Partiziano

Nahverkehr in Fernbeziehungen zu Stoßzeiten

Wenn Wanderung zur Daseinsform wird, bleibt man als stationärer Migrant besser auf den Beinen – und auf der Hut vor den Farben der Leere, die einem bisweilen als Freifahrtschein ins Blaue erscheinen.

Migration hält die Welt in Bewegung und hebt sie nicht aus den Angeln. Vielmehr ermöglicht sie, dass Dinge, Daten und Dozenten von A(rsch der Welt) bis B und beyond border gehen können. Ganz ohne Teleportation und mit einer gehörigen Portion an Flexibilität. Dies hat der Oldenburger Sozialwissenschaftler Professors Paul Mecheril jüngst in einem Vortrag im Rahmen einer nord-ostdeutschen Caritas-Migrationstagung treffend beschrieben. Migration sei modern, vermehre und verändere sich. Ungleich der Gastarbeiter, die in den frühen 60er und 70er Jahren nach Deutschland kamen, sich dann erst zwischen und dann auf beide Stühle setzen und schließlich ihre Heimatdomizile aus der Ferne erbauten, ist die moderne Migration eine Pendelbewegung. Keine Hebelwirkung, denn wie Archimedes ja bereits sagte: „Gebt mir einen festen Punkt im All, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Und Migration hält sie (die Welt) und uns am Laufen. Wer sie aus den Angeln hebt, ist derjenige, der versucht, sie anzuhalten.

Grenzgängertum als Existenzform
Professor Mecheril beschreibt die moderne Migration als permanentes Grenzgängertum und damit als eigenständige Existenzform. Die Gründe für dieses flatterhafte Zugvögelverhalten sind darin zu sehen, dass Fatalismus ausgedient hat und an seiner Stelle ein Fuß vor den anderen gesetzt wird, um Armut und sozialer Ungerechtigkeit zu entkommen. Der Sonne entgegen? Nicht unbedingt, denn wenn ein besseres Leben in Lappland lockt, werden die Grenzgänger von heute nicht davor zurückschrecken, dort ihr Glück zu suchen. Und sobald sich ewiges Eis darüber legt, geht die Reise weiter. Ins Ungewisse, ja, aber bestimmt mit der Überzeugung, das Recht auf ein glückliches Leben keinem Aufnahmestopp oder anderen Zuwanderungsreglementierungen zu überlassen. Vielleicht ist es das, was die Migration von heute ausmacht. Anders als die Generation Gastarbeiter, die nach Deutschland kam, um eigentlich bald wieder zu gehen, dann doch blieb und als einzige Wanderbewegung jene ausgedehnten Sommerurlaube in die Heimat kannte, ist die moderne Migration nicht von Anwerbeabkommen geprägt, sondern von Eigeninitiative und leider auch vom Mut der Verzweiflung.

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Der fröhliche Wanderer
Mein Vater war ein Wandersmann,
Und mir steckt’s auch im Blut;
Drum wandr‘ ich flott, so lang ich kann,
Und schwenke meinen Hut.

(Friedrich Sigismund, 1788-1857)

Wir alle kennen dieses Lied, doch mit dem Ansatz von Mecheril verbunden, dass Wanderung zur Daseinsform wird, bleibt einem das fröhliche Pfeifen im Halse stecken. Denn die Kehrseite moderner Migration ist, dass sesshaft zu werden schwer vorstellbar ist und Wurzeln zu schlagen schier undenkbar. Und plötzlich, gar unverhofft, hallt der Brunftruf der Bundesregierung weit bis über die Flüchtlingsboote- und camps hinaus (sie werden ja schließlich nicht angesprochen): Blue Card zu vergeben! Absenkung der Gehalts- und Hemmschwellen! Hochqualifizierte für Niedriglöhne! Rudis Resterampe ist eröffnet! Bitte Mangelberufe ausfüllen! Mängelberichte gibt es später! Suchen Drittstaatenangehörige für zweitklassige Jobs! Sollte man der Blauen Karte die Rote zeigen? Erscheint einem das irgendwie nicht grün? Die Farben der Leere sollen die Renten- und Sozialkassen füllen. Bitte ohne Kröten-Wanderung, wenn’s geht und wenn schon, dann nur herein. Migration geht eben Ihren Weg – bisweilen eben auch in Etappen.