Belgischer Blick auf deutsche Zustände

Kann man die Merkel-CDU noch integrieren?

Nun, da Europa immer mehr zu einer deutschen Kolonie wird, ist es interessant, zu sehen, wie dieses Land mit seinem Anteil an Islam umgeht – bevormundend, aggressiv und paranoid.

Ferien. Ich stopfte ein Arabisch-Lehrbuch in meine Reisetasche – Sudokus sind mir nämlich zu schwierig – sowie einen kleinen Stapel essayistischer Bücher, obenauf „The New Religious Intolerance“ von Martha Nussbaum 1 und den Sammelband „Grenzen aan tolerantie?“ , übersetzt: „(Gibt es) Grenzen für Toleranz?“

Ich hatte schon mal in dem Sammelband geschnüffelt: als Nachwort sah ich das islamophobe Gemecker von Wim van Rooy 2, als Vorwort las ich die weisen Worte von Ludo Abicht 3, der die Werte der Aufklärung als Norm setzt und die amerikanisch-liberale Auffassung von Meinungsfreiheit vertritt: es muss erlaubt sein, alles zu sagen, ausgenommen Aufrufe zur Gewalt.

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Zwangsläufig fiel mein Blick auf deutsche Zeitungen. Die beschäftigten sich ausführlich mit der Berliner Islamkonferenz und dem Salafismus. Die Frage meines Buches – wo denn die Grenzen der Toleranz seien, erschien mir auf einmal sehr aktuell. Während der Seewind an den Fensterrahmen entlang strich und der Regen gegen die Scheiben klatschte, versuchte ich zu verstehen, was in Deutschland denn nun schon wieder los war.

Der letzte Kreuzritter
Unmittelbar vor der Islamkonferenz, am Donnerstag den 19. April, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder einer Lokalzeitung: „Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland.“ Zugleich betonte er jedoch, Muslime gehörten aber sehr wohl zu Deutschland. „Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte, ganz klar.“

Der vorige Bundespräsident, Christian Wulff, hatte bekanntermaßen den Standpunkt eingenommen, dass der Islam zu Deutschland gehört, eine Stellungnahme, die auf Versöhnung und Integration hinauslief. Dies war dann wiederum eine Reaktion auf die, die Integration und Multikulturalismus für tot erklärt hatten.

Volker Kauders aggressiver Standpunkt rief Hohn und Spott hervor: der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, nannte Kauder den „letzten Kreuzritter der Union“ und die Frankfurter Rundschau fand, er könne kein Deutsch, und das obwohl er in den vergangenen Jahren stets gefordert hatte, dass „Ausländer“ ein gutes Deutsch lernen sollten. Und wie kann man so sicher sagen, dass Muslime einen Teil von Deutschland ausmachen, doch der Islam nicht?

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer distanzierte sich von den Worten Kauders, ihres Parteifreundes.

Minister kapert Islamkonferenz
Innenminister Friedrich (CSU), ja auch für Sicherheit zuständig, kann man in den gleichen Sack stecken wie Kauder. Seine Amtszeit startete er mit der Aussage, der Islam gehöre nicht zur deutschen Tradition. Auf der Islamkonferenz wollte er Kauders Worte nicht kommentieren. Allerdings gelang es ihm, die Agenda der Konferenz umzubiegen. „Islamkonferenz distanziert sich von Salafisten“, titelte die Website der Bundesregierung.

Der Mainstream der Muslime hat natürlich gute Gründe, von den Salafisten nicht begeistert zu sein. Erstens geben die vor, den einzig wahren Islam zu vertreten und sehen andere Strömungen als Irrwege, zweitens haben sie ein Image als „Radikale“, abweisend gegenüber der Demokratie und mit Affinität zu Gewalt. Und drittens sind sie mit ihrer Gratiskoran-Aktion eine ernste Konkurrenz auf dem Markt der Religionen. Trotz ihrer bescheidenen Zahl, waren sie in den letzten Wochen Mittelpunkt eines sicher enormen Medieninteresses.

Doch die Art und Weise, wie Minister Friedrich sowohl Agenda als auch Schwerpunkt umgebogen hat, sieht sehr nach Kapern aus. „Salafismus“ stand nicht auf der Agenda und die TeilnehmerInnen waren auch nicht in allen Punkten mit den Ansichten von Friedrich einverstanden. Der formulierte am Ende Schlussfolgerungen – alleine, und nicht, wie üblich, gemeinsam mit den Wortführern der Muslime.

Männer an der Macht
Die Islamkonferenz hat keinen guten Ruf mehr. Sie war einst gut gestartet, aber nun wird sie als lästige Pflichtübung beschrieben, in einem schlechten Zustand, eigentlich schon tot. Nur noch Folklore, sagt Ex-Mitglied Mely Kiyak in der Frankfurter Rundschau vom 20.April. Sie findet, dass die Konferenz sich nicht mehr lohnt und nur noch Stereotype konserviert. Man nehme nur das Thema Geschlechterrollen im muslimischen Milieu, ein Hauptthema der jüngsten Episode: alle auf der Konferenz anwesenden Vertreter der verschiedenen islamischen Gruppen sind Männer!

