Sebastian Edathy

Untersuchungsausschuss zu Neonazi-Morden wird „kein zahnloser Tiger“

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zu den Neonazi-Morden, Sebastian Edathy (SPD), kann die Verunsicherung in der türkischen Bevölkerung nachvollziehen. Jetzt müssten alle relevanten Fakten auf den Tisch kommen.

Herr Edathy, einer Umfrage zufolge denkt mehr als die Hälfte der hier lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen, dass der Staat die Neonazi-Zelle, die für zehn Morde verantwortlich sein soll, gefördert oder geschützt habe. Können Sie den Unmut verstehen?

Sebastian Edathy: Ich kann nachvollziehen, dass es in der türkischen Bevölkerung in Deutschland ein gewisses Maß an Verunsicherung gibt, das darauf beruht, dass – ganz offenkundig von den Behörden weitgehend unbemerkt –über Jahre hinweg eine rechtsterroristische Gruppe mordend durch das Land ziehen konnte. Es wird Aufgabe einer nachhaltigen Aufklärung sein, dafür Sorge zu tragen, das Risiko zu minimieren, dass sich derartiges Behördenversagen nicht wiederholt.

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Kann der am Donnerstag vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss zu der Mordserie verlorenes Vertrauen in den Staat zurückgewinnen?

Edathy: Wir haben es nach allem, was wir bis jetzt wissen, mit einer beispiellosen Pannenserie zu tun. Es wird zu prüfen sein, wo organisatorische Mängel vorhanden waren und wo es persönliches Fehlverhalten gegeben hat. Selbstverständlich ist es eine zentrale Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat funktionsfähig ist. Nur ein funktionsfähiger Rechtsstaat kann das Vertrauen aller Bürgerinnen und Bürger finden.

Was soll der Ausschuss untersuchen?

Edathy: Die Ausgangsfragen werden sein, was welche staatliche Einrichtung zu welchem Zeitpunkt wusste, wie der Informationsfluss lief und welche möglichen Fehlentscheidungen getroffen wurden. Aus den Antworten wird der Ausschuss ableiten, an welchen Stellschrauben man drehen muss, um die Sicherheitsarchitektur zu optimieren.

Viel Zeit bleibt dem Ausschuss bis zur Bundestagswahl nicht – wie stellen Sie sich den Zeitplan bis Herbst 2013 vor?

Edathy: Der Zeitplan muss baldmöglichst zwischen den Fraktionsvertretern vereinbart werden. Wir sind gehalten, den Abschlussbericht vor Ablauf der Wahlperiode vorzulegen. Es spricht deshalb einiges dafür, dass der Ausschuss einen Ermittlungsbeauftragten einsetzt, um den Ausschuss zu unterstützen. Mir kommt es darauf an, dazu einen Konsens aller fünf Fraktionen zu erzielen. Die Einrichtung des Ausschusses ist von allen Fraktionen beschlossen worden. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Geist die Aufklärungsarbeit des Gremiums tragen wird.

Was macht Sie da so optimistisch? Schließlich spielt in Untersuchungsausschüssen in der Regel parteipolitisches Hickhack eine zentrale Rolle.

„Alle relevanten Fakten müssen auf den Tisch kommen, und zwar unabhängig davon, welcher Partei die maßgeblich handelnden Personen angehörten oder angehören. Wir sind der Bevölkerung eine nachhaltige Aufarbeitung der traurigen Vorgänge schuldig.“

Edathy: Es gab im November eine gemeinsame Entschließung des Bundestages, in der alle Fraktionen ihre Bestürzung über die Ereignisse ausgedrückt haben. Ich glaube, dass diese Bestürzung nach wie vor die vorherrschende Stimmungslage im Parlament ist. Deshalb wird es sich bei diesem Ausschuss mit Sicherheit nicht um ein sogenanntes Kampfinstrument der Opposition handeln, wie das in vielen anderen Untersuchungsausschüssen der Fall gewesen ist. Es geht hier nicht um den Streit zwischen den Parteien, sondern um den Streit für die Demokratie.

In der Union sind Zweifel laut geworden, dass Sie die Leitung des Ausschusses möglichst neutral und sachlich gestalten.

Edathy: Da muss sich keiner Sorgen machen. Als ich von 2005 bis 2009 den Innenausschuss geleitet habe, gab es keine Kritik irgendeiner Fraktion an meiner Sitzungsleitung, allenfalls an öffentlichen Äußerungen von mir. Es ist allerdings so, dass man auch als Ausschussvorsitzender seine persönliche Meinung nicht an der Bundestags-Pförtnerloge abgibt.

