Baden-Württemberg

Ministerin Öney: Wir müssen diesen Teufelskreis durchbrechen

Eine Auswertung des Mikrozensus 2010 zeigt, dass Migranten in Baden-Württemberg schlechter qualifiziert sind, weniger Chancen am Arbeitsmarkt haben, geringere Einkommen erzielen und stärker von Armut betroffen sind. Ministerin Öney bezeichnet das als Teufelskreis, die durchbrochen werden muss.

Nach den Ergebnissen des Mikrozensus lebten im Jahr 2010 in Baden-Württemberg etwa 2,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Dies teilte die Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Carmina Brenner, am Montag mit. Damit haben gut ein Viertel der insgesamt rund 10,7 Millionen Baden-Württemberger ausländische Wurzeln.

Höchster Migrantenanteil unter den Flächenländern
Der Migrantenanteil von gut 26 Prozent in Baden-Württemberg liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 19 Prozent. Im Vergleich aller Bundesländer weisen zwar die Stadtstaaten Bremen und Hamburg mit 28 bzw. 27 Prozent den höchsten Anteil an Personen mit Migrationshintergrund auf, unter den Flächenländern liegt aber Baden-Württemberg vor Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern.

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Deutschland weist hinsichtlich des Migrantenanteils an der Bevölkerung ein ausgeprägtes West-Ost-Gefälle auf: Die neuen Bundesländer (ohne Berlin) wiesen mit insgesamt knapp 5 Prozent einen nur kleinen Migrantenanteil auf. Auch unter den alten Bundesländern streut der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung sehr stark: In Schleswig-Holstein ist dieser Wert mit knapp 13 Prozent nur halb so hoch wie in Bremen, Hamburg oder Baden-Württemberg.

Geringe Qualifikation
Betrachtet man den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in den zwölf Regionen Baden-Württembergs und dem Stadtkreis Stuttgart, so zeigt sich, dass der Stadtkreis Stuttgart mit 38 Prozent den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund aufweist. Wie Brenner weiter mitteilt, weist die Landeshauptstadt Stuttgart auch im Vergleich mit ausgewählten deutschen Großstädten einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund auf: Noch höher als in Stuttgart (38 Prozent) sind die Migrantenanteile in Frankfurt a.M. (43 Prozent) und Augsburg (39 Prozent). Demgegenüber lag der Migrantenanteil in Hamburg bei 27 Prozent und in Berlin bei 24 Prozent.

Laut Mikrozensus ist auffällig, dass viele Migranten keine berufliche Qualifikation haben. So hat von den baden-württembergischen Migranten im Alter von 25 bis unter 65 Jahren ein sehr hoher Anteil, nämlich rund 35 Prozent, keine Berufsausbildung vorzuweisen. „Bei den gleichaltrigen Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf etwa 9 Prozent zu“, so Dr. Brenner. „Entsprechend sind Migranten bei allen Ausbildungsabschlüssen weniger stark vertreten.“

Ungleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Die im Durchschnitt geringere berufliche Qualifikation dürfte einen unmittelbaren Einfluss auf Erwerbsbeteiligung und Arbeitsmarktchancen von Migranten haben: So sind die Baden-Württemberger mit Migrationshintergrund wesentlich seltener berufstätig als Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund: Von letzteren gehen im erwerbsfähigen Alter 76,5 Prozent einer Erwerbstätigkeit nach, von den Migranten 66,3 Prozent. Die Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung zeigen sich sowohl bei den Männern (Erwerbstätigenquote der Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund: rund 81 Prozent, bei den Migranten: gut 73 Prozent) als auch bei den Frauen (knapp 72 Prozent bzw. gut 59 Prozent).

Migranten sind nicht nur seltener berufstätig, sie sind auch stärker von Erwerbslosigkeit betroffen. Die Erwerbslosenquoten von Personen mit und ohne Migrationshintergrund in Baden-Württemberg zeigen, dass diese beiden Bevölkerungsgruppen offensichtlich nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So waren im Jahresdurchschnitt 2010 von den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund knapp 4 Prozent ohne Arbeit, bei den Migranten lag die Erwerbslosenquote mit rund 9 Prozent hingegen mehr als doppelt so hoch. Die Ursachen für die schlechteren Arbeitsmarktchancen von Migranten dürften u.a. in teilweise unzureichenden Sprachkenntnissen zu suchen sein bzw. darin, dass im Ausland erworbene Ausbildungsabschlüsse nicht als gleichwertig angesehen werden.

Auch bei den jungen Baden-Württembergern mit bzw. ohne Migrationshintergrund zeigt sich im Hinblick auf die berufliche Qualifikation ein deutliches Gefälle: Ein sehr hoher Anteil der jungen, 25- bis unter 35-jährigen Migranten haben keinen beruflichen Ausbildungsabschluss (rund 27 Prozent). Bei den gleichaltrigen Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund traf dies auf lediglich rund 7 Prozent zu. Bei allen Ausbildungsabschlüssen sind die 25- bis unter 35-Jährigen mit Migrationshintergrund gegenüber den Personen ohne Migrationshintergrund weniger stark vertreten.