Minister Friedrich, sagt Kiyak, gehört zu einer Partei, die die Frauen mit einer Betreuungsprämie an den Herd binden will, während gleichzeitig erwartet wird, dass die Musliminnen sich emanzipieren. Und immer wieder muss über das Stereotyp des prügelnden muslimischen Mannes diskutiert werden. Und zugleich wird das ganze Thema „Rassismus“ weiterhin nicht behandelt.

Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika verließ die Konferenz schon vor Beginn. Sie hatte schon eher – nach dessen Aussage über den Islam, der nicht zu zu Deutschland gehört – Auseinandersetzungen mit Minister Friedrich gehabt. Sie hatte ihn ersucht, das zurückzunehmen, doch das hatte der Minister verweigert.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war jetzt ein Vorfall über einen aktuellen Bericht zu Haltungen und Einstellungen von Muslimen in Deutschland. Eine differenzierte Studie, die durch Bild sensationell vereinfacht wurde: „Studie belegt: Jeder fünfte Muslim in Deutschland will sich nicht integrieren.

Im ZDF-Journal wurde Minister Friedrich gefragt, wie Bild noch vor der offiziellen Verbreitung an den Bericht gekommen war. Antwort des Ministers: Ja, das weiß ich nicht, müssen Sie die „Bild„-Zeitung fragen, woher sie sie hat. Von mir nicht. (…)“ Im Parlament erklärte der Staatsekretär, es habe seitens des Innenministeriums in keinem Fall eine Aushändigung der Studie an die Medien gegeben.

Doch schließlich stellte sich heraus, dass die Presseabteilung des Ministeriums Bild schon vor Veröffentlichung ein Exemplar der Studie besorgt hatte, angeblich zur Vorbereitung eines Interviews.

Sevim Dagdelen (Die LINKE), die via Anfrage den wahren Ablauf ans Licht brachte, nannte Friedrich „Lügenminister“.

Bild versorgt die antiislamischen „Feindbildhauer“ (Kay Sokolowsky) auch, indem es auf online zu sehende Filmchen über Lynchmobs und Steinigungen zumindest hinweist. Die „Schock-Videos“ sprechen unmittelbar auch den sadistischen Voyeurismus des Publikums an.

Minister schlecht integriert
Armina Omerika wendet sich gegen die inkonsequente Haltung der Regierung: „Einerseits werden fundamentalistische Salafisten zu Recht kritisiert. Andererseits nennt der Innenminister Saudi-Arabien, das den Salafismus weltweit unterstützt, einen strategischen Sicherheitspartner Deutschlands und rechtfertigt damit die Lieferung von Panzern an einen Staat, der für Menschenrechtsverletzungen bekannt ist.“

Die taz berichtete über Omerikas Schritt unter der Schlagzeile „Friedrich schlecht integriert“, und traf damit den Nagel auf den Kopf: Ist der Minister (und ist es Merkels CDU) eigentlich integriert in das multikulturelle Deutschland mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern mit Muslim-Hintergrund. Können er und seine Partei denn überhaupt integriert werden?

Muslimparanoia
Andere Kritikpunkte an der Islamkonferenz sind, dass der Staat einseitig bestimmt, wer dort mitmachen darf, worüber gesprochen wird und wer Fördergelder bekommt. Wie der Staat hier seine Nase in die Religion steckt, steht der Trennung von Staat und Kirche diametral entgegen.

Das Schlimmste dabei ist, dass der Staat vom Thema „Sicherheit“ vollkommen besessen ist, allerdings bedeutet das nicht: Sicherheit von Muslimen gegen Angriffe, inklusive Mord, sondern: der Islam als Sicherheitsrisiko, sagen wir es offen, der Islam als Brutstätte für Terrorismus. „Chronische Muslimparanoia“ nennt das der Kommentator Yasin Baş.

Er erklärt das wie folgt: „…weist viel darauf hin, dass aus der Islamkonferenz eine Art Sicherheitskonferenz geworden ist, was sich auch schon im Juni 2011 mit dem Ausrufen eines „Sicherheitsgipfels“ abzeichnete. Da wurde beschlossen, sogenannte ‚Sicherheitspartnerschaften‘ mit muslimischen Einrichtungen zu gründen, die sich auch auf der Ebene der Bundesländer und Kommunen ausdehnen sollten.“

Diese Zusammenarbeit von Sicherheitsorganen mit allen möglichen Einrichtungen, die sich mit Muslimen beschäftigen, führt zu „einer totalen Kontrolle der öffentlichen und privaten Sphäre“ findet Bas.

