Debatte

Der „böse Gauck“ und das Netz

Joachim Gauck ist nicht unumstritten. Seit seiner Nominierung zum Amt des Bundespräsidenten diskutiert Deutschland über seine Einstellung – zu Sarrazin, zu Hartz IV und zur Vorratsdatenspeicherung. Anatol Stefanowitsch hat sich das genauer angeschaut.

Seit ein paar Tagen schon werden die Vor- und Nachteile eines Bundespräsidenten Gauck in den sozialen Netzwerken intensiv diskutiert. Den Anfang machten ein paar einzelne Tweets mit Gauck-Zitaten, die am bisher weitgehend positiven Bild des Kandidaten kratzten, und die sich durch hunderfache Weitergabe schnell zu einem digitalen Sturm der Entrüstung hochschaukelten. Plötzlich schien weitgehende Einigkeit zu herrschen, dass Joachim Gauck – der noch zur Zeit der Wulff-Wahl 2010 vielen auch im Netz als die bessere Alternative gegolten hatte – für das Amt des Bundespräsidenten völlig ungeeignet sei.

Anfang dieser Woche gab es nun zwei Kontrapunkte zu dieser scheinbaren Einigkeit: Erstens entschuldigte sich Julia Seeliger, die auch ein paar Gauck-Zitate getwittert hatte, in ihrem Blog bei Gauck dafür, diese Zitate aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, was für sie einer „Desinformation“ gleichkam, von der sie sich distanzieren wollte.

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Zweitens entdeckten die traditionelleren Online-Medien die Diskussion und griffen sie auf, indem sie Seeligers Selbstkritik in überzogener Form auf das Internet im Großen und Ganzen ausdehnten: „Gaucks Gegner sammeln sich im Netz“ meldet Fabian Reinbold auf Spiegel Online, „Die Web-Gemeinde wendet sich gegen ihren einstigen Liebling“. Die Kritik ist hier noch relativ mild, es wird, mit Bezug auf Seeligers Blog, lediglich angedeutet, dass die Zitate möglicherweise nicht Gaucks tatsächliche Positionen wiedergeben. Deutlicher ist Christian Jakubetz im Cicero: „Wie das Netz den bösen Gauck erfand“, titelt er, und gibt dann vor zu zeigen, wie Gaucks Äußerungen im Kontext gar nicht so zu interpretieren seien, wie „das Netz“ das tue.

Nun belegt das Zitieren einzelner Tweets einzelner User/innen natürlich genauso wenig die Meinung „der Web-Gemeinde“ oder gar des „Netzes“, wie das Zitieren aus Telefongesprächen die Meinung der „Telefongemeinde“ oder das Zitieren aus Briefen die Meinung der „Postgemeinde“ belegen. Natürlich sind die Gauck-Zitate, die die Runde machen, verkürzt und ohne Kontext zitiert — Tweets sind nun einmal auf 140 Zeichen begrenzt, wer also auf Twitter nach der Meinung der „Web-Gemeinde“ sucht, wird zu jedem Thema eine Vielzahl verkürzter, kontextloser Aussagen finden.

Das kann sicher grundsätzlich zum Problem werden, aber die Tweets, die ich zu dem Thema gesehen (und auch selbst geschrieben) habe, waren mit Links zu den Interviews und Zeitungsartikeln versehen, aus denen sie zitiert waren. Der Kontext war also nur einen Mausklick entfernt. Es mag sein, dass unter den Twitter-Nutzer/innen einige sind, die auf keinen dieser Links geklickt und keinen der Zusammenhänge betrachtet haben, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass die typisch für die „Web-Gemeinde“ sind. Denn weil sie die „Web-Gemeinde“ sind, haben sie die Netzkompetenz, die nötig ist, um auf Links zu klicken.

