrieben mir E-Mails, baten um ein Treffen und versuchten mich damit zu locken, dass sie mir ein Besuch in Nordkorea, wenn es gewollt ist, mühelos ermöglichen könnten. Höflich lehnte ich ab.

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Gleichsam wie mit der Mun-Sekte wird auch mit der Beschneidungsdebatte verfahren. Meine Cousins, die weder jüdischen noch islamischen Glaubens sind, mussten um die 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein, als sie mit einem Plastikbecher in ihren Sporthosen zum Schutz ihrer Männlichkeit in die Wohnung umherliefen. Beiden Cousins wurde durch einen operativen Eingriff die Vorhaut entfernt. Mein Onkel meinte nur, dass die Beschneidung medizinische Vorteile mit sich brächte und einfach hygienischer sei. Genüsslich schleckten beide Cousins an ihrem Melonen-Eis und machten ganz und gar nicht den Anschein, in irgendeiner Form von meinem Onkel genötigt oder „Opfer einer Beschneidung“ geworden zu sein.

Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, als mein Vater nach Hause kam, seinen Zeigefinger ausstreckte, um mir so verständlich zu machen, ihm kommentarlos zu folgen. Es muss in der dritten oder vierten Klasse gewesen sein. Von unserer Wohnung führte mich Vater zum naheliegenden Krankenhaus, in der meine Mutter arbeitete. Dort wurde ich geboren und besuchte die koreanische Sprachschule. Zunächst glaubte ich, dass mein Vater mit mir aus nostalgischen Gründen zum Krankenhaus spazieren ging, der guten alten Zeiten wegen. Stattdessen lieferte mich mein Vater im Krankenhaus ab. An seine Worte habe ich nur noch wenig Erinnerung. Aber es muss so etwas gewesen sein, wie „Heute wirst Du zum Cabriofahrer!“

Von dem operativen Eingriff trug ich keine psychotraumatischen Nebeneffekte davon. Allenfalls von dem Tag, als ich mein Vater mit etwa fünf Jahren beim Mittagsschlaf unbeabsichtigt anpinkelte und er dann mit einem Hackfleischmesser aus der Küche wiederkehrte und mir drohte, beim nächsten Anpinkeln, mein gutes Stück abzuschneiden. Nur um Haaresbreite entging ich an diesem Tag einer „Khitan“ ohne Pascha-Outfit. Ich versprach meinem Vater, ihn nie wieder anzupinkeln – ein Versprechen, das ich bis heute gehalten habe.

Der aktuellen Debatte geschuldet rief ich kürzlich meinen Vater an. Ich scherzte mit ihm über den Tag, als mir das Verdeck meines Cabrios geöffnet wurde. „Du weißt schon, dass ich Dich heute wegen Körperverletzung verklagen könnte“, sagte ich zu meinem Vater, der sich vor lauter Lachen nicht mehr einkriegen konnte.

„Aber dafür kannst Du, durch alle Jahreszeiten mit offenem Verdeck fahren und hast immer freie Aussicht“, erwiderte mein Vater auf Koreanisch. In der Grundschule konnte ich von da an mit meinen türkischen Freunden mitreden und vor allem mithalten, die schon lange die „Khitan“ hinter sich hatten. Ich scherzte mit meinen türkischen Freunden und fragte sie „Hey, fährst Du auch Cabrio?“ „Ja!“, antworteten ausnahmslos alle. Mein bester Freund Mehmet dachte immer voraus und fügte stets zu seinen Antworten hinzu „beim Straßenverkehr immer achtsam zu sein“.

Wie an jedem Wochenende hole ich mir meine Schrippen bei meinem türkischen Bäcker von nebenan. Ich verstehe mich sehr gut mit ihm, so gut, dass er mir ab und an frische Böreks umsonst mit in die Tüte einpackt und das ohne ihn die Cabriofrage gestellt zu haben. Wenn wenige Kunden in seinem Laden sind, halten wir Smalltalk über die Erziehung seiner Kinder, Bildung, Urlaub und aktuelle politische Diskurse. Dieses Mal war es das Beschneidungsverbot.

„Ein Journalist, der vor Kurzem unseren Laden besuchte, fragte mich tatsächlich, ob ich nicht Lust hätte, auf dem Titelbild einer großen Zeitung abgedruckt zu werden. Voraussetzung wäre, dass ich meinen Sohn beschneiden lasse! Diese Journalisten sollen sich mal mehr um die Aufklärung des NSU-Terrors bemühen“, sagte mir der Bäcker empört und schüttelte dabei den Kopf.

„Geschäftsleute wittern sicherlich schon das Geschäft ihres Lebens und werden bald Reisen zu Ländern anbieten, wo die Beschneidung straffrei praktiziert werden darf. Da bin ich mir sicher. Ich habe es satt, dass die Menschen uns sofort mit Ehrenmord, altmodische Traditionen, Terrorismus und nun mit Körperverletzung des Kindes in Verbindung setzen“, fügte mein türkischer Bäcker hinzu, der sich mittlerweile in Rage redete.

