Brückenbauer

Auf der Bütt

Die Fastnachtsendung: „Frankfurt: Helau“ hat rund eine Woche nach der Ausstrahlung zu hitzigen Diskussionen im Internet gesorgt. Darüber macht sich Şeyda Can Gedanken und ist fragt sich, wieso solche Sendungen sie nicht mehr aufregen.

Mittwochmorgen. 8. Februar 2012. Ich saß vor meinem Rechner und surfte im Internet. Zwischen den Debatten um den Schariavorschlag eines Justizministers und der Zwickauer Terrorzelle stieß ich auf die Meldung: „Rassismus zur besten Sendezeit“. Mit gedämpftem Seufzen klickte ich auf den Link, der mich dann auf YouTube weiterleitete. Mit welch einem Anblick würde mein Tag beginnen? Videodauer: 8 Minuten. Tief durchatmen.

In den ersten paar Sekunden flattert eine „karnevalsreife“ Aische in türkisblauem Kopftuch mit einer deutsch-türkischen Flagge herein. In jämmerlicher Akzent-Nachahmung möchte sie über Integration aufklären – im Döner TV.

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Langweilig. Nach wenigen Sekunden war ich in Gedanken schon längst woanders. Rassismus, Beleidigung, Verunglimpfung – keinen dieser Begriffe konnte ich in dem Moment einordnen. Flüchtig sah ich noch, dass die Büttenrede schon am 2. Februar ausgestrahlt wurde und die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte vier Tage später in einer Pressemitteilung eine Entschuldigung des Hessischen Rundfunks forderte. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke müsste das Thema also längst in Vergessenheit geraten sein. Dachte ich zumindest.

Ein oder zwei Tage später schenkte die Presse der Meldung Aufmerksamkeit. Relativ neutral wurde über die Pressemitteilung der Ausländerbeiräte in Hessen berichtet – jedoch meist auf die Berichterstattung ausländischer Medien hinweisend: „Die Witze in der Sendung seien herabwürdigend gewesen, schreibt die Europa-Ausgabe der Zeitung ‚Hürriyet‘ am Donnerstag“.

Die Kritik bezog sich hauptsächlich auf die Bedienung negativer Klischees wie die Unterdrückung der Frau oder das niedrige Bildungsniveau bei der Gruppe der Türken. Der Hessische Rundfunk hingegen wies diese Vorwürfe zurück. Das sei nicht beabsichtigt. Eine Entschuldigung gab es nicht.

Die Leserkommentare zu den jeweiligen Berichten waren dementsprechend konfliktreich. Tatsächlich wurden immer wieder Rassismusvorwürfe verlautbart. Die Witze wurden als emotionslos, plump, herabwürdigend, geschmacklos oder realitätsfern bezeichnet.

Natürlich waren auch entgegengesetzte Meinungen vertreten. Von der Diskussion über die Narrenfreiheit bis hin zur Meinungsfreiheit füllten unterschiedliche Meinungsbeiträge die Kommentarseiten. Einige haben mir dann zu denken gegeben. Beiträge wie „love it, or leave it“, „Wer bei uns leben will, muss das ertragen“ oder „Falls es euch nicht passt, könnt IHR gehen“ füllten immer mehr die Kommentarseiten.

Ich fühlte erneut den Druck von vor zwei Tagen. Ich sollte mir dieses Video vielleicht doch anschauen: Typische Klischees über Türken geschmückt mit einigen Wortspielen und vulgären Ausdrücken. Mein zweiter Eindruck: sehr interessant! Das Publikum jubelt tatsächlich bei solch einer einfallslosen Show mit! Über das Humorverständnis lässt sich bekanntermaßen gut streiten. Ich fand es definitiv geschmacklos. Aber einen Grund zur Aufregung über die Büttenrede sah ich nicht.

Warum eigentlich nicht? Diese Frage führte mich zurück in das Jahr 2008. An einem Abend traf ich mit den Brückenbauern eine erfolgreiche türkischstämmige Politikerin. Nachdem über Vorurteile diskutiert wurde, gestand die Dame sehr selbstsicher, dass sie über Vorurteile, Pauschalisierungen und Ähnliches gewisser Gruppen und sogar in ihrer Partei „abgehärtet“ sei. Schrecklich dachte ich, wie viel muss man wohl durchgemacht haben, damit menschliche Gefühle wie Traurigkeit, Enttäuschung oder Verletzlichkeit so dermaßen strapaziert werden, dass man „abgehärtet“ ist. Ich sah eine erfolgreiche, aber irgendwo auch eine emotions- und realitätsferne Frau vor mir.

Bin ich jetzt genauso? Bin ich auch dermaßen „abgehärtet“, dass ich mich über die Büttenrede nicht mehr aufrege? Diese Frage konnte ich nicht beantworten. Ich musste erneut an die Leserkommentare denken, die sowieso beim Thema „Integration“ meist interessanter sind als die Berichterstattungen selbst:

„Es gibt so etwas wie die Meinungsfreiheit bei uns.“ Wenn ich so etwas lese, frage ich mich, was mich mehr stört. Dass das immer und immer wieder gesagt wird oder der „bei uns“-Zusatz am Ende. „Kann man denn nicht mehr die Wahrheit sagen?“, beklagt sich ein anderer Leser. Offensichtlich war für ihn, der übrigens auch viel Beifall erfuhr, das vermittelte Bild der Büttenrednerin die pure Realität. Am schlimmsten jedoch sind jene Leser, die die „Gastgeber“-Mentalität noch nicht vergessen haben und die Tür zeigen, falls man sich „beschwert“.

Auch wenn die Büttenrede an sich keine rassistischen Züge beinhaltet, wurde sie am Ende doch ein Anzünder für Diskussionen um die Machtverhältnisse zwischen unterschiedlichen Kulturen in diesem Lande – jedenfalls im Internet.

Selbstverständlich werden nicht immer alle Themen in vollem Umfang realitätsbezogen präsentiert – erst recht nicht auf Karnevalsfeiern. Allerdings sollte man doch auch darauf achten, bestimmten Kreisen keine Steilvorlagen zu liefern, die sie für ihre rassistischen Zwecke missbrauchen können.