Und wenn man auf die Links klickt, stellt man in den meisten Fällen fest, dass der Kontext zwar natürlich dabei hilft, Gaucks Aussagen im Zusammenhang seiner Gedankenwelt zu verstehen, aber gleichzeitig wenig geeignet ist, die Aussagen selbst zu relativieren. Gauck erscheint, wenn man seine Aussagen im Kontext liest, als durchaus komplexer und differenzierender Denker, der selbstverständlich zu Gedanken fähig ist, denen man in 140 Zeichen nur schwer gerecht werden kann. Er erscheint aber auch als Vertreter einer zutiefst konservativen Weltsicht, die sich fast ausschließlich aus den tatsächlichen oder von ihm narrativ konstruierten Leitmotiven seiner eigenen Biographie speist. Er ist deshalb bestenfalls in der Lage, die Herausforderungen der Gegenwart zu erkennen — ernsthafte Ansätze zu ihrer Lösung hat er an keiner Stelle anzubieten. Im Gegenteil.

Ich will das an drei Beispielen deutlich machen. Zwei davon habe auch ich per Twitter in die Runde geworfen: seine Aussagen zu Thilo Sarrazin und zu Harz-IV-Empfänger/innen, die dritte wäre mir nicht in den Sinn gekommen, sie spielt aber in der Diskussion inzwischen eine zentrale Rolle: seine Aussagen zur Vorratsdatenspeicherung. In beiden Fällen würde ich auch bei sorgfältiger Abwägung des Kontextes bei meiner negativen Einschätzung von Gaucks Eignung als Bundespräsident bleiben (und das geht nicht nur mir so).

1. Sarrazin
Hier werden Aussagen aus zwei Quellen zitiert: Einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom Oktober 2010 und einem Artikel im Tagesspiegel vom Dezember 2010. In beiden Quellen attestiert er Sarrazin „Mut“, und in beiden Quellen bescheinigt er ihm, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ auf ein tatsächliches Problem aufmerksam gemacht zu haben, das von der Politik ignoriert oder verschwiegen würde:

Er ist mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu. Er setzt sich dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei auseinander – darunter werden viele sein, deren Missbilligung er eigentlich nicht möchte. [SZ]

[W]ie ich die Debatte verfolgt habe, gibt es eben einen Teil, wo man sagen muss: Da weist er auf ein Problem hin, das nicht ausreichend gelöst ist. [SZ]

Dem früheren Berliner Finanzsenator und Autor des umstrittenen Sachbuches „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin, attestierte Gauck, „Mut bewiesen“ zu haben. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ [Tagesspiegel]

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Gauck distanziert sich klar von Sarrazins „biologistischen Herleitungen“ [SZ] und er macht deutlich, dass er das Problem nicht in der Existenz von Migrant/innen sieht, sondern darin, dass zu wenig für die Integration getan worden ist – und zwar sowohl von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, als auch von (manchen) Migrant/innen. Sehr klar wird seine Position in der Grundsatzrede, die er bei seiner ersten Bewerbung auf das Präsidentenamt hielt:

Wir wollen eine solidarische Gesellschaft sein, die auch Defizite bei der Integration von Migranten und Zugewanderten abbaut. Wir wollen eine aufnehmende und einladende Gesellschaft sein; jeder weiß, dass wir Zuwanderer schon aus demographischen Gründen brauchen. Vor kurzem war ich tief bewegt, als ich die mangelnde Beheimatung spürte, die viele von ihnen immer noch verspüren, selbst wenn sie hier geboren wurden. In den USA begegneten mir Menschen, die erst zwei, drei Jahre im Land lebten, aber dennoch stolz erklärten: This is my country. Hier aber begegnete mir eine junge Frau, die als Tochter türkischer Eltern hier zur Schule ging, hier als akademisch Gebildete in führender Position im politischen Leben aktiv ist, aber mich dennoch mit großen Augen ansah: „Gehöre ich dazu, wenn Sie sagen: Wir sind ein Volk?“ Offensichtlich haben wir zu lange zu wenige und zu halbherzige Einladungen ausgesprochen und dadurch mit befördert, was uns heute große Probleme bereitet: Ressentiments gegenüber fremden Kulturen auf der einen Seite und mangelnde Integrationsbereitschaft in bestimmten Milieus der Zuwanderer auf der anderen Seite. [Grundsatzrede im Deutschen Theater, Juni 2010]

Unproblematisch ist seine Position auch inhaltlich sicher trotzdem nicht — zu einseitig versteht er Integration als Assimilation der Migrant/innen in die bestehende Werteordnung (was unter anderem der Vergleich mit dem Modell Amerika zeigt). Da war Wulffs Aussage „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ ein ganzes Stück progressiver (auch wenn sie leider Kultur mit Religion gleichgesetzt und so kulturelle Vielfalt auf religiöses Nebeneinander reduziert hat). Aber Gaucks Position hat mit der von Sarrazin natürlich nichts gemein.

