Migrantenquote

Soziale und kulturelle Vielfalt müssen durch Regelungen beschleunigt werden

Seit 60 Jahren leben Einwanderer in Deutschland, die als „Gastarbeiter“ kamen. Die meisten sind geblieben und sind immer noch „Exoten“ in der Politik und wichtigen gesellschaftlichen Institutionen. Derya Özkan fordert die Quote für Migranten.

In meiner Fürsprache für die Einführung der Migrantenquote möchte ich mich ausschließlich auf die politische Ebene beziehen. Ich plädiere dafür, dass die Parteien und die Parlamente jeweils in den Organen der Parteien und in öffentlichen Institutionen eine Quote für Migranten einführen. Sie sind die entscheidenden Akteure, die gegen Ausgrenzung, gegen rassistische und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nachhaltig handeln können.

Der Politik, Parteien, den staatliche Organen und ihren dazugehörigen Institutionen ist es möglich, Rahmenbedingungen zu setzen. Um das gesellschaftliche Leben erfolgreich mitzugestalten und soziale, wie auch kulturelle Vielfalt vorzuleben ist es notwendig und dringlich, dass migrantische Akteure aktiv mitwirken.

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Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage des Nutzens. Das Vorleben der realen Gesellschaft, so wie sie sich in der Wirklichkeit zusammensetzt, führt dazu, dass Gremien ihre Aufgaben besser erfüllen können, je vielfältiger sie sind. Dies belegen Studien aus dem Bereich des Diversity Management und der Frauenpolitik.

Und bei der sogenannten Integrationsdebatte geht es selten um die politische Teilhabe. Vorrangig ist das Bild des passiven Einwanderers existent in den Köpfen. Trotz aktiver Mitgestaltung seit den Nachkriegsjahren ist die Vorstellung eines aktiven Einwanderers, der sich gesellschaftlich und politisch einbringt, nicht gegeben.

Dabei zeichnet sich Teilhabe durch verschiedene Ebenen aus: Die eine bezieht sich auf den individuellen sozialen Umstand der Migranten, hinsichtlich der Sprache, der sozialen Eingruppierung und dem gesellschaftlichen Verhalten, der Normierung.

Eine weitere Stufe ist die der gesellschaftlichen Einbringung, welche sich auf die schulische Ausbildung, Arbeit und die Familie bezieht. Das Ausleben dieser beiden Ebenen ist zwingend bestimmend für die Sozialisation.

Die höchste Rangstufe, die quasi von außen „aufgestülpt“ wird, ist die der politischen Teilhabe. Politik kann keine Integration an sich garantieren, aber sie kann Diversität und Vielfalt gestalten, beeinflussen und mitbestimmen, indem sie Maßnahmen anwendet, die beispielsweise unter die staatliche Finanzierung fallen, Erlasse und Gesetze beschließt, wie auch Symbolpolitik betreibt. Daher ist es notwendig, dass die Politik Moderator für Integration sein muss. Die Politik muss intervenieren und in ihrer Darstellung mit gutem Beispiel vorangehen. Allen voran müssen politische Organisationen bereit sein, sich durch gezielte Maßnahmen weiter für Menschen mit Migrationshintergrund zu öffnen.

Nun schauen wir seit über 60 Jahren zu, wie Integration sicherlich auch ohne Moderation gelingen kann. In einem Land, in dem viele Politiker die Augen vor der Realität verschließen und sich immer noch nicht dazu bekennen können, dass es sich um ein Einwanderungsland handelt. Erstmals wurde in der rot-grünen Regierung, unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder von einem Einwanderungsland gesprochen. Seither sind mehr als 10 Jahre vergangen und bis dato verweigern sich politische Amtsträger, von einem Einwanderungsland zu sprechen. Wenn die amitierende Bundeskanzlerin es ausspricht, dann mit der Einschränkung und dem Vorbehalt, dass es sich nicht um ein klassisches Einwanderungsland handelt.