Ich hörte ihm zu und fragte mich, wie das Kölner Landgericht wohl geurteilt hätte, wenn es sich nicht um einen vierjährigen muslimischen Jungen gehandelt hätte, sondern einem jüdischen Kind. Zudem fragte ich mich, wie wohl der britische Prinz Charles, der Tampon-Mann zu der Beschneidungsdebatte steht. Bekannterweise ist Prinz Charles auch ein begeisterter Cabriofahrer mit Oldtimer-Kennzeichen. Des Weiteren fragte ich mich, wie der Bezug zum Selbstbestimmungsrecht des Kindes mit der wachsenden Kinderarmut, den unfairen Bildungschancen und maroden Schulen übereinstimmen kann. Ist das nicht auch eine Art Körperverletzung? Hinterlassen diese Auswirkungen keinen „permanenten und nicht wiederherstellbaren“ Schaden am Kind?

Vor einigen Tagen haben sich über 600 Mediziner und Juristen in einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt und sich für ein Beschneidungsverbot aus religiösen Gründen ausgesprochen. Ich musste an meinen türkischen Bäcker denken und wie recht er doch hat, dass einerseits so hitzig und innig über ein paar Zentimeter Haut diskutiert wird und auf der anderen Seite der NSU-Terror und die Aufarbeitung fast schon stiefmütterlich und grob fahrlässig behandelt wird. Am nächsten Wochenende wollte ich meinen türkischen Bäcker fragen, ob wir nicht auch an die Öffentlichkeit herantreten und ein Aufruf starten: „Cabriofahrer dieser Welt vereinigt euch!“ Aktuell Meinung

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  1. Peter sagt:

    EIn gelungener Artikel! Ich musste herzhaft lachen. „Cabriofahrer dieser Welt vereinigt euch!“ Das sollten sie tuen!!!

  2. Anne_Klein sagt:

    Seit tausenden von Jahren ist die Beschneidung ein Bestandteil des jüdischen und muslimischen Glaubens. Plötzlich soll es nicht mehr so sein? Was für ein Sommerlochsthema!

  3. Gerdster sagt:

    Ich bin gespannt, ob in nächster Zeit wirklich muslimische und jüdische Paare in den Medien gezeigt werden, wie sie ihr Kind beschneiden lassen. Sicherlich wird es in einem negativem Licht dargestellt, wenn überhaupt. Wollen wir den Journalisten eine Chance geben. In Deutschland gilt schließlich die Unschuldsvermutung ….

  4. Krim sagt:

    Ich glaube es würde der Debatte gut tun, wenn man sich an Fakten hält. Leider tut das der Autor nicht immer. Der Autor spricht von wachsender Kinderarmut, dabei geht sie in den letzten Jahren zurück. In einem SZ-Artikel vom 26.01.2012 heißt es:

    „n Deutschland leben immer weniger arme Kinder: Nach einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit, die der SZ vorliegt, ist die Zahl der jungen Hartz-IV-Empfänger in der vergangenen fünf Jahren deutlich zurückgegangen. “

    Weiter spricht der Autor von „unfairen Bildungschancen“, vermutlich vorallem im Hinblick auf Migrantenkinder. Auch das ist so aber nicht zutreffend und kürzlich in einer Studie Des Wissenschaftzentrum Berlin für Sozialforschung widerlegt worden. Dort stellte die Studie fest:

    „Bildungschancen für Migranten: gleich gut, gleich schlecht
    Keine ethnische Diskriminierung bei Gymnasialempfehlungen nachweisbar
    Bei vergleichbaren Leistungen und ähnlichem sozialem Hintergrund werden Migrantenkinder mindestens so oft ans Gymnasium empfohlen wie ihre deutschstämmigen Mitschüler. WZB-Bildungsforscherin Cornelia Gresch bestätigt in einer Studie, dass Kinder mit Migrationshintergrund am Ende der Grundschule seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium erhalten als andere. Sie kann diesen Nachteil aber vollständig auf den häufig niedrigeren sozialen Status und geringere schulische Kompetenzen der Kinder zurückführen. Ethnische Diskriminierung ist an dieser Stelle der Bildungsbiografie also nicht direkt nachweisbar.“
    http://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/bildungschancen-fuer-migranten-gleich-gut-gleich-schlecht

    Und auch der pauschale Vorwurf der maroden Schulen in Deutschland scheint mir etwas weit hergeholt, Ähnlich bei der Behauptung die Aufklärung der NSU-Taten würde stiefmütterlich und grob fahrlässig behandelt werden.
    Davon ernsthaft im Angesicht von zahlreichen Untersuchunsausschüssen, interner Ermittlungsverfahren in den SIcherheitsbehörden und unzähliger Artikel in allen Medien zu sprechen, halt für ziemlich weit hergeholt.
    Wir sollten uns alle an Fakten halten, nur so kann man eine Diskussion sachlich führen.

  5. blech sagt:

    @Krim
    Ich vertraue keinen Studien mehr! Nur weil eine Studie das sagt, heißt es nicht, dass es so ist.