Das relativiert aber natürlich nicht Gaucks Lob für Sarrazin. Im Gegenteil — der „Mut“ und die korrekte Problemdiagnose, die er Sarrazin bescheinigt, lassen Zweifel daran aufkommen, wie ernst Gauck es mit der Kritik an der deutschen Gesellschaft meint. Es passt schlicht nicht zusammen, auf der einen Seite anzuerkennen, dass von der Mehrheitsgesellschaft „zu wenige und zu halbherzige Einladungen“ zur Integration ausgesprochen wurden, und auf der anderen Seite den Mut einer Person zu loben, die einen Ausgrenzungsdiskurs am Rande der Rassenlehre betreibt. Bei einem Feuilletonisten Gauck mag diese Widersprüchlichkeit akzeptabel sein, bei einem Bundespräsidenten Gauck, der Deutschland inklusive der 10 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund vertreten soll, ist sie ein Zeichen dafür, dass er hinsichtlich von Fragen der Migration und Integration und des damit einhergehenden kulturellen Wandels eine nicht hinnehmbare Gedankenlosigkeit pflegt.

Einen äußerst schalen Beigeschmack hinterlässt auch seine Anerkennung für die Sarrazinsche Rhetorik. Die Süddeutsche stellt im Interview von 2010 diesbezüglich die zentrale Frage: „Macht Sarrazin nicht mit seinen oft polemischen Äußerungen eine nüchterne Debatte unmöglich?“ Natürlich tun sie das, die unsäglichen Diskussionen, die durch Sarrazins Buch losgetreten wurden, haben das nur zu deutlich gezeigt. Aber Gauck sieht offensichtlich nicht, dass die beleidigende und herabwürdigende Sprache Sarrazins ein Hindernis sein könnte:

Zu solchen Debatten gehört die Zuspitzung und auch die populistische Übertreibung. Daran krepiert das Land nicht gleich. [SZ]

Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“. [Tagesspiegel]

Gauck war eben — so sehr er sich nachträglich als Widerstandskämpfer gegen das DDR-Regime stilisiert hat — nie auf eine Weise ausgegrenzt, die es ihm ermöglichen würde, nachzuvollziehen, was die „mutigen“ und „zugespitzten“ Worte eines Sarrazin bei denjenigen bewirken, gegen die sie gerichtet sind. Das Land krepiert an ihnen vielleicht nicht — das fragile Zugehörigkeitsgefühl der Migrant/innen zerbricht daran sehr wohl.

2. Hartz-IV
Die Hartz-IV-Empfänger/innen existieren bei Gauck in einer merkwürdig stereotypen Vorstellungswelt, die eher aus Doku-Soaps wie „Mitten im Leben“ oder „Familien im Brennpunkt“ zu entstammen scheint, als einem Verständnis für Menschen, die (aus was für Gründen auch immer) am unteren Rand der Wohlstandsgesellschaft existieren müssen. Die SZ stellt hier zugegebenermaßen eine sehr tendenziöse Frage:

Sueddeutsche.de: Wie bringen Sie das den Menschen bei, die Hartz IV empfangen und ihre Kinder nicht jeden Tag zur Schule bringen, weil sie keinen Sinn darin sehen?