Ohne die Erkenntnis und vor allem ohne Akzeptanz, dass in einem Land Millionen von Einwanderern leben, die auch bleiben werden und bleiben möchten, hat eine strukturelle Integration keine Chance. Die Ausgrenzung und Abwehrhaltung vonseiten der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Migranten kann man immer wieder aufs Neue an den unzähligen Statistiken zum Thema „Integrationsverweigerung“ beobachten, die uns in regelmäßigen Zeitabständen unaufhörlich um „die Ohren gehauen werden“.

Die individuelle Integration Einzelner geschieht jedoch zufällig, ohne das Zutun von strukturellen politischen Rahmenbedingungen. Sie entwickeln sich nebenbei, beiläufig, unabhängig von den politischen Strukturen. Erst durch das aktive Zutun kann eine Verbindung für Migranten zur Teilhabe geschaffen werden. Dazu bedarf es einer Gestaltung, einer politischen Gestaltung. Kommunen, Länder und Bund sind dafür verantwortlich und müssen die Ressourcen dafür bereitstellen.

Diese Gestaltung ist langwierig. In Deutschland hat sie den Zeitraum von 60 Jahren bereits überschritten. Durch eine neue Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird es mindestens noch einmal so lange dauern, bis sich Veränderungen bemerkbar machen. Um diesen Prozess künstlich zu beschleunigen, muss dieser „angeheizt“ werden.

Ich weiß, dass viele Migranten selbst gegen die Quote sind. Ich behaupte, dass es zumeist die sind, die gesellschaftlich in vorderer Reihe stehen und sich ihren privilegierten Status hart erarbeitet haben. Die Entwicklungen der letzten Jahre stellen die migrantische politische Elite in den Vordergrund, welche aber nicht die Regel ist. Sie haben es geschafft, Hindernisse und Barrieren mit Engagement und Fähigkeiten oder einfach nur Glück zu bewältigen. Das kann gelingen, ist bei Menschen mit Migrationshintergrund aber seltener der Fall: bekanntlich scheitern schon Bewerbungen am „ausländisch“ klingenden Namen. Andere Formen der Ausgrenzung sind auf unterschiedlichste Art und Weise im Alltag zu beobachten.

Wer eine gesellschaftliche Veränderung möchte und nicht nur an den eigenen persönlichen Lebensweg denkt, sollte das „Opfer“ bringen, die Eigennützigkeit vergessen und persönliche Eitelkeiten hinten anstellen können, auch wenn man sich dann mit dem Begriff „Quotenausländer“ herumschlagen muss.

Chancengleichheit ist kein Selbstläufer und es wird Migranten erheblich erschwert, diese nur durch eigene Initiative zu erreichen. Um Deutsch sein zu dürfen, bedarf es der Verbindung eines internen und externen Prozesses: von Anerkennung, Angehörigkeit und Zugehörigkeit. Erst durch ein „buntes“ heterogenes Deutschland, in dem sich auch jeder Deutsch fühlen darf, ohne nach seinem Aussehen beurteilt zu werden, kann Rassismus und gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit bekämpft werden.

Vorbilder müssen geschaffen werden. Vorbilder entstehen – wie das Wort schon beinhaltet – durch Bilder. Bilder von Migranten in Vorständen der Politik, der Wirtschaft, Vereinen, der Verwaltung etc. können in unserer Gesellschaft nur durch Regelungen geschaffen werden. Der Prozess ist schon zu langwierig, als dass noch länger gewartet werden kann, bis die bunte heterogene kulturelle Vielfalt sich zu einem tolerierten festen Bestandteil unserer Gesellschaft entwickelt hat.

Nur durch politische Einflussnahme und die Bestimmung von geregelten Quoten kann soziale Ausgrenzung und Diskriminierung verhindert und Chancengleichheit verbessert werden. Die Zeit des Umdenkens sollte vorbei sein. Es ist Zeit zur Umgestaltung; es ist Zeit für eine Quote!