Brückenbauer

Viel zu verlieren – Rechtsextremismus und Islamismus vereint im Antisemitismus

Toulouse, Frühling 2012. Eine Terrorserie erschüttert den Süden Frankreichs. Ein rechtsextremer, ausländerfeindlicher Hintergrund der Taten hätte nicht überrascht. Der Täter war aber ein französischer Islamist. Auch das überraschte nicht.

Toulouse, Frühling 2012. Eine Terrorserie erschüttert den Süden Frankreichs. Sie ist kurz und heftig. Der Attentäter wird schon nach wenigen Tagen gestellt, leider zu spät, denn sieben Franzosen sind von ihm zu diesem Zeitpunkt schon regelrecht exekutiert worden. Das Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Opfer. Die Sorge gilt der Radikalisierung der europäischen Gesellschaft.

Auf Grund des Profils der Ermordeten – sie waren Franzosen mit nordafrikanischem Hintergrund oder waren jüdischen Glaubens – lag die Vermutung nahe, es handele sich beim Attentäter um einen französischen Rechtsradikalen. Zu präsent sind uns die bestialischen Taten aus Ütoya und die Mordserie des NSU. Zugegebenermaßen, ein rechtsextremer, ausländerfeindlicher Hintergrund der Taten hätte nicht überrascht. Das ist schlimm und sagt etwas über das Stimmungsbild der Gesellschaft, in der wir leben, aus. Der Täter war aber kein französischer Nationalist, er war französischer Islamist. Dieses Täterprofil überrascht die Gedankenspiele ebenfalls nicht. Auch das ist schlimm und aussagekräftig.

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Wie kommt es zur Verwechslung von Rechtsradikalismus und Islamismus, zweier grundverschiedener, wenn auch ähnlich menschenverachtender Ideologien? Das Verstörende ist, dass beide Formen des Extremismus die gleichen Opfer ins Visier nehmen. Opfer, denen sich die Täter auf chauvinistische Weise überlegen fühlen: Juden.

Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft weiter verbreitet, als viele es wahr haben wollen. Natürlich kennt niemand einen Juden, den er hasst. Wie sollte man auch? Bewusste Berührungspunkte sind rar. Die einzigen Kenntnisse basieren auf tradiertem Halbwissen und jeder Menge Stereotypen. Dies ist der Quell von Ressentiments, die den Nährboden für antisemitische Gedanken und Handlungen bilden. Mitten in der Gesellschaft, unter Muslimen wie unter Nicht-Muslimen, nicht nur an den extremistischen Rändern, wie eine Studie 2011 herausfand.

Sicherlich nehmen die wenigsten Menschen eine Waffe zur Hand. Zum Glück. Aber die Täter, sowohl Rechtsextreme als auch Islamisten, bewegen sich in einem Umfeld, welches Antisemitismus ignoriert oder toleriert, wenn nicht gar gutheißt.

Der Attentäter ist erschossen, die Gefahr, die von ihm ausging, ist gebannt. Aber dürfen sich unsere jüdischen Nachbarn nun weniger bedroht fühlen? Es ist wieder leise geworden, nach den Schüssen von Toulouse. Gespenstisch leise…

Auf die demokratische Grundordnung in Deutschland und unseren europäischen Nachbarländern sind wir alle stolz. Aber Freiheits- und Persönlichkeitsrechte sind keine Selbstläufer. Nicht erst seit Toulouse, im Frühjahr 2012, haben wir viel zu verlieren. Überlassen wir nicht den Antisemiten, egal aus welchem Lager sie stammen, die Meinungs- und Handlungshoheit!