Hier wäre eigentlich nachzuhaken, wie verbreitet denn elterlich abgesegnetes Schulschwänzen unter Hartz-IV-Empfänger/innen ist und wenn es denn überhaupt besonders verbreitet ist, inwiefern es dann tatsächlich etwas mit Hartz-IV zu tun hat. Aber Gauck steigt ohne zu zögern auf das RTL-Unterschichtenstereotyp ein:

Gauck: Erst einmal sage ich ihnen, dass es keine Tugend ist, wenn man dort sitzt, den ganzen Tag Zeit hat und den Gören kein Mittag macht. Das darf man auch kritisieren.

Man dürfte es dann kritisieren, wenn es jemand für eine Tugend hielte — was aber noch zu beweisen wäre. Gauck macht dann deutlich, was er von Hartz-IV-Empfänger/innen erwartet:

Neulich erzählte mir mein Fahrer von seinem Cousin, der mit den gesamten Sozialleistungen ungefähr 30 Euro weniger als er hat. Mein Fahrer muss aber fast immer um fünf Uhr aufstehen. Er sei der Dumme in der Familie, aber er sagte mir auch: „Ich kann das nicht, ich kann nicht so dasitzen.“ Da habe ich gesagt, dass er denen erzählen soll, wie gut er sich mit Arbeit fühlt. Wir sehen ja auch in den Kreisen der Hartz-IV-Empfänger Leute, die politisch aktiv sind und auf eine Demonstration gehen. In diesem Moment verändert sich schon ihr Leben. Sie zeigen Haltung. Das ist sehr viel wichtiger, als dafür zu sorgen, dass die Alimentierung immer rundum sicher ist. [SZ]

Diejenigen, die sich trotz einer aussichtslosen wirtschaftlichen Lage mit einem Fahrerjob abplagen, für den sie um fünf Uhr morgens aufstehen müssen, sollen also „denen“ (den Hartz-IV-Empfänger/innen) erzählen, wie gut es sich anfühlt, sich vergeblich abzumühen. Abgesehen von dem Stereotyp des arbeitsfaulen Sozialschmarotzers, das Gauck hier voraussetzt, ist es äußerst befremdlich, dass ihn das fehlende Wohlstandsgefälle zwischen seinem Fahrer und einem Hartz-IV-Empfänger nicht zum Nachdenken darüber bringt, ob sein Fahrer eigentlich angemessen bezahlt wird.

Und demonstrieren sollen die Hartz-IV-Empfänger/innen auch — um „Haltung zu zeigen“. Und dieses Demonstrieren findet Gauck ernsthaft „sehr viel wichtiger“, als die Sicherung eines Existenzminimums (das er abfällig „Alimentierung“ nennt). Aber für wirklich wichtig hält Gauck die Demonstrationen wohl doch nicht, wie diese viel zitierte Aussage aus einem Interview mit der Berliner Zeitung aus dem August 2004 zeigt:

Berliner Zeitung: Heute wird unter dem Titel Montagsdemonstration in Ostdeutschland gegen die Hartz IV-Reformen demonstriert. Wirtschaftsminister Clement findet das eine Beleidigung der Demonstrationen von 1989. Sind Sie beleidigt?

Gauck: Nein, ich bin nicht beleidigt. Ich finde es positiv, wenn die Menschen demonstrieren. Aber ich finde es töricht und geschichtsvergessen, wenn der Protest gegen Sozialreformen unter dem Titel Montagsdemonstration stattfindet. Wer meint, gute Gründe für Demos zu haben, braucht kein falsches Etikett.

Berliner Zeitung: Was ist der Unterschied zu 1989?

Gauck: Damals ging es um eine grundsätzliche Gesellschaftskritik. Es ging um grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, um Demokratie und Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit.

Was diese Passage wieder klar zeigt, ist, dass Gauck sich in die Menschen, die da auf die Straße gehen, nicht ansatzweise hineinversetzen kann. Dass auch sie für grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind, kommt ihm nicht einmal in den Sinn. Auch hier zeigt sich, dass Gauck so sehr in seiner eigenen Biografie verhaftet ist, dass er das Leben der Anderen nicht ernst nehmen kann.

