Brückenbauer

Beschneidung um jeden Preis?

Im Mai hat das Landgericht Köln die religiöse Beschneidung als Körperverletzung eingestuft. Mich hat es sehr gefreut, dass dadurch eine breite Debatte ausgelöst wurde. Denn es wird eine wichtige Frage behandelt: Wo endet die Religionsfreiheit und wo wird die Religionsausübung eingeschränkt?

Von Peyman Pakzad Dienstag, 24.07.2012, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.07.2012, 2:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Grunde geht es um die Frage, ob Eltern das Recht haben zu entscheiden, ob bei ihrem Kind ein unumkehrbarer körperlicher Eingriff stattfindet, der Ausdruck einer religiösen Zugehörigkeit ist. Vorweg lohnt es sich, das Thema aus medizinischer Sicht zu betrachten.

Die Beschneidung kann unter medizinischem Aspekt durchaus sinnvoll sein. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Beschneidung als vorbeugende Maßnahme gegen die HIV-Ansteckung in sogenannten Hochrisikogebieten, da beschnittene Männer sich zwischen 38% und 66% seltener mit HIV infizieren als nicht beschnittene Männer. Studien belegen ferner, dass das Risiko von Gebärmutterkrebs bei Frauen, die mit beschnittenen Männern zusammenleben signifikant verringert wird. Jedoch gilt dies nur bei erwachsenen Männern. Die Beschneidung bei Kindern hat medizinisch gesehen keinen Vorteil.

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Stellt nun die Beschneidung von Kindern eine Körperverletzung dar? Juristisch gesehen ja, genauso wie die Impfung den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Bei der Impfung steht jedoch ganz eindeutig das Wohl des Kindes im Vordergrund. Sicherlich sehen das jüdische und muslimische Eltern bei der religiösen Beschneidung ebenso. Aber ist das wirklich und unabdingbar der Fall? Kann es nicht doch auch vorkommen, dass ein beschnittenes Kind später im Erwachsenenalter das nicht so sieht?

In unserer Verfassung ist die Religionsfreiheit fest verankert. Bedeutet Religionsfreiheit nicht, auch dass jeder Mensch frei entscheiden darf, ob er überhaupt religiös sein möchte und wenn ja, welcher Religion er angehört? Jeder Mensch darf eine eigene Haltung gegenüber Religionen entwickeln. Der Grad der Religiosität ist jedem selbst überlassen. Es kann also Juden geben, die nie in Synagogen gehen möchten und trotzdem von sich behaupten dürfen, Juden zu sein. Es kann Katholiken geben, die das Zölibat ablehnen und es kann sogar Atheisten und Agnostiker geben, die mit Religion per se nichts anfangen können.

Natürlich kann auch ein beschnittenes Kind – egal ob Jude oder Muslim – später einmal zum Atheisten oder Buddhisten werden. Jedoch kann er den Eingriff nicht wieder rückgängig machen. Und ist das nicht im Grunde eine Eingrenzung der persönlichen Freiheit?

Ich frage mich, ob durch diese Haltung den Eltern vorgeschrieben wird, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben? Haben Eltern das Recht, ihre Kinder gläubig zu erziehen? Natürlich. Aber was bedeutet das genau? Sind es denn nicht Werte, die eine Religion ausmachen? Der Umgang mit Mitmenschen, der Natur und Moral definieren doch ein gläubiges Leben vielmehr als das strikte Festhalten an Bräuchen.

Ist es wirklich noch zeitgemäß zu behaupten, dass die Beschneidung die Grundlage des jüdischen Glaubens ist und ein Jude deshalb unbedingt am 8. Tag nach seiner Geburt beschnitten werden muss? Wieso sollte jüdisches oder muslimisches Leben in Deutschland deshalb nicht mehr möglich sein, wie von einigen behauptet? Auch die Religionsgemeinschaften müssen in der Lage sein, die Ausübung ihrer Bräuche an die Realität und Gesellschaft anzupassen. Und die Gesellschaft hat sich für Religionsfreiheit entschieden. Somit müssen sowohl Religionsgemeinschaften als auch Eltern es akzeptieren, wenn ihre Kinder sich gegen die Religiosität oder für eine andere Religion entscheiden. Dass dies möglich ist, und eine religiöse Tradition sich an gesellschaftliche Umstände anpassen kann zeigt die jüdische Gemeinde in Großbritannien. Dort wird eine symbolische Beschneidung am 8. Tag durchgeführt und im mündigen Alter kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich beschneiden lassen möchte oder nicht. Die Juden in Großbritannien können also ihren Glauben nach eigenen Angaben trotz dieser Modifizierung des Brauches uneingeschränkt ausüben.