Auf Transferleistungen angewiesen
Daraus resultiert oftmals eine schlechtere finanzielle Situation bzw. eine höhere Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen. Auf diesen Zusammenhang wies die Brenner explizit hin. Im Jahr 2010 lebten rund 41 Prozent der Migranten überwiegend von ihrem Erwerbseinkommen, von den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund jedoch knapp 47 Prozent. Gut 8 Prozent der Baden-Württemberger mit Migrationshintergrund gaben an, ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Arbeitslosengeld, Hartz IV und ähnlichen Transferleistungen zu bestreiten. Der entsprechende Anteil bei den Personen ohne Migrationshintergrund lag dagegen bei lediglich knapp 4 Prozent.

Ein vergleichsweise hoher Anteil der Migranten (gut 38 Prozent) ist zudem auf Unterhalt durch Angehörige angewiesen, bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund ist dies nur bei rund 25 Prozent der Fall. Hier dürfte die Tatsache, dass Migrantenfamilien im Durchschnitt mehr Kinder haben, aber auch die geringere Erwerbsbeteiligung von Migranten eine Rolle spielen. Da der Anteil der Senioren unter den Migranten relativ klein ist, ist in dieser Gruppe der Anteil der Rentenbezieher mit knapp 13 Prozent wesentlich niedriger als unter den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund (gut 24 Prozent).

Geringes Haushaltseinkommen
Die geringere Erwerbsbeteiligung und die deutlich höhere Erwerbslosigkeit der Migranten führen dazu, dass Migrantenhaushalte im Durchschnitt über geringere Haushaltseinkommen verfügen: So müssen nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2010 knapp 28 Prozent der Haushalte, deren Haupteinkommensbezieher einen Migrationshintergrund hat, mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 1.300 Euro auskommen. Bei Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund hatten, lag der vergleichbare Anteil lediglich bei knapp 22 Prozent.

Unter den Beziehern höherer Haushaltsnettoeinkommen sind hingegen die Migrantenhaushalte deutlich seltener vertreten: Nur rund 19 Prozent der Migrantenhaushalte verfügen über ein Nettoeinkommen von mindestens 3.200 Euro. Von den Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund aufweist, befanden sich hingegen deutlich mehr, nämlich gut 28 Prozent in dieser Einkommensgruppe.

Armutsrisiko bei Migranten mehr als doppelt so hoch
Da die Haushalte von Migranten im Durchschnitt deutlich größer sind als die von Personen ohne Migrationshintergrund, wird das Einkommensgefälle noch zusätzlich verschärft: So lag die durchschnittliche Haushaltsgröße bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund im Jahr 2010 bei 2,1 Personen pro Haushalt, in den Haushalten von Baden-Württembergern mit Migrationshintergrund waren es jedoch 2,4 Personen. Die im Durchschnitt geringeren Einkommen der Migranten, von denen jedoch gleichzeitig mehr Personen leben müssen, dürfte dazu führen, dass das Armutsrisiko von Migranten höher ist als das der Menschen ohne Migrationshintergrund. So lag die Armutsgefährdungsquote bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund bei 8 Prozent, bei den Migranten bei knapp 19 Prozent.

Teufelskreis durchbrechen
Für die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) machen die Daten des Mikrozensus deutlich, „dass wir diesen Teufelskreis nur mit Hilfe von Bildungsgerechtigkeit durchbrechen können“.. Je früher Kinder Bildungsrückstände aufholten, umso weniger müsse später repariert werden. „Wir beabsichtigen, Sprachdefizite bereits mit Beginn des Kindergartens und nicht erst im letzten Kindergartenjahr zu identifizieren und zu fördern“, sagte die Integrationsministerin. Darüber hinaus sei es wichtig, die Eltern von Kindern mit ausländischen Wurzeln in Initiativen stärker als bisher einzubeziehen. Das reiche vom gemeinsamen Lernen der deutschen Sprache in der Familie bis hin zu Vereinbarungen zwischen Bildungseinrichtungen und Elternhaus. Öney: „Orientierung ist gerade für Migrantenkinder wichtig und hilfreich. Sie sind vielfältigeren Einflüssen und Erwartungen ausgesetzt als Kinder ohne Migrationshintergrund.“

Eine weitere Verbesserung für Migranten in Baden-Württemberg will die Ministerin über ein Landesanerkennungsgesetz erreichen. „Immer noch arbeiten zu viele Zuwanderer unter ihren Möglichkeiten, da ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen bei uns nicht anerkannt werden. Das bedeutet für jeden Einzelnen und für die gesamte Volkswirtschaft einen immensen Verlust“, so die Ministerin. Immerhin gebe es inzwischen ein Bundesanerkennungsgesetz, das zum März 2012 in Kraft treten werde. „Wir arbeiten an einem Landesanerkennungsgesetz, das die Lücken des Bundesgesetzes schließen soll. Wir werden damit einerseits den Berufsqualifikationen von Zuwanderern besser gerecht, und andererseits leisten wir einen Beitrag zur Milderung des Fachkräftemangels“, sagte Öney. (etb)