3. Vorratsdatenspeicherung
Gaucks Aussagen zur Vorratsdatenspeicherung haben bei der „Web-Gemeinde“ vielleicht die größten Wellen geschlagen. Sie stammen aus einer Fernsehaufzeichnung, deren entscheidende Passagen der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung transkribiert hat:

Was ich bei Herrn Stöbele nicht so richtig nachvollziehen kann ist, dass er im Grunde mit der von mir getragenen Sorge, ob unsere Grundrechte eingeschränkt werden, nicht im Grunde so eine hysterische Welle mit aufbaut, als würde mit der Speicherung von Daten, die möglicherweise meine Grundrechte einschränkt – ein wenig einschränkt -, als wäre dann der Beginn zu dem Spitzelstaat. … Das ist eine ganz tiefsitzende Angst in vielen europäischen Völkern. Ich sehe die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Gefahr, zu einem Spitzelstaat zu werden.

Gauck sagt hier zunächst unmissverständlich, dass er die Vorratsdatenspeicherung, obwohl sie eine Einschränkung der Grundrechte darstellt, für ungefährlich hält. Er macht die (für einen ehemaligen Stasi-Beauftragten gelinde gesagt naive) Aussage, dass mit der Speicherung von Daten über die Bevölkerung keine Gefahr einhergeht, dass die Bundesrepublik zu einem Spitzelstaat würde. Die Empörung, die diese Aussage – völlig zurecht – in bestimmten Kreisen ausgelöst hat, wird an verschiedenen Stellen (z.B. hier kritisiert. Denn tatsächlich spreche sich Gauck ja gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus, wie seine nachfolgenden Äußerungen belegten:

Umso mehr müssen die Regierungen dartun – und zwar wirklich mit tragfähigen Belegen -, wie viel mehr Kontrollmöglichkeiten, Speicherungsmöglichkeiten, Fahndungsmöglichkeiten uns tatsächliche Erfolge bringen. Denn sonst würde ich das doch als eine beginnende Gefahr dieses Sicherheitsmantras gegenüber der Freiheitsbotschaft sehen.

Tatsächlich belegen diese Äußerungen nichts dergleichen: Gauck sagt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung legitim sei, wenn gezeigt werden kann, dass sie tatsächliche Erfolge bringe.

Schlussgedanken
Das Netz hat keineswegs einen „bösen Gauck“ erfunden. Es hat eher potenzielle Schattenseiten des sonst gerne als Lichtgestalt dargestellten Gauck aufgedeckt. Es mag sein, dass einzelne dabei über das Ziel hinausgeschossen sind und Gauck dämonisiert haben — es ist eben das Internet, da darf zu unser aller großem Glück (noch) jede/r sagen, was ihm oder ihr gerade durch den Kopf geht. Aber den meisten Beteiligten an der Diskussion ging es nicht um eine Dämonisierung, sondern darum, zu zeigen, wofür Gauck nun einmal steht: Für eine Gesellschaft, in der man sich anpassen muss, oder eben herausfällt, für eine Sichtweise, nach der die Armen an ihrer Armut selbst schuld sind und nicht auf die Gesellschaft bauen dürfen, um aus ihrer Armut herauszukommen, für Freiheitsrechte, sie nur solange gelten, wie sie nicht in Konflikt mit Sicherheitsinteressen des Staates geraten.

Das ist ein Gesellschaftsbild, das man ja durchaus teilen kann (und viele von Gaucks Befürwortern teilen es ganz bewusst). Aber ich teile es nicht, und ich hätte mir ein Staatsoberhaupt gewünscht, dem die Herausforderungen der unmittelbaren Zukunft klar sind und der progressive und auf eine breite gesellschaftliche Beteiligung ausgelegte Ideen dazu hat, wie wir sie angehen könnten.

Aber natürlich war es eine Illusion, dass uns eine politisch bankrotte Regierung und eine im Moment nur wahltaktisch agierende Opposition ein solches Staatsoberhaupt geben würden. Es wäre ein unverhofftes und unerwartetes Geschenk gewesen, aber im Leben gibt es eben nichts geschenkt. Diejenigen von uns, die ein solches Staatsoberhaupt wollen, werden es uns erarbeiten müssen.

Nach Gauck.