Aus der Opposition sind Befürchtungen zu hören, der Aufklärungswille von Union und SPD sei nicht ganz so groß wie öffentlich kundgetan. Immerhin wurden und werden etwa die zuständigen Innenminister von Bund und Ländern durch die Bank von Union und SPD gestellt.

Edathy: Alle relevanten Fakten müssen auf den Tisch kommen, und zwar unabhängig davon, welcher Partei die maßgeblich handelnden Personen angehörten oder angehören. Wir sind der Bevölkerung eine nachhaltige Aufarbeitung der traurigen Vorgänge schuldig.

Es wird eine Bund-Länder-Kommission zur Aufklärung geben, es gibt einen U-Ausschuss des Thüringer Landtages, eine von der Erfurter Landesregierung eingesetzte Kommission, es gibt die Ermittlungen des Generalbundesanwaltes – droht da nicht die Gefahr, dass Sie sich gegenseitig ins Gehege kommen?

Edathy: Ich halte es für richtig, dass sich verschiedene Gremien der Aufarbeitung des Sachverhaltes widmen. Das wird dieselbe beschleunigen. Für den Bundestags-Untersuchungsausschuss wird es wichtig sein, eine Verständigung mit der Bund-Länder-Kommission über die Aufteilung der jeweiligen Untersuchungsmaßnahmen zu erzielen. Es ist sicherlich sinnvoll, wenn der U-Ausschuss des Bundestages sich einleitend mit dem Wirken der Bundesbehörden beschäftigt, insbesondere dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch mit der Generalbundesanwaltschaft. Die Kommission wird sich unter anderem darum kümmern, was in den und zwischen den Landesbehörden passiert ist. Unabhängig davon hat unser Ausschuss die Möglichkeit, sich immer dann mit Unterlagen und Zeugen der Länder zu beschäftigen, wenn es um die Kooperation von Landes- und Bundesbehörden geht. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages wird mit Sicherheit kein zahnloser Tiger sein.

Was kann denn der Bundestags-Untersuchungsausschuss besser als die anderen mit den Morden befassten Institutionen?

„Ich halte es zweitens für nahezu absurd, wenn nach Medienberichten innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz sieben Personen für Die Linke und zehn für die NPD zuständig sind.“

Edathy: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ist ein Gremium der Volksvertretung, während die Bund-Länder-Kommission unter dem Dach des Bundesinnenministeriums arbeitet. Bei einem Vorgang, der so gravierend ist wie die viel zu späte Identifizierung der Zwickauer Terrorzelle, hat die Öffentlichkeit in Deutschland einen Anspruch darauf, dass sich die höchste, direkt demokratisch legitimierte Instanz in der Republik unmittelbar der Sache annimmt.

Viele relevante Akten sind Teil der laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwaltes. Zeugen aus Verfassungsschutz und Polizei könnten keine Aussagegenehmigung bekommen. Inwieweit fürchten Sie, dass die Arbeit des Ausschusses dadurch behindert wird?

Edathy: Mitarbeiter von Ministerien benötigen in der Tat eine Aussagegenehmigung. Die kann aber nicht willkürlich versagt werden, das hat 2009 das Bundesverfassungsgericht klargestellt. Ich kann mir im Übrigen nicht vorstellen, dass irgendeine Behörde in Deutschland bei begründeten Zeugenanfragen des Bundestages die Aufklärung blockiert. Wir werden die Kooperation suchen.

Themenwechsel: Der Verfassungsschutz beobachtet Medienberichten zufolge 27 der 76 Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion. Wie bewerten Sie dies?

Edathy: Ich halte es erstens für unverhältnismäßig, dass ein Drittel einer demokratischen Fraktion im Bundestag unter mindestens auswertender Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Ich halte es zweitens für nahezu absurd, wenn nach Medienberichten innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz sieben Personen für Die Linke und zehn für die NPD zuständig sind. Die Linkspartei hat durchaus Ränder, von denen man nicht in jedem Fall behaupten kann, dass sie mit der Struktur des demokratischen Rechtsstaates konform gehen. Das kann aber nicht dazu führen, dass die Partei als Ganzes unter einen Generalverdacht gestellt wird, der sich unter anderem darin spiegelt, dass jeder dritte Abgeordnete vom Verfassungsschutz näher betrachtet wird.

Wie sollte der Bundestag reagieren?

Edathy: Es wäre schon ein Anfang, wenn sich die Bundesregierung intern darüber verständigen könnte, ob sie diese Praxis für angemessen oder für problematisch hält.