Nationaler Aktionsplan

Wieder nur Klein-Klein – der große Wurf bleibt aus

Bildung und die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Das sind die wichtigsten Punkte des gestern vorgelegten Nationalen Aktionsplans. Rassismus und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt hingegen sind erneut kein Thema.

Mit einem Bündel von Maßnahmen will die Bundesregierung die Integration von Migranten verbessern. Erreicht werden soll sie mit einem „Nationalen Aktionsplan Integration“, den das Kabinett gestern verabschiedet hat. Vorgestellt wird der Plan von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem weiteren Gipfel am 31. Januar 2012.

Das 22-seitige Papier, das in elf Punkten unterteilt ist, legt den Fokus auf die Königsdisziplin der Integrationspolitik: Bildung. Eine herausragende Bedeutung hat dabei der Spracherwerb. „Nur mit guten Deutschkenntnissen erhalten Migranten eine erfolgreiche Perspektive in unserem Land. Mit der Sprachförderung von Anfang an sind wir auf dem richtigen Weg. Zur weiteren Verbesserung der sprachlichen Bildung in Kindertagesstätten unterstützt der Bund den Ausbau der Betreuungsangebote beispielsweise mit seiner Initiative ‚Offensive frühe Chancen: Programm Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration‘. Rund 4 000 Einrichtungen profitieren davon bundesweit“, so Maria Böhmer (CDU, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

___STEADY_PAYWALL___

Interkulturelle Öffnung
Erstmals wird im Nationalen Aktionsplan neben „Gesundheit und Pflege“ auch das Thema „Migranten im öffentlichen Dienst“ behandelt. Eine Quote ist aber nicht vorgesehen. Böhmer: „Die wachsende Vielfalt unseres Landes muss sich angemessen auch im öffentlichen Dienst widerspiegeln. Wir brauchen mehr Migranten in Kindergärten und Schulen, bei Polizei und Feuerwehr und in der Verwaltung. Der Bund setzt deshalb u.a. auf eine direkte Ansprache von Migranten in Stellenausschreibungen sowie die Schulung von Personalentscheidern.“

Download: Die 22-seitige Erklärung des Bundes zum „Nationalen Aktionsplan Integration“ gibt es als Download auf bundesregierung.de (PDF).

Als eine weitere Maßnahme zur nachhaltigen Strukturveränderung verpflichtet sich der Bund in den Plan zudem, die Richtlinien zur Spitzensportförderung zu ändern: Zuwendungsempfänger müssen künftig nachweisen, dass sie ein besonderes Augenmerk auf die Integration von Menschen legen, die bisher nicht ausreichend erreicht wurden. Durch Schulungen von Trainern o.ä. soll auch die interkulturelle Kompetenz der Zuwendungsempfänger erhöht werden.

Unterschiedliche Meinungen
Für den integrationspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, hat die Arbeit an dem Nationalen Aktionsplan Integration „eine aktivierende Dynamik und einen verbindenden Charakter“. Der Dialog zwischen Ländern, Kommunen, Bund, Migrantenorganisationen, Wissenschaft, Sport und Medien sei „eine wichtige Ressource und Motor für die Weiterentwicklung der Integrationspolitik.“ Der Integrationsbeauftragte der Regierungskoalition, Michael Frieser (CSU) ergänzt: „Mit der Weiterentwicklung des Nationalen Integrationsplans zu einem Aktionsplan schaffen wir es, Integration verbindlicher zu gestalten.“

Ganz anders sehen es Oppositionspolitiker. Mit ihrem Aktionsplan zeige die Bundesregierung lediglich, „wie planlos sie ist“, moniert der migrations- und integrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kılıç. Der Aktionsplan sehe keine gesetzlichen Änderungen vor und es „findet sich keine Spur von den wichtigen Themen, wie Einbürgerungen oder einem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger“.

Realität: Bildung = Sozialhilfe
Die Sprecherin für Migration und Integration der Linkspartei, Sevim Dağdelen, ergänzt: „Bei Einbürgerungserleichterungen, dem Wahlrecht für Drittstaatsangehörige, Antirassismus oder Integration von Flüchtlingen versagt die Bundesregierung seit Jahren ganz gezielt. Konkret wird sie immer nur dann, wenn es darum geht, die Tore der Festung Deutschland lediglich für die von der deutschen Wirtschaft als nützlich und erwünscht betrachteten Migranten einen Spalt zu öffnen. Mit diesem neoliberalen Geschacher um sozial selektive Quoten, Kontingente und Punktesysteme befördert sie den Rassismus. Migranten brauchen nicht immer neue Berichte, Pläne, Indikatoren und symbolhafte Gipfel. Sie brauchen Arbeit, Bildung, politische Teilhabe und Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung.“

Wie akut diese Forderung ist, belegt die Studie „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ aus Januar 2011 eindrucksvoll. Ein in der Öffentlichkeit kaum beachtetes Ergebnis der Studie ist: Je qualifizierter Muslime sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von staatlichen Transferleistungen abhängig werden.

Auch 2010 Wanderungssaldo in die Türkei
Denn laut Studie beziehen 17,8 Prozent aller Muslime ohne Schulabschluss Transferleistungen. Muslime mit Hauptschulabschluss weisen eine Quote von 13,9 Prozent auf und Muslime mit mittlerer Reife nur noch 9,3 Prozent. Überraschend ist allerdings, dass über 20 Prozent der Muslime mit Abitur in der Tasche von staatlichen Leistungen abhängig sind. Bei muslimischen Frauen beträgt diese Quote sogar 29,7 Prozent, wenn sie mindestens ein Abitur vorweisen können. Das wirft die Frage nach Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt auf und liefert damit den Hauptgrund für das Auswandern von gut ausgebildeten ausländischen Jugendlichen.

Kılıç verweist auf den ebenfalls gestern von der Bundesregierung vorgelegten Migrationsbericht 2010. Danach sind auch im letzten Jahr mehr Menschen in die Türkei ausgewandert, als von dort eingewandert. „Zu den Ursachen gehören die rassistischen Thesen von Thilo Sarrazin und die Planlosigkeit der Bundesregierung in der Integrations- und Migrationspolitik. Sie haben weder zu einem Willkommensgefühl noch zu einer stärkeren Zugehörigkeit geführt“, so der Grünen-Politiker. (bk)