    Wir Migranten wissen wohl besser, wie unfair wir behandelt werden. Da kann keine Studie der Welt diese Wahrheit verändern. Egal wie gut wir sind, egal ob ich mich am meisten melde und richtig gute Sachen sage, dann kommt der Lehrer tatsächlich zu mir und sagt mir ins Gesicht!!!, dass er mir dieselbe Note gibt, wie alle die sich nie am Unterricht beteiligt haben, weil er alle Faktoren benoten muss. Auf meine Frage hin, was er damit meinte, bekam ich die Antwort, ICH! könne kein Deutsch. LUSTIG, Rassismus pur…

    sagen sie mir und allen migranten, dass wir kein Deutsch können, während mir sogar mein Deutschlehrer als aller letzte Note eine 1 verpasste, er war der einzige gerechte und gute Lehrer, den ich hatte…

    tja und jetzt kommen sie und behaupten wegen einer Studie, dass wir besonders türkischen und russischen Migranten nicht benachteiligt werden, nein natürlich nicht, es ist normal, wenn einige Lehrer uns in der 11.Klasse sagen, dass wir kein Deutsch können…ganz normal, wir sind natürlich ohne Deutschkenntnisse in die 11. gekommen. Sonst noch was?

    Ich könnte Geschichten erzählen von mir, von anderen türkischen und russischen und auch polnischen Migranten!, wobei ganz ehrlich wir türkischen am unfairsten benotet werden!!

    Herr Hyun, danke wirklich, dass Sie auf diese Diskussion ein anderes Licht werfen!!! Ihr Artikel war super! und auch sehr humorvoll, außerdem habe ich wieder was gelernt :)

  6. Autark sagt:

    @ Krim

    Gegen Ihre erwähnte Studie, wonach die Bildungschancen von Migrantenkindern gut sein sollen hilft dieser Artikel hier: http://www.migazin.de/2012/07/11/keine-diskriminierung-von-migrantenkindern/ Darin wird deutlich, welch Geistes Kind hinter dieser Studie steckt ;)

  7. Beyza sagt:

    Wer weiss,demnächst werden sie uns wahrscheinlich das Fasten verbieten.

  8. Songül sagt:

    @krim

    „Sie kann diesen Nachteil aber vollständig auf den häufig niedrigeren sozialen Status und geringere schulische Kompetenzen der Kinder zurückführen.“

    Ach wenn es weiter nichts ist, können wir ja aufatmen …?!
    In kaum einem anderen EU-Land ist der Bildungserfolg so stark an den sozialen Status gekoppelt, wie in Deutschland. Dafür wird Deutschland auch immer und immer wieder nach den PISA-Studien gerügt.

    Mit diesen Fakten unterstützen Sie Herr Hyuns Aussagen.
    Aber man versteht ja nur, was man verstehen will …
    Ähnlich verhält es sich mit derartigen Studien: Das Ergebnis ist programmiert, die Frage/These und (fragwürdige) Methoden müssen nur noch her.

  9. Songül sagt:

    @Martin Hyun

    Mal wieder ein wunderbar differenzierter Artikel, wie wir es von Ihnen gewöhnt sind.
    Unter „Nicht-Betroffenen“ eher selten zu finden und damit umso wertvoller.

  10. krim sagt:

    @Blech
    Ich habe selber einen Migrationshintergrund, also kommen Sie mir bitte nicht mit „wir Migranten“. Ich habe in meiner Schulzeit mehrheitlich gute und faire Lehrer gehabt. Dabei kenne auch ich, wie vermutlich viele andere Schüler auch, das Gefühl auch mal ungerecht beurteilt worden zu sein, aber daraus schließe ich nicht sofort auf Rassismus bei einem Lehrer.
    Ich habe sogar das Gegenteil erlebt, wo nämlich eine Mitschülerin samt ihrer Eltern versucht hat ihre zurecht schlechten Noten durch ungerechtfertige Rassismusvorwürfe gleich an mehren Lehrer zum positiven zu verändern.

    @autark
    Vielleicht sollten Sie sich fragen warum im migazin solch ein Artikel zu dieser wissenschaftlichen Studie geschrieben wird und welche Haltung und Absicht dahinter steckt.

    @Songül
    Über generelle Schwierigkeiten was die Durchlässigkeit des Bildungssystems angeht, darüber können wir gerne diskutieren. Da habe ich auch so meine Probleme mit, aber das sollte man von der angeblichen und widerlegten Behauptung abtrennen, das deutsche Bildungssystem würde Migranten flächendeckend benachteiligen.
    Kinder die einen ostasiatischen Migrationshintergrund haben, wie auch der Autor Martin Hyun, schaffen es im Durchschnitt sogar besser und erfolgreicher durch das Schulsystem zu kommen als „normale“ Deutsche. Das ist statistisch belegt und kein Deutscher würde auf die Idee kommen dass das Schulsystem Deutsche, vorallem im Vergleich zu Ostasiaten, deswegen benachteiligt.