Rechtsterrorismus

„Wie der Herre, so das Gescherre“

Alte DDR-Strukturen macht die 64-jährige Claudia Iyiaagan-Bohse für die zahlreichen Ermittlungspannen in Thüringen und in Sachsen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle verantwortlich. Sie kämpft seit der Wiedervereinigung gegen alte DDR-Strukturen.

Hier der Vater, ein begnadeter Germanist, der die meiste Zeit in seiner Lesestube sitzt und sich weitestgehend aus dem Kriegs-geschehen heraushält. Dort die Mutter; ein blühendes, hübsches Mitglied der Bund Deutscher Mädel. Unterschiedlicher könnten die Lebensentwürfe der Eltern nicht sein. Doch genau diese unter-schiedlichen Welten haben der 64-jährigen Claudia Iyiaagan-Bohse, Biologie- und Sportlehrerin aus Leipzig, die Möglichkeit in die Hand gelegt, sich frei zu entscheiden.

Und sie entschied sich für den geistig nüchternen und immateriellen Weg. Die Großmutter hat ihr bei dieser Entscheidung geholfen. „Sie war der gütigste Mensch auf Erden“, schwärmt sie und erzählt fröhlich von ihrer Ferien-Kindheit in Plauen.

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„Nein zu sagen, war möglich“
Hinter ihr lag damals die NS-Zeit und am Horizont vor ihr zog bereits das nächste Unrechtsregime auf, die DDR. Ihren freien Willen sollte sie in dieser Zeit behalten. „Nein zu sagen, war möglich“, sagt sie lakonisch. Und dieses mutige „Nein“ behielt sie bis heute.

Nach der Wende erkennt sie schnell, dass alte Funktionäre des Führungs- und Parteienapparates des Diktatur-Staates, der Kirche, offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in der neuen vereinigten Republik zielgerichtet in wichtige Positionen gehievt werden. „Die legen ihre Verhaltensweise, die in der DDR gut angekommen ist und honoriert wurde, nicht ab“. Damit meint sie beispielsweise Dr. Rudolf Krause, der nach der Wiedervereinigung das Innenministerium im Freistaat Sachsen aufbaute und das Amt niederlegen musste, nachdem seine Mitarbeit bei der Stasi bekannt geworden war.

Doch nicht nur diese wichtige Stelle sei von alten DDR-Funktionären besetzt worden, sondern alle Schlüsselstellen, auch die bei den Ermittlungsbehörden und der Schulverwaltung.

Die Aufarbeitung sollte nicht verfolgt werden
Zwischen 1991 und 1992 arbeitet sie in der Personalkommission. Sie hat die Aufgabe, Personen in öffentlichen Behörden, insbesondere Schulverwaltung und Polizei, auf Ihre Funktion in der DDR-Zeit zu überprüfen. Daher weiß sie, wovon sie spricht. Jedoch wird dieser Aufarbeitungsprozess systematisch, „ja mit krimineller Energie unterbunden. Die Aufarbeitungsindustrie hat total versagt“, stellt sie fest.

Damit kritisiert sie nicht nur die Aufarbeitung der DDR-Diktatur, sondern auch insbesondere der NS-Zeit, die einen großen Einfluss auf die DDR-Diktatur hatte. Nach ihrer zwangsweise beendeten Arbeit bei der Personalkommission engagiert sie sich in verschiedenen Projekten; arbeitet in der Opferberatung, hilft DDR-Opfern und sorgt sich um Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund.

In den zurückliegenden 20 Jahren beklagt sie sich über die Zustände in den neuen Bundesländern beim sächsischen Verfassungsschutz, bei der Ex-Generalbundesanwältin Monika Harms und beim Bundesverfassungsschutz. Doch man hört ihr nicht zu. Ebenfalls stößt sie beim amtierenden Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen Stanislaw Tillich auf taube Ohren.

„Linksextreme und Rechtsextreme sind von ihren Handlungen nicht weit entfernt.“
„Wenn wir keinen Elitewechsel hinbekommen, kriegen wir ein Problem“, wies sie immerzu hin. Und das Problem zeige sich nun auch in den Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle, die zehn Menschen ermordete, darunter eine Polizistin und neun ausländische Kleinunternehmer.

Auf die Frage, wie es sein könne, dass ehemalige DDR-Funktionäre, die ja bekanntlich links am politischen Spektrum einzuordnen sind, keine nennenswerten Ermittlungen gegen Rechtsradikale unternehmen, erwidert sie: „Linksextreme und Rechtsextreme sind von ihren Handlungen nicht weit entfernt.“ Dabei meint sie mit Linksextremen die alten DDR-Funktionäre, die auch in der Bundesrepublik die gegenwärtigen Strukturen aufgebaut haben sollen.

Natürlich musste vor diesem Hintergrund jedwede Aufarbeitung der Diktaturen scheitern. So entstand nach der Wende ein Vakuum, in dem sich rechtsterroristische Gesinnung und Jugendkultur entwickelten. Doch der eigentliche Grund liegt an der Struktur der neuen Länder. „Kein Elitenwechsel und kein genaues Hinsehen auf die Opfer der Diktatur und zuviel Verständnis für die Täter und Mitläufer in den alten Bundesländern“, sagt sie.

„Wie der Herre, so das Gescherre, verstehen Sie?“, fragt sie mich schließlich. Ich stimme ihr leise zu und hoffe, dass sie Unrecht hat.