Gleichberechtigung

Paradigmenwechsel im 50. Jahr der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland

Egemen Bağış, Europaminister der Türkei, plädiert für Maßnahmen, die weitergehen als die Integration. In seinem Gastbeitrag für MiGAZIN weist er darauf hin, dass es an der Zeit ist, über Gleichberechtigung zu sprechen.

Aufgrund von historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen sind und werden die Türkei und Deutschland weiterhin wichtige Partner füreinander bleiben. Deutschland und die Türkei teilen eine historische Freundschaft. Auch während des Ersten Weltkrieges kämpften Deutschland und das Osmanische Reich Seite an Seite. Nach der Gründung der Türkischen Republik trugen deutsche Wissenschaftler, in großem Maße zur Realisierung wichtiger Projekte der noch jungen Republik bei.

Eigentlich liegt der wichtigste Aspekt in der türkisch-deutschen Beziehung, in der in Deutschland lebenden türkischen Gemeinde. Nach der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei im Jahre 1961 entsandte die Türkei einen großen Teil ihrer Arbeitskraft nach Deutschland, wo türkische Arbeitskräfte beim Aufbau des vom Zweiten Weltkrieg noch mitgenommenen Deutschlands halfen. Es ist bereits ein halbes Jahrhundert her seit dem Anwerbeabkommen. Die türkische Gemeinde hat in dieser Zeit einen beachtlichen Erfolg geleistet.

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Nun ist die türkische Gemeinde in Deutschland mit drei Millionen Menschen allerorts präsent. Im Verlauf der Jahre wurden mehr als eine Million Menschen eingebürgert. Auf diese Weise sind aus den türkischen Immigranten und Gastarbeitern der 1960´er Jahre deutsche Staatsbürger geworden. Ohne Zweifel haben diese Menschen einen bedeutenden Mehrwert für Deutschland geschaffen.

Wie in dem Bericht zum „Einfluss der Migration auf die deutsche Gesellschaft“, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2005 veröffentlicht wurde, hätte die deutsche Wirtschaft heute nicht die Stärke, über die sie heute verfügt. Im Laufe der Zeit sind aus den türkischen Gastarbeitern zudem auch Arbeitgeber geworden. Mit über 80.000 kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland trägt die türkische Gemeinde in Deutschland zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Diese Unternehmen machen einen Gesamtumsatz von 30 Milliarden Euro im Jahr und schaffen damit Arbeitsplätze für eine Zahl von mindestens 350.000 Menschen.

Insbesondere in der dritten und vierten Generation junger Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund werden in letzter Zeit viele Erfolgsgeschichten geschrieben. Ein Beispiel ist ein deutsch-türkischer Filmemacher, der Deutschland auch auf dem internationalen Parkett repräsentiert. Ein anderes Beispiel ist ein deutsch-türkischer Fußballspieler, der zum Erfolg Deutschlands im internationalen Fußball beiträgt.

In letzter Zeit sind deutsche Politiker mit türkischem Migrationshintergrund sowohl in der Bundes- als auch in der Landespolitik sehr aktiv. Eine der größten politischen Parteien in Deutschland wird in einer Doppelspitze von einem Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund geführt. Im Bundesparlament dienen fünf Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund. Im Landesparlament von Berlin dienen sogar zehn Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund. Auch die Integrationsministerinnen von zwei Ländern sind türkischer Abstammung.

Türken sind nicht mehr Gastarbeiter in diesem Land, sondern Einwohner beider Staaten der Türkei sowie Deutschland, mit türkischer Muttersprache und flüssigem Deutsch. Im Gegensatz zur Argumentation von meist rechten, extremistischen Gruppen, sind die Türken in Deutschland keine Belastung, sondern eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik.

In der Zwischenzeit wurden starke Brücken zwischen Deutschland und der Türkei gebaut. Einerseits ist Deutschland der Haupthandelspartner der Türkei und die Zahl deutscher Investitionen in der Türkei wächst beständig. Andererseits zieht es Tausende deutscher Rentner für den Ruhestand in die Türkei. In den Jahren von 2002 bis 2010 erwarben deutsche Staatsbürger 17.270 Immobilien in der Türkei.

Im Gegensatz zu einer wachsenden Zahl von Deutschen, die in die Türkei migrieren, ist die türkische Migration nach Deutschland zum Stillstand gekommen und wandelte sich sogar in eine Re-Migration um. Im Jahr 2009 zog es nur noch 30.000 Türken aus der Türkei nach Deutschland, während es 40.000 Deutsche aus Deutschland in die Türkei zog.

Deutschland ist definitiv die Lokomotive des europäischen Integrationsprozesses. Die Zahlen und Fakten zeigen, dass die Türkei gemeinsam mit Deutschland die Zukunft Europas bestimmen wird, was ökonomische, demographische, soziokulturelle und politische Entwicklungen angeht.

Der Premierminister der Türkischen Republik, meine Regierung und ich sind bereit, mit unseren deutschen Partnern zu kooperieren in Bezug auf Themen, die uns alle betreffen. Damit meine ich insbesondere auch die Formulierung einer sachkundigen und einbeziehenden Integrationspolitik. Auch wenn wir die Integrationskampagne der deutschen Regierung mit dem Motto „We are together – wir sind zusammen“ sehr begrüßen, sollten wir versuchen Maßnahmen zu finden, die weitergehen als die Integration. Es ist an der Zeit über Gleichberechtigung zu sprechen.