Vor 30 Jahren

Türkin verbrennt sich auf St. Pauli

Vor 30 Jahren hat sich im Hamburger Stadtteil St. Pauli eine Türkin selbst mit Benzin übergossen und verbrannt. Semra Ertan wollte aus Verzweiflung ein Zeichen setzen – gegen die wachsende Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik.

Das Zeichen, das Semra Ertan mit ihrer Tat setzen wollte, ist weitestgehend vergessen. Günter Wallraff widmete sein bekanntes Buch “Ganz unten” aus dem Jahr 1985 unter anderem der Türkin, ein knapper Wikipedia-Artikel ist heute online zu der damals 25-Jährigen zu finden, ansonsten ist ihr Name unbekannt.

Nach Angaben von Presseberichten aus den 1980er Jahren hatte die türkische Frau am 26. Mai 1982 in Hamburg an einer Tankstelle einen Kanister gefüllt, sich anschließend mit fünf Litern Benzin übergossen und selbst angezündet – aus Verzweiflung über den Ausländerhass in Deutschland. Eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife an der Ecke Simon-von-Utrecht-/Detlef-Bremer-Straße habe sie entdeckt und versucht, die Flammen mit Decken zu löschen. Vergebens: Ertan starb im Krankenhaus, große Teile ihrer Haut waren verbrannt.

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Wikipedia: Die subjektive Einschätzung der jungen Frau einer drastisch zunehmenden Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar vor ihrem Tod wird von statistischen Daten und durch soziologische Studien unterstützt. So waren es im November 1978 noch 39 % der Deutschen, die die Forderung, die Ausländer sollten in ihre Heimatländer zurückkehren, unterstützten, während zwei Monate vor Ertans Tod bereits 68 % der Bundesdeutschen dieser Meinung waren. Auch rechtsmotivierte Gewalttaten gegenüber Ausländern waren 1982 kein Einzelerscheinung mehr. Zudem gab es Bürger- initiativen und politische Gruppierungen mit Namen wie „Ausländerstopp“ oder „Kieler Liste für Ausländerbegren- zung„, die nachweislich beachtlichen Zulauf erreichen konnten. Des Weiteren wurden Ausländer mehr und mehr aus dem gesellschaftlichen Leben der BRD ausgeschlossen, der Kontakt mit ihnen seitens der Deutschen möglichst gemieden. Gründe hierfür waren in der wachsenden Arbeitslosigkeit und Wohnungsknappheit in der BRD zu sehen, die dazu führte, dass der Arbeitsmigrant von der deutschstämmigen Gesellschaft zunehmend als Konkurrent um Arbeitsplatz und Wohnraum gesehen wurde. Der kaum stattfindende Kontakt zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Gruppen verstärkte zudem kaum auf eigenen Erfahrungen beruhende negative Vorurteile gegenüber den ehemaligen „Gastarbeitern“.

Anruf beim NDR
Die taz berichtete damals, die Frau sei durch rassistische Erniedrigungen “Nervenkrank” geworden. Ertan habe Gedichte geschrieben, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. “Mein Name ist Ausländer” lautete eine Überschrift.

Ertan, die laut Medienberichten als 15-Jährige nach Deutschland gekommen war, hatte bereits vor dem 26. Mai 1982 Selbstmordversuche unternommen und wollte so die Öffentlichkeit auf ihre Lage aufmerksam machen. Beim NDR-Hörfunk habe sie wenige Tage vor ihrer Selbsttötung angerufen und zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland gesagt: “Wenigstens sollten wir hier nicht wie Hunde behandelt werden von den Deutschen.” Sie möchte von Behörden und Mitbürgern wie ein Mensch behandelt werden, so Ertan weiter. Der Türkei warf sie vor, die Arbeitskräfte wie “Stiefkinder verkauft” zu haben.

Großes Aufsehen in der Türkei
In der Türkei sorgte der Selbstmord für großes mediales Aufsehen, Kommentatoren sprachen von einer Erniedrigung von 1,5 Millionen türkischen Arbeitern in der Bundesrepublik. Der damalige Botschafter in Deutschland sagte der SZ zufolge, die Verzweiflungstat solle alle zum Nachdenken bringen. Dieser Appell verhallte vergebens.

Dank gebührt Stefan aus Berlin für den Hinweis auf die Geschichte von Semra Ertan.