Ob sich jemand aus medizinischen oder religiösen Gründen für eine Beschneidung entscheidet, sollte keine Rolle spielen. Das sollte man jedem selber überlassen, denn mit dieser Entscheidung muss man auch selber leben können. Deshalb erscheint es umso wichtiger, dass die Entscheidung für den Eingriff aus freien und eigenen Beweggründen gefällt wird. Dass die Juden in Großbritannien selber beschlossen haben, ihren Brauch in dieser Form auszulegen, finde ich sehr fortschrittlich und würde mir eine solche Entwicklung auch hier wünschen.

Der Schutz des Kindes und somit auch seine Freiheitsrechte stehen für mich über dem Recht der Religionsausübung. Zumal ich dadurch das Praktizieren der Religion nicht signifikant beeinträchtigt sehe. Denn halten wir fest: Niemand hat und möchte die Beschneidung generell verbieten.

Das Urteil des Kölner Landgerichtes sehe ich als einen wichtigen und notwendigen Denkanstoß. Jedoch halte ich das Strafrecht für das falsche Mittel, um bei dem Thema eine Entwicklung herbeizuführen. Ärzte zu Verbrechern zu machen, halte ich für unverhältnismäßig und richtet nur gesellschaftlichen Schaden an. Deshalb ist es richtig, dass der Bundestag nun die Regierung beauftragt hat, ein Gesetz zu entwerfen, das die religiöse Beschneidung kleiner Kinder straffrei stellt. Ein Klima der Strafandrohung wäre für eine gesellschaftliche Debatte doch mehr als unbrauchbar.

Parallel zum Gesetzentwurf sollten Mittel für Aufklärungsarbeit und pädagogische Maßnahmen bereitgestellt werden, um eine breite Debatte in den Religionsgemeinschaften zu ermöglichen und voranzutreiben. Das würde sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Schutz der Kinder in Deutschland dienen. Aktuell Meinung

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  1. Chajm sagt:


    Dass dies möglich ist, und eine religiöse Tradition sich an gesellschaftliche Umstände anpassen kann zeigt die jüdische Gemeinde in Großbritannien

    Kann man dafür Quellen angeben? Genau genommen stimmt das nämlich nicht. Auch in Großbritannien wird die Beschneidung so vorgenommen, wie überall anders auf der Welt auch.

  2. Murat sagt:

    Sorry, aber wie ich als Moslem meine Kinder erziehe, hat niemanden zu interessieren (so lange es nicht gegen geltendes Recht verstößt).
    Ich diskutiere doch nicht, ob ich mein Kind beschneiden lassen darf oder nicht. Was bitte ist das für ein Quatsch?
    „Der Schutz des Kindes und somit auch seine Freiheitsrechte stehen für mich über dem Recht der Religionsausübung“
    Um welche Freiheitsrechte beraube ich denn ein 7-jähriges Kind? Das er sich nicht entscheiden darf, ob er seine Vorhaut behält? Ist das Ihre Argumentation?
    Selten so einen misslungenen Artikel von einem „Migranten“ gelesen…

  3. Zensus sagt:

    Herr Pakzad tut seine Meinung durch Verben wie kann, sollte, würde usw. kund. Das steht im krassen Gegensatz zu den Kolat-, Mayzek-, Migazin-Verlautbarungen,die durch darf, hat zu, muss flankiert werden und ist sehr überraschend, wie auch Pakzads Meinung zur religiösen Beschneidung im Besonderen, zeugt es doch von vernunftbegabtem Gedankengut.
    Es stünde Migazin gut zu Gesicht solcherlei Stimmen häufiger zu Wort kommen zu lassen, es diente der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft.

