Günter Grass' Gedicht

Was gesagt werden muss!

Was mehr Entrüstung in Deutschland auslöst als Fluglärm in Frankfurt oder die Beleidigung des Islam, ist allgemein gesehen jedwede Kritik an Israel. Dies hat nun auch der Nobelpreisträger Günter Grass zu spüren bekommen.

Schriftsteller sind schon eine Klasse für sich. Sie reihen für gewöhnlich in zusammengegeizten Stunden Schattenstrich für Schattenstrich aneinander und formen ein gutes oder minder gutes Werk. Die meisten von ihnen bleiben allenfalls wenige Jahre bekannt und liegen alsbald ganz unten in den Bücherregalen.

Charakter eines Schriftstellers
Doch die ganz wenigen unter ihnen, deren Anliegen es ist, die gegenwärtigen Gesellschaftszustände zu kritisieren, werden zum Teil mit Ruhm und Ehre bedacht und auch nach ihrem Ableben womöglich von vielen Generationen weiterhin gelesen. Günter Grass gehört zu den Letzteren: Der Nobelpreisträger hat in seiner Karriere selten ein Blatt vor den Mund genommen, wie es sich auch für einen Schriftsteller und Dichter gehört, der nach Wahrheit strebt.

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Wenn er immer das gesagt hätte, was die Gesellschaft dachte, oder die Schreiberlinge der großen überregionalen Zeitungen, so wäre er wohl kaum ein ausgezeichneter Schriftsteller geworden. Er muss daher auf eine unangenehme Art angenehm bleiben. Dass er auch in einigen Aspekten falsch liegen kann, gehört hier zum Berufsrisiko.

Vor diesem Hintergrund ist sein neuestes Gedicht „Was gesagt werden muss“ — an diesem Mittwoch erschienen — zu bewerten. Darin bezeichnet er Israel als Gefahr für den Weltfrieden und das iranische Volk mehr oder minder als Opfer der israelischen Aggression. Dafür wurde er von allen namhaften Politikern der Bundesrepublik – ganz gleich welcher politischen Richtung – gerügt.

„Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird.“

Atomkonflikt
Das Gedicht ist natürlich eine Verklärung der Tatsachen. Im Hinblick auf den Iran kann man mutmaßlich davon ausgehen, dass das Land nach Atombomben strebt und nicht allein als Opfer zu verstehen ist. Allerdings ist aus machtpolitischen Gründen das Streben nach einer Atomwaffe durch den Iran sogar verständlich, da auch Israel völkerrechtswidrig Atombomben besitzt (im Übrigen käme hier niemand auf den Gedanken, Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde in das Land zu schicken, um dies zu prüfen).

Denn jedes Land strebt nach Existenzsicherheit und fühlt sich bald bedroht durch einen unmittelbaren Nachbarn, der Atomwaffen besitzt. Auch der Iran, der starken Rhetorik zum Trotz, ist ein Staat, der sich durch Israel bedroht fühlt und auf eine Machtbalance hinarbeitet, die schlimme Folgen haben kann, wenn Israel angreift.

Nur ein Weltverbesserer
Denn ein Krieg würde eine massive Destabilisierung des ohnehin angeschlagenen Nahen und Mittleren Osten bedeuten. Dennoch kündigte Israels Premier Benjamin Netanjahu bereits einen baldigen Militärschlag für den Fall an, dass Verhandlungen mit dem Iran zu keinen Ergebnissen führen.

Und genau diese Möglichkeit eines Krieges will Günter Grass mit seinem Gedicht verhindern. Er will mahnen, dichterisch und doch mit der Härte eines jeden Wortes. Antisemit ist er darum noch lange nicht, genauso wenig wie er ein bekennender Freund des Iran oder gar des Islam ist. Er ist lediglich ein Weltverbesserer und -kritiker, der seine Sprache nutzt zum Trotz aller vermeintlichen Konventionen.