SVR Jahresgutachten 2012

Integrationspolitischer Wildwuchs

SVR kritisiert Neben- und Gegeneinander von Bund, Ländern und Kommunen; klare Absage an das geplante Betreuungsgeld. Außerdem: Politik sollte nicht länger davon ausgehen, die Bürger vor ihren eigenen Ängsten beschützen zu müssen.

Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen und Verwaltungsaufgaben auf unterschiedliche Akteure in Bund, Ländern und Kommunen führt zu zahlreichen parallelen, sich überschneidenden und sogar konkurrierenden Zuständigkeiten. Das erschwert laut Jahresgutachten 2012 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) eine effektive Bündelung integrationspolitischer Maßnahmen. Zudem verfolgen die Akteure – je nach politischer Färbung – oft sehr unterschiedliche integrationspolitische Agenden.

„An den Schnittstellen von Föderalismus und Integrationspolitik fehlt ein Masterplan“, kritisierte der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Klaus J. Bade. „Das schlecht koordinierte Mit-, Neben- und sogar Gegeneinander der verschiedenen politischen Akteure hat zu einem Wildwuchs integrationspolitischer Einzelmaßnahmen geführt, bei denen das Rad oft mühevoll immer wieder aufs Neue erfunden wurde.“

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Kein Kindergraten für Erwachsene
Auch auf Bundesebene selbst sollte eine bessere Abstimmung zwischen den Ressorts erfolgen. So gibt es neben den Teilzuständigkeiten verschiedener Bundesressorts und dem zentral zuständigen Bundesinnenministerium noch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das wiederum dem Bundesinnenministerium zugeordnet ist. Bade: „Es wäre gut, spätestens nach der nächsten Bundestageswahl die vom ‚sacro egoismo‘ der Ressortinteressen immer wieder abgewürgte Diskussion um einen Neuzuschnitt der Zuständigkeiten zu führen, die in den letzten Koalitionsverhandlungen nur mit der Keule ‚Integrationsministerium‘ geführt worden ist.“

Das Integrationsbarometer zeige, dass die Bevölkerung eine aktive Integrationspolitik mit klaren und verständlichen Zielen nicht nur befürworte, sondern auch fordere. Die Politik solle diese günstige Ausgangslage für weitere, kraftvolle Reformschritte im Bereich Integration und Migration nutzen. „Sie sollte“, so Bade „nicht länger davon ausgehen, die Bürger in einer Art Kindergarten für Erwachsene vor ihren eigenen Ängsten beschützen zu müssen.“

Integrationsbarometer stabil
Denn das SVR-Integrationsbarometer fällt – trotz der 2010/2011 aufgeregt geführten Integrationsdebatte – überraschend positiv aus. Der Vergleich mit den 2009 erstmals erhobenen Daten zeigt: Das pragmatisch-positive Integrationsklima hat sich 2011 verfestigt. „Das Integrationsbarometer zeigt, dass sich die Bevölkerung von aufgeregten oder gar hysterisch geführten Integrationsdiskussionen nicht lange beirren lässt“, sagte Klaus J. Bade. „Auf beiden Seiten der Einwanderungsgesellschaft dominiert kritischer Integrationspragmatismus und verhaltener Integrationsoptimismus.“

Der SVR-Vorsitzende weiter: „Es war zu befürchten, dass die oft polemisch geführte Integrationsdebatte im Herbst 2010 das Klima in der Einwanderungsgesellschaft nachhaltig beschädigen könnte. Das Integrationsbarometer belegt, dass sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet haben.“

Integrationsdebatte zu negativ geführt
Einig sind sich alle Befragten allerding über die negative Schlagseite der öffentlichen Diskussion über Integration in Deutschland. Über 50 Prozent aller Befragten beklagen, die Diskussion über Integration würde „eher“ oder „viel“ zu negativ geführt. Dies gilt auch für das Themenfeld Islam. „Die mediale und publizistische Überzeichnung und Verzerrung in der Integrationsdebatte wird deutlich erkannt“, so die Einschätzung des SVR.

Die Wirkung der Integrationspolitik wird eher positiv eingeschätzt: 47,6 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund in Westdeutschland finden, dass die Integrationspolitik der letzten fünf Jahre die Integration gefördert hat. Nur 17,6 Prozent erkennen Verschlechterungen. In der Mehrheitsbevölkerung im Westen sieht sogar über die Hälfte der Befragten (53,4 %) einen positiven Beitrag der Integrationspolitik. Einen negativen Einfluss schreibt ihr nur etwa jeder Zehnte (10,4 %) zu. Und die Erwartungen für die Zukunft sind positiver als bei der Befragung 2009: Mehr als die Hälfte der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund im Westen (54,5 % bzw. 56,9 %) erwarten von der Politik Verbesserungen bei der Integration. Verschlechterungen befürchtet nur eine kleine Minderheit (15,9 % bzw. 12,1 %).

SVR fordert Abschaffung des Kooperationsverbots
Besser als das mediale Bild ist die Integrationspolitik in den Kommunen. Dort findet eine pragmatische Integrationspolitik statt. Das Jahresgutachten zeigt aber auch: Die Rahmenbedingungen für Integration sind vor Ort sehr unterschiedlich. In Bayern z.B. wohnen die Menschen vorwiegend in kleinen Gemeinden mit hohem Ausländeranteil und niedriger Arbeitslosenquote. In Nordrhein-Westfalen hingegen dominieren große Gemeinden mit hoher Arbeitslosenquote und hohem Ausländeranteil.

Download: Das SVR-Jahresgutachten 2012 kann hier heruntergeladen werden.

Unterschiedliche Ausgangsbedingungen gibt es auch in Sachen Bildung. In manchen Ländern stehen nicht genügend Mittel für Bildung zur Verfügung. Das SVR empfiehlt: „Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, das 2006 mit der Föderalismusreform beschlossen wurde, ist kontraproduktiv und sollte abgeschafft werden. Schlecht ausgestattete Schulen – womöglich in sozialen Brennpunkten – haben verheerende Folgen weit über ihren Einzugsbereich hinaus und damit für die Gesellschaft insgesamt“, sagte Bade. Um eine gute Ausstattung der Bildungseinrichtungen flächendeckend zu gewährleisten, müssten die Länder die unterschiedliche Finanzkraft der Kommunen stärker als bisher ausgleichen.

Betreuungsgeld ein Schuss in den Ofen
Gerade für Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien sei die Förderung in Kitas besonders wichtig. Auf die Einführung des von der Bundesregierung geplanten Betreuungsgelds, das der SVR-Vorsitzende von Beginn an scharf kritisiert hatte, sollte verzichtet werden. Es werde absehbar dazu führen, „dass der Besuch einer Kita ausgerechnet bei Kindern zurückgeht, deren Eltern die sozialen Startnachteile ihrer Kinder bei Bildung und Deutschkenntnissen nicht aus eigener Kraft bis Schulbeginn ausgleichen können“, sagte Bade. Integrationspolitisch wäre das „Betreuungsgeld ein Schuss in den Ofen“.

Die integrationspolitischen Herausforderungen im Bildungsbereich könnten nur durch gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen bewältigt werden. Ein Negativ-Beispiel sei das gut gemeinte ‚Bildungspaket‘ für Kinder von Hartz IV-Empfängern. Die neu eingeführten Leistungen des Bundes führten zum Teil zur Abschaffung kommunaler Leistungen wie Schulspeisungen. Für die Kinder ist damit nichts gewonnen. „In Sachen Bildung muss Schluss sein mit dem sinnlosen Prinzip linke Tasche, rechte Tasche“, so Bade. (bk)