  4. Lynx sagt:

    Die Beschneidung ist bei Erwachsenen weitaus schwieriger, unangenehmer und kostspieliger als bei kleinen Kindern. Eine nahe bei hundert Prozent liegende Mehrheit von Muslimen dürfte es daher begrüßen, von ihren Eltern bereits im Kindesalter beschnitten lassen worden zu sein, anstatt ihnen nach Erreichen der Volljährigkeit die Wahl selbst überlassen zu haben. Das Urteil des Kölner LGs wäre somit gesehen nur ein Schildbürgerstreich, kämen nicht noch andere Aspekte hinzu. Damit wird das Argument „das Wohl des Kindes“ zum Vorwand.
    Im Islam ist die Beschneidung zwar kein wesentlicher Bestandteil der Religion, wie bei den Juden, spielt jedoch auch eine Rolle. Dr. Nadeem Elyas erläutert: Der Gesandte Allahs, Allah segne ihn und gebe ihm Heil, sagte: „Zur ursprünglichen Natur der Menschen gehören fünf Handlungen: Die Beschneidung, das Abrasieren der Schamhaare, das Kurzschneiden des Schnurrbarts, das Schneiden der (Finger- und Fuß-) Nägel und das Auszupfen der Achselhaare.“ So wird die die Beschneidung bei allen muslimischen Völkern seit Jahrhunderten als islamische Tradition und Pflicht gepflegt.
    Aus den gesundheitlichen Vorteilen, die die Beschneidung mit sich bringt, bestehen die meisten muslimischen Vormünder von heiratsfähigen Mädchen – in der Regel ihre Väter – darauf, daß der zukünftige Ehemann beschnitten ist, was insbesondere bei Konvertiten deutlich wird: ohne Beschneidung keine Heirat.
    Aufgabe der Religion ist es u. a., die Menschen, sowohl Individuen als auch die Gesellschaft insgesamt, wieder auf den geraden Weg zurückzuführen, wenn sie davon abweichen. Nicht unbedeutende Bräuche, wie die Beschneidung, die fest in der Religion verankert sind, haben sich nicht an die Gesellschaft anzupassen, sondern die Gesellschaft hat sich an sie anzupassen, bzw. sie zu tolerieren. Andernfalls kann nicht von freier Religionsausübung die Rede sein, selbst wenn sie als verankert in einem Grundgesetz stehen sollte. Papier ist geduldig, und das „wunderbare“ Grundgesetz für die BRD ist nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist, wenn den Muslimen die ihnen zustehenden Rechte auch ohne Grundgesetzänderung mittels anderer Gesetze, entsprechender Gerichtsurteile und Interpretationen unter dem Einfluß einer mehrheitlich insbesondere islam- und allgemein religionsfeindlichen Gesellschaft stückweise beschnitten und ausgehebelt werden: hier ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen, dort ein Gebetsverbot für einen Schüler, jetzt ein Beschneidungsverbot für Minderjährige … und wer weiß, was demnächst noch alles auf uns zukommt?
    Beschneidung der männlichen Vorhaut: ja – Beschneidung der Religionsausübung: nein!

