Brückenbauer

Beschneidung um jeden Preis?

Im Mai hat das Landgericht Köln die religiöse Beschneidung als Körperverletzung eingestuft. Mich hat es sehr gefreut, dass dadurch eine breite Debatte ausgelöst wurde. Denn es wird eine wichtige Frage behandelt: Wo endet die Religionsfreiheit und wo wird die Religionsausübung eingeschränkt?

Im Grunde geht es um die Frage, ob Eltern das Recht haben zu entscheiden, ob bei ihrem Kind ein unumkehrbarer körperlicher Eingriff stattfindet, der Ausdruck einer religiösen Zugehörigkeit ist. Vorweg lohnt es sich, das Thema aus medizinischer Sicht zu betrachten.

Die Beschneidung kann unter medizinischem Aspekt durchaus sinnvoll sein. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Beschneidung als vorbeugende Maßnahme gegen die HIV-Ansteckung in sogenannten Hochrisikogebieten, da beschnittene Männer sich zwischen 38% und 66% seltener mit HIV infizieren als nicht beschnittene Männer. Studien belegen ferner, dass das Risiko von Gebärmutterkrebs bei Frauen, die mit beschnittenen Männern zusammenleben signifikant verringert wird. Jedoch gilt dies nur bei erwachsenen Männern. Die Beschneidung bei Kindern hat medizinisch gesehen keinen Vorteil.

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Stellt nun die Beschneidung von Kindern eine Körperverletzung dar? Juristisch gesehen ja, genauso wie die Impfung den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Bei der Impfung steht jedoch ganz eindeutig das Wohl des Kindes im Vordergrund. Sicherlich sehen das jüdische und muslimische Eltern bei der religiösen Beschneidung ebenso. Aber ist das wirklich und unabdingbar der Fall? Kann es nicht doch auch vorkommen, dass ein beschnittenes Kind später im Erwachsenenalter das nicht so sieht?

In unserer Verfassung ist die Religionsfreiheit fest verankert. Bedeutet Religionsfreiheit nicht, auch dass jeder Mensch frei entscheiden darf, ob er überhaupt religiös sein möchte und wenn ja, welcher Religion er angehört? Jeder Mensch darf eine eigene Haltung gegenüber Religionen entwickeln. Der Grad der Religiosität ist jedem selbst überlassen. Es kann also Juden geben, die nie in Synagogen gehen möchten und trotzdem von sich behaupten dürfen, Juden zu sein. Es kann Katholiken geben, die das Zölibat ablehnen und es kann sogar Atheisten und Agnostiker geben, die mit Religion per se nichts anfangen können.

Natürlich kann auch ein beschnittenes Kind – egal ob Jude oder Muslim – später einmal zum Atheisten oder Buddhisten werden. Jedoch kann er den Eingriff nicht wieder rückgängig machen. Und ist das nicht im Grunde eine Eingrenzung der persönlichen Freiheit?

Ich frage mich, ob durch diese Haltung den Eltern vorgeschrieben wird, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben? Haben Eltern das Recht, ihre Kinder gläubig zu erziehen? Natürlich. Aber was bedeutet das genau? Sind es denn nicht Werte, die eine Religion ausmachen? Der Umgang mit Mitmenschen, der Natur und Moral definieren doch ein gläubiges Leben vielmehr als das strikte Festhalten an Bräuchen.

Ist es wirklich noch zeitgemäß zu behaupten, dass die Beschneidung die Grundlage des jüdischen Glaubens ist und ein Jude deshalb unbedingt am 8. Tag nach seiner Geburt beschnitten werden muss? Wieso sollte jüdisches oder muslimisches Leben in Deutschland deshalb nicht mehr möglich sein, wie von einigen behauptet? Auch die Religionsgemeinschaften müssen in der Lage sein, die Ausübung ihrer Bräuche an die Realität und Gesellschaft anzupassen. Und die Gesellschaft hat sich für Religionsfreiheit entschieden. Somit müssen sowohl Religionsgemeinschaften als auch Eltern es akzeptieren, wenn ihre Kinder sich gegen die Religiosität oder für eine andere Religion entscheiden. Dass dies möglich ist, und eine religiöse Tradition sich an gesellschaftliche Umstände anpassen kann zeigt die jüdische Gemeinde in Großbritannien. Dort wird eine symbolische Beschneidung am 8. Tag durchgeführt und im mündigen Alter kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich beschneiden lassen möchte oder nicht. Die Juden in Großbritannien können also ihren Glauben nach eigenen Angaben trotz dieser Modifizierung des Brauches uneingeschränkt ausüben.

Ob sich jemand aus medizinischen oder religiösen Gründen für eine Beschneidung entscheidet, sollte keine Rolle spielen. Das sollte man jedem selber überlassen, denn mit dieser Entscheidung muss man auch selber leben können. Deshalb erscheint es umso wichtiger, dass die Entscheidung für den Eingriff aus freien und eigenen Beweggründen gefällt wird. Dass die Juden in Großbritannien selber beschlossen haben, ihren Brauch in dieser Form auszulegen, finde ich sehr fortschrittlich und würde mir eine solche Entwicklung auch hier wünschen.

Der Schutz des Kindes und somit auch seine Freiheitsrechte stehen für mich über dem Recht der Religionsausübung. Zumal ich dadurch das Praktizieren der Religion nicht signifikant beeinträchtigt sehe. Denn halten wir fest: Niemand hat und möchte die Beschneidung generell verbieten.

Das Urteil des Kölner Landgerichtes sehe ich als einen wichtigen und notwendigen Denkanstoß. Jedoch halte ich das Strafrecht für das falsche Mittel, um bei dem Thema eine Entwicklung herbeizuführen. Ärzte zu Verbrechern zu machen, halte ich für unverhältnismäßig und richtet nur gesellschaftlichen Schaden an. Deshalb ist es richtig, dass der Bundestag nun die Regierung beauftragt hat, ein Gesetz zu entwerfen, das die religiöse Beschneidung kleiner Kinder straffrei stellt. Ein Klima der Strafandrohung wäre für eine gesellschaftliche Debatte doch mehr als unbrauchbar.

Parallel zum Gesetzentwurf sollten Mittel für Aufklärungsarbeit und pädagogische Maßnahmen bereitgestellt werden, um eine breite Debatte in den Religionsgemeinschaften zu ermöglichen und voranzutreiben. Das würde sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Schutz der Kinder in Deutschland dienen.