Die Hetze der CDU- und CSU-Politiker gegen die Salafisten hat, nachdem diese bereits seit einem halben Jahr ohne Probleme ihre Korane verteilen, vermutlich wahltaktische Gründe. In Nordrhein-Wesfalen, wo die Salafisten sehr aktiv sind, stehen Wahlen unmittelbar bevor. Das Anfachen der Muslimparanoia, indem man aus den Salafisten ein Riesenproblem macht, ist eine Möglichkeit, bei der nichtmuslimischen Bevölkerung rechte Reflexe auszulösen. Gleichzeitig ist der Angriff auf die Salafisten auch ein Mittel, die ideologische Kontrolle über alle Muslime zu steigern.

Diskussion über Gewalt
Und die Salafisten selber? Wenn sie Gesetze übertreten, ist die Sache einfach: dagegen kann und muss man mit Rechtsmitteln vorgehen. Gegen den Verantwortlichen der Koranaktion, Ibrahim Abou-Nagie wurde ein Verfahren wegen „Hassreden“ eröffnet, jedoch mittlerweile wieder eingestellt. Ein einschüchterndes Video aus dem salafistischen Milieu, in dem Journalisten angegriffen werden, die Kritik an der Koranaktion äußerten, ist jetzt Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung.

Das Video ist aus dem Internet verschwunden. Es ist allerdings noch eine Kopie (mit unkenntlich gemachten Personen und Personendaten) zu finden. Darin werden die Schimpfworte „Affen“ und „Schweine“ benutzt. Einige Journalisten, die Personendaten von Salafisten in die Medien gebracht haben, werden genauso behandelt. Auch von anderen, die so zu Werke gegangen seien, werde man die Daten öffentlich machen, so die Stimme auf dem Video. „Das ist keine Drohung, das ist eine freundschaftliche Warnung an Euch.“

Inzwischen wurde auf das Video geantwortet. Die Antwort scheint aus der antimuslimischen Ecke zu kommen. (Es ist auch schon eingeworfen worden, dass diese Antwort möglicherweise ein von Muslimen gemachtes fake ist.) Dieses soll wegen seiner einschüchternden Machart aggressiver sein; soweit aus den Medien zu entnehmen ist, enthält der Film ein blutbeschmiertes Messer und es wird von einem Besuch bei einem namentlich genannten Salafisten gesprochen, dessen Adresse auch mitgeteilt wird.

Sind die Salafisten gewalttätig? Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, sagte vergangenes Jahr: „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber beinahe alle Terroristen, die wir kennen, haben Kontakt mit, oder sind Salafisten.“ Eine Äußerung, die Minister Friedrich auf der Islamkonferenz wiederholte. Die meisten Salafisten tun jedoch nichts Ungesetzliches, doch sie haben „falsche“ Ideen und „falsche“ Kontakte.

Dissidente Bürger werden schikaniert
Ausgehend von dieser Feststellung führt die Staatsmacht (lies: die Geheimdienste) einen Schikanefeldzug gegen die Salafisten. Die klagen darüber, dass sie – wegen Eingreifens der Staatsmacht – nicht mehr in Moscheen predigen dürfen, dass man ihnen keine Säle mehr vermietet, dass ihre Demonstrationen nicht mehr genehmigt werden.

Hier sind es die Geheimdienste selbst, die die Demokratie aushöhlen, denn solche Schikanen sind in einer Demokratie nicht zu akzeptieren. Gegen Gesetzesübertretungen kann man auftreten, aber aufgrund von vagen Assoziationen und Misstrauen Menschen an ihren Aktivitäten zu hindern, ist total unpassend.

Gegenüber der Aussage von Minister Friedrich, die Salafisten verträten keine Religion, sondern eine Ideologie, stellt ein Journalist der Frankfurter Rundschau fest: „Für Salafisten müssen in einem Rechtsstaat dieselben Rechte gelten wie für andere religiöse Gruppierungen. Oder dieselben Einschränkungen.“

Da bin ich dann wieder bei der Meinungs- und Religionsfreiheit. In einer Demokratie muss es erlaubt sein, selbst die Demokratie zu kritisieren und auch selber andere Staatsmodelle zu befürworten. Ausschließlich Aufrufe zur Gewalt müssen entschlossen gestoppt werden. Dass Menschen vom Kalifat träumen und die parlamentarische Demokratie ablehnen, fügt der Demokratie keinen Schaden zu. Der Guck-Horch- und Schikanestaat, der Deutschland im Begriff ist, zu werden, tut das sehr wohl.

Nachtrag
Die Koranverteilung wird beworben mittels einer Internet-Plattform: „Die wahre Religion“. So heist auch ein Buch des Kirchenvaters Augustinus.

  1. Martha C. Nussbaum, The New Religious Intolerance, Overcoming the Politics of Fear in an Anxious Age, Cambridge Mass. en Londen, 2012 Frank Fleerackers en Hans Verboven (red.), Grenzen aan tolerantie? Anatomie van de open samenleving, Kalmthout, 2011
  2. A.d.Ü.: flämischer, „islamkritischer“ Publizist
  3. A.d.Ü. flämischer Philosoph, Dichter, Publizist und Aktivist