  5. Kompliment für den einfühlsam geschriebenen artikel mit gutem tenor. Meine oma väterlicherseits kam aus estland, meine urgrosseltern mütterlicherseits kamen aus darkehmen bei insterburg oder so, das ist heute polen oder russland oder was. Von daher ist der migrationshintergrund meiner familie etwas eingedeutschter oder wie auch immer und ich weiss nicht, ob ein vierteljude wie ich (nach den nürnberger rassegesetzen von 1935 vierteljude, nach dem zentralrat der juden in der faz gleich mehrmals kein jude wie vermutlich viele in den vierziger jahren ermordete nach kramers definition auch keine juden waren). Jedenfalls bin ich jahrgang 1967 und nach dem willen des bundestags darf mein vater (jahrgang 1929, wurde mit falschen papieren in katholischer schule oder so in bremerhaven versteckt, denn wäre sein vater gestorben hätten die deutschen seine volljüdische mutter und ihn als halbjuden sofort nach treblinka deportiert, ob kramer und friedmann und graumann und korn und knobloch in ihrer fundamentalistischen weltanschauung ihn nun als juden anerkennen oder nicht), also mein vater dürfte mich nach dem willen des bundestags zwangsamputieren lassen, falls man meine entmündigung durchsetzen kann – beck arbeitet daran, vgl. Kath.net artikel über beck als opfer von kritik. Um mich meiner haut zu wehren,habe ich eine eigene, nicht vonbder bundestagsverwaltung zu verhindernde petition ins leben gerufen: https://secure.avaaz.org/de/petition/Die_judische_Paralleljustiz_in_der_Bundesrepublik_Deutschland_beenden/

    Asta la vista babie

  6. locky sagt:

    Ein toller Beitrag.
    Wenn jemand den Text genau liest, merkt man, dass die Diskussion über die Beschneidung für eine ausdifferenzierte Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß ist.

    In einem Rechtsstaat gibt es eine Festlegung der Altersgrenze, wann ein Mensch volljährig ist oder nicht. Danach orientiert sich auch die Regelung, wann man einen Führerschein bekommen darf oder ähnliches.

    Die Beschneidung im Rechtsstaat soll ebenfalls dadurch geregelt werden, dass man sich nach Erreichung der Volljährigkeit selbst entscheiden sollte, ob er beschnitten werden möchte oder nicht.

    Wer die Hintergründe der Filmproduktion von „Pippi Langstrumpf“ oder das weltweite Ausmaß der Auswirkung dieses Films kennt, der wird sich nicht wundern warum die abendländische Kultur mit Beschneidung ein Problem hat.

  7. Armin sagt:

    Moin Peyman
    Also, um ehrlich zu sein sehe ich dat eher wie Murat. Deine Gedankengänge, bzw. deine Aussagen kann ich gut nachverfolgen. Aber für mich steht fest, dass die Beschneidung weit aus mehr als eine religiöse Sache ist und in den privaten Erziehungsbereich gehört. Und wenn ich nun mein Kind einen medizinischen Vorteil verschaffen möchte? Wieso sollte dies nicht gehen?
    Und grundsätzlich kann es nicht angehen, dass wir nun die Beschneidung thematisieren und alle andere Sachen nicht ansprechen. Was ist mit Piercings? Oder Ohren durchstechen bei Kleinkindern? Ich glaube eine fehlende Vorhaut wirkt optisch nicht so fehlend, wie ein Loch im Gesicht. Ausserdem, so einst eine Freundin, „sind da nicht so viele Fussel dran..“ (ich weiß, krasse Aussage – ihr hättet mal mein Gesicht sehen sollen). Also, entweder alles und alle oder nichts und keiner!

  8. Chandrika sagt:

    @locky
    Die Religionsmündigkeit beginnt in Deutschland mit dem 14 Lebensjahr.
    Ab diesen Zeitpunkt wäre auch eine Willensäußerung zur Beschneidung zulässig. Piercings sind übrigens bei Minderjährigen, ebensowenig wie Tätowierungen zulässig. Wer das bei Kindern durchführt, macht sich strafbar, auch wenn der Jugendliche zugestimmt hat.

  9. tomcat sagt:

    Hi,
    in der Tat eine schwierige Frage. Die Frage ist ja, haben Eltern das Recht, ihr Kind, aus was für Gründen auch immer, zu verstümmeln und lebenslang zu kennzeichnen? Denn die wenigsten Beschneidungen sind medizinisch indiziert.

    „Was ist mit Piercings? Oder Ohren durchstechen bei Kleinkindern?“
    Richtig, gehört auch verboten.

    cidoi

  10. gut sagt:

    Lynx, du bist der/die Beste. Ich liebe deinen neuen Spruch:
    Beschneidung der männlichen Vorhaut: ja – Beschneidung der Religionsausübung: nein!